Für den X-Nutzer war sein Beitrag vom 29. September dieses Jahres reine Polemik, für die Justizbehörde des Amtsgerichts Ulm sowie die eingesetzte Polizei unmissverständliche "Volksverhetzung", so die eingeschaltete und ermittelnde Staatsanwaltschaft vorformulierend. Der Mann, laut Medienberichten wohnhaft in Baden-Württemberg, bezeichnete in einem bewusst provozierenden X-Beitrag Staatsbeamte pauschal als "Parasiten". Laut der erstberichterstattenden Apollo-News-Redaktion sieht sich das Justizopfer "politisch libertär ausgerichtet". Am 13. November erfolgte dann in den Morgenstunden eine Razzia, samt Polizei und Staatsschutzanwesenheit. Ein Welt-Artikel titelt zum Verlauf nach erzwungener Fahrt zum Präsidium (Bezahlschranke):
"Fingerabdrücke, 'Verbrecherfotos' und angedrohte Blutentnahme – wegen eines X-Beitrags."
Am Morgen des 13. November lautete ein Beitrag des X-Kanals "Sigartis":
"Wurde heute Morgen aus dem Bett geklingelt, Hausdurchsuchung und ich hatte nicht mal Zeit mir einen Bademantel anzuziehen.... Details werde ich erstmal nichts posten. Bin ziemlich durch den Wind."
Laut dem Verfasser nahm die Apollo-News-Redaktion unmittelbar Kontakt auf, was vor fünf Tagen zu einem ersten Artikel führte. Zum Ablauf der erneut ausufernden Dynamiken heißt es einleitend:
"Weil ein Mann in einem X-Post gegen Beamte polemisierte, erlebte er eine Razzia wegen Volksverhetzung und wurde erkennungsdienstlich behandelt. Die Beamten verletzten wohl eklatant Standards. Sein Anwalt findet deutliche Worte."
Der beanstandete inakzeptable und demnach justiziable Wortbeitrag lautete im Original als Antwort in einer X-Diskussion:
"Nein, jeder Mensch der vom Staat finanziert wird zahlt Netto keine Steuern, er lebt von Steuern. Jeder Beamte, jeder Politiker, jeder Angestellte in einem Staatsunternehmen, jeder der vom Staat subventioniert und finanziert wird. Kein einziger Parasit zahlt Netto irgendwelche Steuern."
Es folgten die Beitragszusendung an eine ungenannte Meldestelle, die Einleitung entsprechender Ermittlungen und final der Beschluss einer demnach notwendigen und vom Amtsgericht Ulm gebilligten Hausdurchsuchung. Diese schildert im Ablauf der Betroffene wie folgt:
"Um ziemlich genau 6 Uhr hat meine Tür geklingelt, ich bin an die Gegensprechanlage und es hieß: 'Polizei, bitte machen Sie auf, wir haben einen Hausdurchsuchungsbeschluss.' Sie haben mir dann die Wahl gelassen: 'Entweder Sie entsperren ihr Handy und geben uns die PIN, dann nehmen wir das Handy mit, oder werden alles mitnehmen.'"
Laut Welt-Redaktion gab der Betroffene zu Protokoll:
"Er habe sich noch angezogen. Dabei habe ihn einer der beiden Polizisten permanent überwacht. Er könne ja auch ein Messer ziehen, habe einer von ihnen gesagt. M. habe aufs Klo gemusst. 'Ein Polizist stand neben mir, als ich zu Hause noch gepinkelt habe', erzählt er. M. wurde offenbar penibler überwacht als die mutmaßliche RAF-Terroristin Daniela Klette. Die konnte bei ihrer Verhaftung noch allein zur Toilette gehen und von dort aus offenbar ihren mutmaßlichen Komplizen per Handy warnen."
Der Mann habe sich "unter dem Druck" kooperativ gezeigt und seine Mitarbeit erklärt. Es erfolgte nichtsdestotrotz die Aufforderung, im Polizeiwagen mit auf die nächste Wache zu kommen. Dort ergaben sich dann für den späteren Anwalt, dem Ex-AfD-Politiker Marcus Pretzell, "eklatante Mängel" sowie "offensichtlich rechtswidrige" Maßnahmen. Dazu erklärte der Betroffene laut dem AN-Artikel zu dem Erlebten:
"'Also das gesamte Programm. Gewicht, Größe, Fotos aus vielen Perspektiven und alle biometrischen Daten der Hände. Ich kam mir vor wie ein Schwerverbrecher.' Die Polizei bat auch um eine Blutprobe – 'für Ihre DNA', wie ein Beamter gesagt haben soll. N. lehnte ab. 'Ich dachte, ich höre nicht richtig.'"
Die Welt-Redaktion wollte von der ermittelnden Staatsanwaltschaft Genaueres zur Meldung des X-Beitrags erfahren. Dazu heißt es nach entsprechender Anfrage:
"Die Frage, ob eine staatliche Meldestelle wie 'Hessen gegen Hetze' oder die früher vom damaligen Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und von NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) beworbene Plattform 'So Done' daran beteiligt gewesen sei, wird nicht [von der Staatsanwaltschaft Ulm] beantwortet."
Strafverteidiger Marcus Pretzell kommentiert zum ganzen Vorgang, er sei überrascht über das Vorgehen der Beamten "und sieht eklatante Mängel. Allein die erkennungsdienstliche Behandlung sei 'offensichtlich rechtswidrig'". Zudem sollen die Beamten weitere Standards eklatant verletzt haben. "Mir wurde kein Protokoll zur Hausdurchsuchung gegeben und kein Beleg, dass sie mein Handy beschlagnahmt haben", so der Betroffene gegenüber der AN-Redaktion.
"Wir kennen rechtswidrige Hausdurchsuchungen wegen Meinungsdelikten inzwischen als Massenphänomen in Deutschland", sagt der Anwalt gegenüber Apollo News, um weiter zu kommentieren:
"Mit der Anwendung erkennungsdienstlicher Maßnahmen beschreitet die baden-württembergische Justiz unter der CDU-Ministerin allerdings neue Abwege."
Mehr als nachdrücklich in Erinnerung bleibt dem Betroffenen jedoch die Empfehlung eines Beamten, der Satz habe sich "in seinem Kopf eingebrannt". Dieser lautet:
"Überlegen Sie sich, was Sie in Zukunft posten, Ihnen muss klar sein, dass Sie jetzt unter Beobachtung stehen."
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