Von Susan Bonath
In Deutschland wütet die Rezession. Der Konkurrenzkampf um Jobs und soziale Rechte spitzt sich zu. Die Bundesregierung pumpt derweil gigantische Summen in die Rüstung. Die antirussische Kriegspropaganda hat absurde Züge angenommen. Die seit Jahrzehnten vernachlässigte Jugend soll nun den neoliberalen Wahnsinn als Kanonenfutter ausbaden – zunächst "freiwillig" genötigt, bei Bedarf per Losverfahren. Die Elterngeneration scheint das größtenteils ungerührt zu lassen. So regt sich nun bei den Betroffenen der Widerstand: Eine Initiative aus Schülerkomitees plant eine bundesweite Streikaktion am 5. Dezember.
Aufruf zum Schulstreik
"Nein zur Wehrpflicht, Nein zu allen Zwangsdiensten": Unter diesem Motto ruft die Jugendinitiative alle Schüler und Studenten dazu auf, am Freitag, dem 5. Dezember, mit einem Streik gegen Rekrutierung und Kriegstreiberei zu protestieren. Zwar schwadroniere die Bundesregierung noch von Freiwilligkeit, heißt es. "Doch schon jetzt steht fest: Wenn sich nicht genug von uns melden, soll erst das Los entscheiden und dann kommt die Pflicht für alle." Weiter mahnt das Bündnis aus regionalen Schülerkomitees:
"Es heißt, wir sollen für Deutschland Krieg führen können. Doch was ist eigentlich mit unserem Recht, in Frieden zu leben und selbst zu entscheiden, wie wir unser Leben führen wollen? Was ist mit Artikel 4 Absatz 3 des Grundgesetzes, nach welchem niemand zum Dienst an der Waffe gezwungen werden darf?"
Man wolle nicht "in Kasernen eingesperrt sein, zu Drill und Gehorsam erzogen werden und töten lernen", schreiben die Organisatoren. Denn Krieg sei "keine Zukunftsperspektive und zerstört unsere Lebensgrundlagen". Sie rügen außerdem, dass zwar ältere Politiker und Journalisten in Talkshows über die Wehrpflicht diskutieren und diese fordern. Doch kaum jemand spreche mit den jungen Betroffenen.
DGB im Dienst der Herrschenden
Auch die im DGB organisierten großen Gewerkschaften verhalten sich auffällig still gegenüber ihrer Jugend. Teilweise trommelten sie sogar im Chor der Kriegstreiber und -propagandisten. Einzig der Berliner Ableger der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaften (GEW) informierte kürzlich, wenig emotional und offensichtlich getrieben von der Schülerinitiative, über die geplanten Schulstreiks.
Man teile "die Sorge und Kritik" der Schüler, so die GEW Berlin. Dann weicht sie auf noch schwammigere Allgemeinplätze aus: "Einseitige Inhalte zum Thema nationaler Sicherheit sowie Werbeversuche der Bundeswehr an Schulen und anderen Bildungseinrichtungen" lehne man "klar" ab. Sie verwies auch auf die UN-Kinderrechtskonvention, wonach Minderjährige nicht rekrutiert werden dürfen, ohne auch nur im Ansatz auf die akute Gefahr durch Aufrüstung und Kriegspropaganda hinzuweisen.
Aggressive Militärwerbung
Wenn die GEW von "Werbeversuchen der Bundeswehr an Schulen" schwadroniert, klingt das ein bisschen so, als handele es sich nur um vereinzelte Vorstöße oder eben bloße "Versuche". Das ist mitnichten der Fall. Tatsache ist vielmehr, dass die Rekrutierungskampagnen an deutschen Schulen durch Jugendoffiziere, gern als Bildungsveranstaltung verschleiert, bereits seit den 1990er Jahren zunehmen. Seit mehreren Jahren bietet die Armee sogar gezielt Planspiele in Bildungseinrichtungen an, die als "normaler Unterricht" gelten.
Auch auf "Berufsmessen" auf Schulhöfen agiert das deutsche Militär immer aggressiver. Es lockt Minderjährige mit Werbetrucks und eigens dafür geschulten Soldaten an die Kanonen. Viele Schulleitungen und Lehrer tolerieren derlei Aktivitäten nicht nur, sondern fördern sie sogar. In sozialen Medien ist die Bundeswehr ebenfalls extrem aktiv und verbreitet dort ihre Propagandafilmchen. Sogar das öffentlich-rechtliche Kinderfernsehen agiert inzwischen wie ihr Werbepartner.
