Mobilisierung der Jugend: Strategien und Aktionen im Kampf gegen die Wehrpflicht

Über 80 Prozent der Jugendlichen lehnen die Wiedereinführung der Wehrpflicht ab. Dieses Protestpotenzial wollen engagierte Jugendvertreter mobilisieren. Geplant sind Aufklärungskampagnen über die Lüge einer angeblichen russischen Bedrohung, Schulstreiks und Beratung von Kriegsdienstverweigerern.

Von Felicitas Rabe

Auf dem 32. Bundesweiten Friedensratschlag, der am 2. Novemberwochenende in Kassel tagte, nahmen Vertreter von linken Jugendorganisationen in gestaltenden Funktionen teil. In der Podiumsdiskussion "Wie verhindern wir die Wehrpflicht?" präsentierten sich die Jugendvertreter äußerst informiert über die politische Entwicklung in Deutschland und die Kriegsmotivation der herrschenden Eliten. Neben analytischen Redebeiträgen fokussierten sie sich vor allem auf die Vorstellung von geplanten Kampagnen und Aktionen gegen die Wehrpflicht.

Als Berichterstatterin war ich besonders beeindruckt von der Kommunikation der jungen Friedensaktivisten auf dem Podium. Mit geistiger Disziplin und Empathie für die anderen Podiumsteilnehmer trugen sie ihre Aussagen pointiert vor. Vielleicht sind die geistige und die kooperative Disziplin schon ein Vorgeschmack auf die Qualität und Stärke der Kämpfe der Jugend gegen die Wehrpflicht. Die Podiumsveranstaltung mit insgesamt sieben Teilnehmern wurde moderiert von Julian Eder.

Die Lüge, der Russe bedrohe Deutschland, entlarven!

Die Vorsitzende der "Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend" (SDAJ), Andrea Horn, erklärte gleich zu Beginn, dass im Kampf gegen die Wehrpflicht aufgedeckt werden müsse, wie verlogen die Bundesregierung die Kriegsvorbereitung begründe. Der Wehrdienst werde mit dem Narrativ wieder eingeführt, der Russe würde uns bedrohen. "Das ist eine Lüge! Es sind die NATO-Staaten, die Kriege führten," so Horn.   

Zudem erkläre man der Jugend, mit dem Wehrdienst müsse sie der Gesellschaft etwas zurückgeben. "Wofür?" fragte Andrea Horn: "Für marode Schulen mit kaputten Toiletten? Für eine desolate Infrastruktur?" Schließlich solle die Jugend auch die Demokratie verteidigen, laute ein weiterer Appell. Horn dazu: "Welche Demokratie? Eine Demokratie, in der Demonstrationen und freie Meinungsäußerungen verboten werden?" Wenn es der Friedensbewegung gelänge, die Wehrpflicht zu verhindern, könnte sie einen wichtigen Teil der Kriegsvorbereitung stoppen.

Breite Bündnisse gegen die Wehrpflicht bilden

86 Prozent der Jugendlichen seien gegen die Wiedereinführung der Wehrpflicht, zitierte Tom Weitkämper von der Linksjugend Solid entsprechende Umfragen. In anderen Ländern würden Arbeiter in Hafenanlagen die Verladung von Kriegsmaterial bestreiken. Es gebe bereits eine breite Ablehnung von Kriegsaktivitäten hierzulande und international. Dieses Ablehnungspotenzial müsse die Friedensbewegung nutzen, um breite Bündnisse gegen die Wehrpflicht zu bilden.

Greta Nowak von der Jugendorganisation "Die Falken" schlug vor, den ganzen Wirbel um die Wiedereinführung der Wehrpflicht zu nutzen, um junge Menschen über die politische Entwicklung in diesem Land aufzuklären. Damit könne man viele Jugendliche politisieren. Die Vertreterin der "Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte Kriegsgegner", Judith Busse, berichtete, dass sich vermehrt Jugendliche bei den DFG-VK-Beratungsstellen für Kriegsdienstverweigerung einfänden.

Die Berater sollten Kriegsdienstverweigerer auch motivieren, sich generell an Kämpfen gegen die Militarisierung zu beteiligen, und ihnen dazu Informationen bereitstellen, schlug Nowak vor. Ein wichtiges Thema sei die Aufklärung über die geplanten weiteren US-Raketenstationierungen im Jahr 2026, welche die Friedensbewegung verhindern müsse.

