Von Wladislaw Sankin
Eine kleine Gruppe russischer Oppositioneller in Deutschland tut alles, um die Stimmung zu Hause aufzupeitschen, schreibt die Welt. Ihr Ziel sei ein Ende des "Putin-Regimes" und des Ukraine-Kriegs. Das Problem nur: Nicht Putin soll sie bei der Arbeit hindern, sondern die Bundesregierung. Denn Berlin stoppt angeblich das Programm, das ihnen zur Flucht verholfen hatte.
Gemeint ist die Einschränkung des humanitären Aufnahmeprogramms für die russischen Bürger, das nach dem Beginn der Militäroperation Ende Februar 2022 eingeführt wurde. So stellte das deutsche Aufnahmeprogramm in Ex-Sowjetstaaten festsitzenden Russen und Weißrussen Ersatzdokumente aus, damit sie nach Deutschland weiterreisen konnten. Insgesamt sind etwa 3.000 Menschen mit diesem speziellen Visum nach Deutschland eingereist.
Darunter sind viele Politaktivisten, Journalisten, Kulturschaffende – junge, prowestlich-liberale Städtler. Für viele ist Regime-Change in Russland und Installierung einer Marionetten-Regierung ein erklärtes Ziel. Auch sammeln sie oft Gelder für die ukrainische Armee oder nehmen an Protesten gegen russische Kultureinrichtungen in Deutschland teil und fordern deren Schließung.
Damit ist die deutsche Hauptstadt zur zentralen Sammelstelle für radikale Kreml-Gegner aus ganz Europa geworden. Großangekündigte und prominent besetzte Kundgebungen der Opposition in Berlin floppten jedoch – an den beiden Märschen innerhalb des letzten Jahres nahmen erst im November 2024 maximal 3.000 und im März 2025 nur noch 800 Menschen teil.
Nun will die Bundesregierung die freiwillige Aufnahme der Politasylanten weitgehend beenden und sich in Zukunft auf "singuläre Einzelschicksale" beschränken. Die Empörung darüber ist im Welt-Artikel deutlich zu spüren. Mit einem stilvollen Fotoshooting und Interviews mit enttäuschten Oppositionellen versucht das Springer-Blatt nun, den Schritt rückgängig zu machen.
Einen der Protagonisten, Andrej Piwowarow, setzt es auf Titelseite und lässt ihn ausführlich zitieren. Der aus dem Westen bezahlte Mitarbeiter des Putin-Widersachers Michail Chodorkowski war 2021 in Russland wegen Tätigkeit in einer "unerwünschten" Organisation zu vier Jahren Haft verurteilt worden. Vor einem Jahr wurde er begnadigt und kam im Zuge eines Häftlingsaustausches nach Deutschland.
Piwowarow betont, wie wichtig die Aufnahme russischer Oppositionskräfte für Deutschland und Europa ist. "Schauen Sie sich allein die Liste der Journalisten an, die im Rahmen des Programmes nach Deutschland gekommen sind. Die erreichen mit ihren Medien, die sie aus dem deutschen Exil weiterführen, 20 Millionen russische Leser." Das sei eine Arbeit, die von Russland aus nicht mehr machbar sei – aber immens wichtig, um die Menschen in Wladimir Putins Informationsvakuum auf dem Laufenden zu halten.
Angesprochener Regime-Change in Russland sei das angestrebte Szenario, das vor allem zur Beendigung des Ukraine-Krieges führen müsse. Um dies zu verwirklichen, brauche es ukrainische Tapferkeit, die Einheit Europas und Proteste in Russland. "Und wir Exilrussen in Deutschland sind die, die aus der Ferne die Stimmung in Russland aufpeitschen können."
Eines der Tätigkeitsfelder ist Agitation unter Soldaten. Der Aktivist erzählt gerne, wie er argumentiert. Selbst Russen, die Putin wählten, könne man bei ihrer Armut packen. Wenn man ihnen etwa vor Augen hielte, wie viele Schulen man in ihren heruntergekommenen Provinzstädten bauen, wie viele Kilometer Straßen man mit dem Geld hätte bauen können, das täglich für den Krieg draufgehe.
"Wir telefonieren mit Soldaten. Wir beraten sie, wie sie desertieren können. Wir steuern zivile Netzwerke von Deutschland aus und verhelfen ihnen zur Flucht", sagt Piwowarow. Außerdem agitiere man im Vorfeld der Parlamentswahlen 2026. "Russland ist eine Diktatur. Trotzdem sind Wahlen immer eine Schwachstelle. Und wir tun alles, um sie auszunutzen." Dann kommt das Argument, das seiner Meinung nach bei den Deutschen verfangen müsste – mit dem Marschflugkörper Taurus:
"Ich erlaube mir, zu sagen: Wir Russen sind eine wertvolle Soft Power für Deutschland. Wir sind sehr viel günstiger als Taurus! Und unser Einfluss ist trotzdem groß."
Weitere Putin-Gegner kommen im Artikel zur Sprache: Menschenrechtsaktivisten, Journalisten, Kriegsdienstverweigerer. Das Betätigen der eingebauten Links zu ihren Medien zeigt: Sie befolgen streng die Vorgaben ihrer westlichen Finanziers, seien es eine deutsche Partei- oder Soros-Stiftung oder Gelder aus EU-Fonds. Außer Unterstützung der Ukraine und Korruption in Russland gehören vor allem Klimawandel, Durchsetzung der Gendersprache und auf Russland angewendete Antikolonisierungsdebatte auf die ständige Themenliste.
Die Verhetzung der innerdeutschen Opposition in den politischen Talkshows mithilfe russischer Exilanten ist ein weiterer Nutzen, der insbesondere in den letzten Wochen zum Tragen kommt. So setzte Markus Lanz mit den ehemals inhaftierten Politaktivisten Wladimir Kara-Mursa und Pussy-Riot-Mitglied Marija Aljochina in seiner Sendung jeweils Sahra Wagenknecht und Tino Chrupalla massiv unter Druck. Die beiden russischen Putin-Gegner führte er aufgrund ihrer Opferrolle als unanfechtbare moralische Autorität gegen angeblich kremltreue deutsche Politiker ins Feld.
Dass angesichts solcher Vorfälle, die von innenpolitischer Manipulation bis hin zu außerpolitischen Einmischungsversuchen reichen, die Bundesregierung die Aufnahmeregeln für unzufriedene Russen nun doch verschärft, ist für den Grünen-Politiker Sergej Lagodinskij nicht nachvollziehbar. Er, selbst russischstämmig, gehört zu den bekanntesten Apologeten eines von außen unterstützen Regierungswandels in Russland. Er wird mit den Worten zitiert: "Die Bundesregierung möchte die Migration beschränken. Jedes Mittel scheint recht. Aber ausgerechnet dieser Hebel ist falsch. Hier werden Aufnahmeprogramme für Afghanen, Syrer und Russen einfach miteinander vermischt. Einfach, um sagen zu können: Wir begrenzen hier Migration." Die Welt fasst zusammen: Der Aufnahmestopp sei ein großes Geschenk vor allem für Putin.
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