Medienwissenschaftler Norbert Bolz: Hausdurchsuchung nach X-Beitrag zum Thema "Woke"

Der Medientheoretiker und Publizist Norbert Bolz berichtet in den sozialen Medien über die jüngst erfahrene Hausdurchsuchung wegen eines X-Beitrags aus dem Vorjahr. Der Welt-Kolumnist kommentierte damals einen X-Titel der Berliner Taz. Die Beamten hätten ihm den Tipp gegeben, "in Zukunft vorsichtiger zu sein".

Professor Norbert Bolz, ein für seine pointierte Wahrnehmung bekannter Medienwissenschaftler, informierte am heutigen Donnerstag über den überraschenden Besuch der Staatsmacht, in Form von "netten Polizisten". Sein Vergehen war demnach ein X-Kommentar vom Januar 2024. Bolz reagierte damals gewohnt direkt in der Formulierung auf einen beworbenen Taz-Artikel vom 19. Januar 2024. Dieser trug zu diesem Zeitpunkt noch den Titel: "AfD-Verbot und Höcke-Petition: Deutschland wacht auf." Bolz bemerkte kurz und knapp: "Gute Übersetzung von 'woke': Deutschland erwache!". Nun erfolgte die disziplinierende Maßnahme seitens des BKA und der Justiz.

Die X-Mitteilung zu dem aktuellen Vorgang lautet:

"Hausdurchsuchung wegen eines Posts. Junge, nette Polizisten, die mir abschließend den guten Rat gegeben haben, in Zukunft vorsichtiger zu sein. Das werde ich tun und nur noch über Bäume sprechen."

Die Nius-Redaktion wollte von Bolz erfahren, wie er sich nach der polizeilichen Maßnahme fühle:

"In der Wirklichkeit angekommen. Normalerweise schreibe und spreche ich über diese Welt. Es ist unheimlich, wenn diese Realität dann plötzlich vor der Tür steht. Ich kann nicht sagen, dass ich erschüttert bin – das würde bedeuten, dass ich damit nicht gerechnet habe. Aber dass sie eins zu eins so ist, wie die kritischen Diagnosen es beschreiben, das ist in jeder Hinsicht gruselig."

Zur Vorgeschichte die Abbildung des juristisch verfolgten X-Beitrags von Bolz:

So lautete die Originalüberschrift des Artikels der "Autor*in Lotte Laloire" am 19. Januar 2024, wie im X-"tazgezwitscher"-Beitrag zitiert:

"AfD-Verbot und Höcke-Petition: Deutschland wacht auf. Rechte drohen die Macht zu übernehmen und endlich wächst der antifaschistische Widerstand. Gerichte könnten ihn unterstützen. Pessimismus nicht."

Bereits am Veröffentlichungstag wurde dann die Überschrift seitens der Taz-Redaktion geändert, dabei jedoch der X-Beitrag vergessen, den dann Bolz erst am 20. Januar nachweislich kommentierte. Die neue Überschrift lautet bis heute im Taz-Archiv:

"AfD-Verbot und Höcke-Petition – Raus aus der Ohnmacht"

Zu den Gründen der Ermittlungen heißt es in einem aktuellen Welt-Artikel (Bezahlschranke):

"Bei 'Deutschland erwache' handelt es sich um eine NSDAP-Parole. Die Staatsanwaltschaft wertet die Verwendung als strafbare Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. Der Zusammenhang, in dem Bolz die Aussage tätigte, blieb dabei offenbar unbeachtet. Dem Beschuldigten sei bewusst gewesen, dass es sich bei dem Ausspruch um eine Losung der SA handele, heißt es in einem Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts Tiergarten vom 29. April, den WELT einsehen konnte."

Zu der Motivation des bewusst provozierenden X-Beitrags erklärt Bolz im Artikel:

"Bolz hingegen verweist auf den Kontext seines Beitrags: 'Ich hielt das für einen guten Witz. Die Taz hatte etwas über Höcke geschrieben, mit dem Fazit 'Deutschland erwacht'. Ich dachte: Das ist eigentlich eine gute Definition von 'woke'. Denn 'woke' heißt ja auch 'erwacht'."

Bolz war zuletzt als Professor am Institut für Sprache und Kommunikation an der Technischen Universität Berlin tätig. Er berichtet im Welt-Artikel, dass insgesamt vier Polizisten "gegen 9 Uhr morgens bei ihm aufgetaucht seien." Sie hätten dann nach Zutritt zur Wohnung "einen Screenshot des Beitrags gesichert und ihm geraten, 'in Zukunft vorsichtiger zu sein'."

Die Berliner Staatsanwaltschaft erklärte auf Welt-Anfrage:

"Die Durchsuchung sei nicht Teil einer größeren Ermittlungsreihe zu strafbaren Inhalten in sozialen Netzwerken. Beschuldigt sei nur ein '72-Jähriger' wegen des vorgenannten Sachverhalts. 'Die Ermittlungen dauern an. Weitere Auskünfte können zum Schutz der Ermittlungen nicht erteilt werden', so ein Sprecher."

Auf dem Durchsuchungsbeschluss war laut Bolz auch das Logo des Bundeskriminalamts zu erkennen, "was darauf hindeutet, dass die Behörde in die Ermittlungen eingebunden war."

Der Medienwissenschaftler resümiert: "Verrücktheit hat die Seiten gewechselt." Gegenüber der Berliner B.Z. kommentiert Bolz:

"Die traurige, despotische Wirklichkeit, die ich in den letzten Jahren immer nur beschrieben habe, hat mich eingeholt – gruselig."

Gegenüber der Berliner Zeitung gibt er zu Protokoll, er habe den X-Beitrag "in einem eindeutig ironisch-kritischen Kontext verwendet". Wer ihn angezeigt hat, weiß Norbert Bolz demnach zum jetzigen Zeitpunkt weiterhin nicht.

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