Urteil für die Meinungsfreiheit: Friedensaktivistin durfte Symbole ukrainischer Nazis zeigen

Eine Mahnwache-Aktivistin prangerte das nazistische Treiben in der Ukraine auf einem Plakat an und wurde fürs Propagieren von Nazi-Symbolen angeklagt. Das Verfahren dauerte mehr als drei Jahre und endete in der zweiten Instanz mit dem Freispruch.

Von Wladislaw Sankin

Die Mahnwache-Teilnehmerin Alexandra V. kam am 29. August 2022 mit ihrem Plakat zum Kundgebungsort am Alexanderplatz in Berlin etwas später als ihre Mitstreiter von der Vereinigung "Mütter gegen den Krieg". Unter der Überschrift "Ukraine-Nazis" waren auf Mannshöhe 20 Fotos mit ukrainischen militanten Rechtsextremisten zu sehen, zusammen mit allerlei einschlägigen, teils in Deutschland verbotenen Symbolen wie etwa Hakenkreuz oder Reichsadler.

Der Inhalt der Fotos sah drastisch aus. Die Proukrainer registrierten das und verständigten die Polizei, die unweit stand und das Geschehen beobachtete. Sie nahm Personalien der Aktivistin auf, ihr Plakat musste sie einstecken. Später kam sie in ihre Wohnung und beschlagnahmte es als Beweisstück.

So begann ein langjähriges Verfahren gegen die siebenfache Mutter wegen Verletzung des Paragrafen § 86a StGB, das Verbreiten und Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen verbietet. Schwerpunktmäßig handelt es sich dabei um Symbole mit Bezug zum Nationalsozialismus. Die Anklage übernahm die Staatsanwaltschaft mit dem Kernargument, dass Protest der Angeklagten "prorussische Sichtweisen" beinhaltete und im Zusammenhang mit dem "Angriffskrieg gegen die Ukraine" nicht friedensfördernd sei. Das Gericht hat am 24. November letzten Jahres der Anklage stattgegeben und verurteilte Alexandra V. zur Zahlung von 1.000 Euro. Die Verteidigung ging in die Berufung und nun gewann den Prozess. 

Verhandelt wurde die Sache im Amtsgericht Tiergarten am Dienstag. Die Angeklagte war aus gesundheitlichen Gründen nicht anwesend, vertreten wurde sie durch gleich zwei junge Anwältinnen vom Haus der Demokratie und Menschenrechte. Cornelia Praetorius, eine weitere Aktivistin der Vereinigung, wurde als Zeugin vernommen, und ein Polizist, der sich indessen noch schwer an den Vorfall erinnern konnte. Mehrere weitere Mitstreiter der Angeklagten verfolgten das Geschehen von der Zuschauerbank. 

In der Verhandlung spielte das Profil der Vereinigung eine wesentliche Rolle. Dem Zusammenschluss "Mütter gegen den Krieg Berlin-Brandenburg" gehörten deutsche Frauen und Männer, Antifaschisten und Demokraten aus dem Osten und dem Westen der Bundesrepublik, zwei Araber, drei jüdische Bürger, zwei Russen und zwei Ukrainer an, die alle gemeinsam seit dem NATO-Aggressionskrieg gegen Jugoslawien im Jahre 1999 wöchentlich für Frieden und Zusammenarbeit zwischen den Staaten gegen die Aggressionen der NATO in aller Welt auf den Straßen Berlins demonstrierten. 

So beschrieb ihre Organisation in einem Satz deren Vorsitzende Brigitte Queck in einer Pressemitteilung. Mit dem faschistischen Gedankengut könne solch eine Vereinigung nichts Gemeinsames haben und die Darstellung der Nazi-Symbole auf den Rücken und Brüsten ukrainischer Nazis und Rechtsradikaler und auf den Fahnen, die sie in der Hand haben, diene ausschließlich der Aufklärung und Kritik, was durch die sogenannte "Sozialklausel" zulässig sei. Von Propaganda des Nazismus könne natürlich keine Rede sein.

So könnte man das Kernargument der Verteidigung in zwei Sätzen fassen. Geredet haben die beiden Rechtsanwältinnen zusammengenommen gut zehn Minuten. Auch gingen Sie auf politische Komponenten im Vermerk der Staatsanwaltschaft und in der Urteilsbegründung des Amtsgerichts ein – die Kritik an Nationalsozialisten in der Ukraine sei "nicht friedensfördernd", genauer gesagt ergebe sich daraus eine "prorussische Sichtweise". Dies sei für eine Bewertung der Strafbarkeit nach § 86a StGB aber vollkommen unerheblich. Entscheidend sei, dass durchweg die ablehnende Haltung gegenüber den auf dem Plakat zu sehenden Personen erkannt wurde. Das unterstreiche, wie offenkundig die Ablehnung der abgebildeten Inhalte für einen verständigen Betrachter gewesen sei, so die Rechtsanwältin Yolanda Scheytt. 