Schon seit Jahren schreibt die Truppe gezielt Jugendliche an, wenn diese 18 Jahre alt werden. Die Daten erhält sie von den Einwohnermeldeämtern. Eltern müssen aktiv widersprechen, wenn sie das verhindern wollen. Der Freistaat Bayern zwingt gar seine Hochschulen und Universitäten seit vergangenem Jahr dazu, mit der Armee zu kooperieren. Die Informationsstelle Militarisierung (IMI) klagt dagegen.
Schulen, Militär und Justiz gegen Kritiker
Es ist offensichtlich, dass viele Schulleitungen die Offensiven der Bundeswehr nicht nur zulassen, sondern häufig sogar fördern. Ein besonders drastisches Beispiel dafür wurde kürzlich aus Freiburg bekannt. Der Schüler Bentik protestiert seit letztem Jahr gegen regelmäßige Werbeveranstaltungen mit Jugendoffizieren an seinem Gymnasium. Im Februar verbreitete der damals noch 17-Jährige zwei antimilitarische Memes in sozialen Medien und rief Mitschüler zum Protest auf. Das wurde ihm zum Verhängnis: Er muss vor Gericht.
Die kleine marxistische Tageszeitung junge Welt berichtete über den Vorgang unter dem provokanten Titel "Wehrkraftzersetzer des Tages: Gymnasiasten". Andere eher kleine Medien übernahmen diesen Fall. Der rechtsgerichtete Blogger Alexander Wallasch wollte dies wenig später jedoch als "lahme Ente" enttarnt haben. Er berief sich dafür auf Aussagen der Schule und der Bundeswehr. Letztere hatte beteuert, sie habe damit nichts zu tun. Doch nun steht fest: Nur die Darstellung der Bundeswehr und Wallaschs Geschichte waren "Zeitungsenten".
Den tatsächlichen Hergang hatte unter anderem die Berliner Zeitung nochmals untersucht. Der betroffene Schüler namens Bentik informierte im Gespräch mit der europäischen Partei MERA25 selbst über seinen Fall. Demnach war er einigen Lehrern wegen seiner Antikriegshaltung schon länger ein Dorn im Auge. Die Schulleitung kooperierte schließlich mit der Truppe, übermittelte ihr sogar persönliche Daten des Minderjährigen. Kurz darauf erstattete der Jugendoffizier Strafanzeige: wegen Beleidigung der Bundeswehr aufgrund eines unliebsamen Memes, das auf Neonazis in deren Reihen anspielte. Bentik muss nun tatsächlich vor Gericht.
Nachwuchs an der Front verheizen?
Hintergrund ist das neue Wehrdienstgesetz, über das der Bundestag am Mittwoch, dem 3. Dezember, abstimmen soll. Laut dem Gesetzentwurf sollen Jugendliche des Geburtsjahrgangs 2008 schon kommendes Jahr einen Fragebogen erhalten. Junge Männer müssen diesen ausfüllen, junge Frauen können es. Vorübergehend soll der Dienst dennoch freiwillig bleiben, vergoldet mit einer Vergütung von mehr als 2.000 Euro – für ärmere Jugendliche durchaus verlockend.
Allerdings: Sollte es nicht gelingen, mindestens 30.000 "Freiwillige" zu rekrutieren, soll die Truppe per Losverfahren entscheiden, wer als Nachwuchssoldat an die Waffe muss. Und bereits ab 2027 sollen alle männlichen Jugendlichen zur Musterung gezwungen werden, sobald sie 18 Jahre alt werden.
Begleitet wird der Vorstoß von einer immer absurder werdenden antirussischen Propaganda-Kampagne, um Angst zu schüren. Vor allem bei den Älteren scheint das trefflich gelungen zu sein. In Umfragen, sofern man diesen glauben kann, sprach sich angeblich die Eltern- und Großelterngeneration mehrheitlich für die Wehrpflicht aus – im Gegensatz zu den Jugendlichen, die es selbst betrifft. Bedenken bei den Alten, ihre Kinder und Enkel an der Front verheizen zu lassen, sobald der Staat das fordert, sind in Deutschland offensichtlich nicht sehr ausgeprägt.
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