Bundesweiter Schulstreik-Aktionstag am 5. Dezember

Ein breites Netzwerk unterschiedlicher Jugendorganisationen mobilisiere aktuell für Schulstreiks in der gesamten Bundesrepublik, erklärte Phil vom "Offenen Schülertreff" in Münster. Für die Schulstreiks am 5. Dezember engagierten sich Schulstreikkomitees, die in einem bundesweiten Aufruf zur Teilnahme mobilisierten.

Mena Winkler nahm als Hochschulvertreterin auf dem Kasseler Podium gegen die Wehrpflicht teil. Aus der UNESCO-Verfassung zitierte sie deren Leitidee, bei der Gründung im Jahr 1945:

"Da Kriege im Geist der Menschen entstehen, muss auch der Frieden im Geist der Menschen verankert werden." 

Damit verpflichtete sich die UNESCO, mittels Bildung, Wissenschaft und Kultur die internationale Zusammenarbeit zur Förderung des Friedens und der Sicherheit zu unterstützen. An der Universität Hamburg würden Wissenschaftler des Friedensforschungsinstituts allerdings die Wehrpflicht anpreisen – diese diene dem Frieden, so ein Teil der Friedensforscher in Hamburg.

Hochschulen sollen für den Frieden forschen und nicht für den Krieg

Die große Mehrheit der Studenten schließe sich dieser Auffassung nicht an. Engagierte Friedensaktivisten an den Hochschulen sollten über die Unwissenschaftlichkeit aktueller Aufrüstungs- und Wehrpflichtbegründungen aufklären. Das gelte insbesondere für die Fachbereiche Politikwissenschaft und Pädagogik. Aber auch den Studenten im Fachbereich Ingenieurwesen, sollte deutlich gemacht werden, dass sie Städte und Brücken bauen sollten und kein Kriegsgerät.

"Krieg ist kein Arbeitsersatz", auch nicht in Zeiten von Ausbildungsplatzmangel, erklärte Till Tiedemann von der ver.di-Jugend Kiel. Diese habe sich dem Bündnis "Nein zur Wehrpflicht" angeschlossen. Tiedemann machte deutlich, was Krieg bedeutet und warum die Mehrheit der Jugend, sich nicht beteiligen wolle:

"Andere zu töten hat nichts mit unseren Interessen als Arbeiterjugend zu tun – wir wollen nicht auf Russen oder Chinesen schießen, noch sonst wen töten."

Politische und soziale Lerneffekte bei der Teilnahme an Schulstreiks

Die Podiumsteilnehmer waren sich einig: Schulstreiks gegen die Wehrpflicht stellen aktuell die große Chance für die Friedensbewegung dar. Gleichzeitig beinhalten sie große Lerneffekte für die Teilnehmer:

Tom Weitkämper zitierte Kurt Tucholsky, der im Jahr 1924 dargelegt hatte, inwieweit die Wehrpflicht den 1. Weltkrieg mitverschuldet habe. Im Plenum des Friedensratschlags appellierte Weitkämper an alle Teilnehmer:

"Die Wehrpflicht geht uns alle an – denn von ihr hängt die Kriegstüchtigkeit der Gesellschaft ab."

Deshalb würden die Jugendorganisationen breite Bündnisse schließen. In Hamburg hätten sich die im Landesjugendring vertretenen Jugendverbände zum Kampf gegen die Wehrpflicht zusammengeschlossen. Darin sei von der linksorientierten SDAJ bis zur christlichen Pfadfinderjugend eine Vielfalt von Jugendorganisationen vertreten.

Greta Nowak machte darauf aufmerksam, dass Wehrpflicht und Kriegsvorbereitung nicht nur die betroffenen Jugendlichen umtreibe – auch viele betroffene Eltern und Großeltern machten sich Sorgen. Man müsse deshalb auch eine Organisationsstruktur für Eltern und Großeltern einrichten. Um die Lüge über das Feindbild Russland zu entkräften, sei die DFG-VK dabei, Flyer als Unterrichtsmaterial für Lehrer zu entwickeln. Über die Strukturen der "Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft" (GEW) würden die Flyer an die Lehrer verteilt.

Am Ende der Veranstaltung appellierten die Jugendvertreter an die Friedensaktivisten der älteren Generation, sich an ihrem Kampf gegen die Wehrpflicht zu beteiligen:

"Wir brauchen Euch alte Eisen, wir brauchen Eure Erfahrungen aus jahrzehntelangen Kämpfen."

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