Ihre Kollegin, Leonora Arslani, ging in ihrem Plädoyer auf die historische Verantwortung Deutschlands ein. "Gerade die kritische Auseinandersetzung mit nationalsozialistischen Symbolen und Ideologien entspricht der historischen Verantwortung Deutschlands, rechtsextreme Tendenzen abzuwehren, und wirkt der Verbreitung rechter Ideologien entgegen", sagte sie. Den Vorwurf gegen ihre Mandantin kehrte sie ins Gegenteil um. Sie habe hier also gehandelt, "um verfassungsfeindlichen Bestrebungen entgegenzutreten, um sie abzuwehren und nicht um sie zu fördern". 

Auch scheute die engagierte Juristin nicht davor zurück, klar zu benennen, wer diese Bestrebungen aus ihrer Sicht fördert. "Seit dem Beginn des Krieges in der Ukraine erhielten nicht nur demokratische Kräfte, sondern auch rechtsextreme Gruppen militärische und finanzielle Unterstützung durch den ukrainischen sowie den deutschen Staat."

Im Gerichtsraum mit schlechter Akustik war die Anklage der Staatsanwältin nur schwer zu verstehen. Im Vergleich zu den beiden Plädoyers fiel sie extrem kurz aus. Argumentativ griff sie vor allem den angeblichen Umstand auf, dass Nazismus-Kritik auf dem Transparent beim flüchtigen Blick nur schwer erkennbar sei. "Unter Berücksichtung der Gesamtschau der Veranstaltung und des Plakates ergebe sich aus der Überschrift  eine solche eindeutige Gegnerschaft nicht". Auf Kritik der angeblich prorussischen Ansichten der Manhwache-Teilnehmer verzichtete sie dieses Mal. 

Nach einer viertelstündigen Pause verkündete der zuständige Richter die Aufhebung des Urteils und den daraus folgenden Freispruch. Die Kosten des Verfahrens für die Angeklagte sowie die soweit entstandenen Auslagen trage die Landeskasse, fügte er hinzu. Zur Urteilsbegründung sagte er, dass dies rechtlich kein einfacher Fall gewesen sei. Dennoch räumte er ein, dass politische Ansichten der Vereinigung "Mütter gegen den Krieg" in diesem Fall keine maßgebliche Rolle spielen dürften. Entscheidend sei hingegen, was die Aussage des Plakates sei.

Der Ausgang des Verfahrens erfreute natürlich die anwesenden Vereinigungsmitglieder und die beiden Anwältinnen. Dies sei ein wichtiger Tag für den Schutz der Meinungsfreiheit in Deutschland, sagten sie. "Das war ein gutes Urteil, was die Meinungsfreiheit angeht, und ja, ich freue mich über dieses Urteil", sagte Arslani. "Der Fall war wichtig und wir haben gewonnen", sagte Scheytt. 

Die beiden jungen Fachfrauen haben es offenbar geschafft, mit ihren überzeugenden Plädoyers den Russland-Bezug aus dem Urteil auszutreiben. "Prorussische Sichtweise" ist kein juristisches Argument, sondern ein politisches. Und da heißt es ja, dass die vor Gericht nicht stattfinden sollten, und "deswegen haben wir uns natürlich daran gestoßen", so Scheytt rückblickend. 

Welche Schlussfolgerung dürfen die Aktivisten und Demonstranten aus dem Verfahren ziehen? Das eigentlich Selbstverständliche: dass man nach wie vor das darf, was man davor ohnehin getan hat. "Man darf dokumentieren und die Wahrheit so zeigen, wie sie ist", so die Rechtsanwältin dazu. Es sei aber auf eine Art tragisch, dass es dafür drei Jahre benötige und eine Handvoll Juristen, die daran arbeiten,

"denn dass man die Wahrheit zeigen dürfen muss, sollte ja selbsterklärend sein". 

Und wie geht es der Betroffenen Alexandra V., die sich im August 2022 mit ihrem Pranger-Plakat auf die Straße traute? Sie sei eingeschüchtert und gehe seitdem nicht mehr zu den Protesten, berichtete die Zeugin dem Gericht. Dieses Verhalten ist Juristen bekannt und heißt Chilling-Effekt, also Abkühlungseffekt. Yolanda Scheytt erklärt: "Die Einschränkung der Meinungsfreiheit bedeutet, dass Leute sich weiter zurückziehen." Und dafür sei das ein "sehr guter Fall, ein sehr guter Beispielfall", um zu sehen, was "eben auch die politische und soziale Dimension von solch strafrechtlicher Verfolgung sein kann".

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