BILD und Focus berichteten an diesem Sonntagmorgen übereinstimmend über Äußerungen der Regierungsparteien, wonach das Bundesgesundheitsministerium unter Nina Warken (CDU) dringend Sparvorschläge prüfe, wie die Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung und der Pflegeversicherung sichergestellt werden kann. Den gesetzlichen Krankenversicherungen wird für das Jahr 2026 eine Lücke von vier Milliarden Euro prognostiziert, der Pflegeversicherung werden immerhin zwei Milliarden Euro fehlen.
Findet sich keine andere Lösung, müssten diese Fehlbeträge durch Beitragserhöhungen ausgeglichen werden. Eine Steigerung der Lohnnebenkosten (ohnehin schon auf Rekordniveau) wäre aber Gift für die schwächelnde Konjunktur in Deutschland, der insbesondere auch die Kaufzurückhaltung der Deutschen zu schaffen macht.
Bundesgesundheitsministerin Warken steht – so die Berichte – unter Druck, denn nur unter Vorlage von Sparmaßnahmen will Bundesfinanzminister Lars Klingbeil (SPD) zusätzliches Geld aus dem Bundeshaushalt zur Finanzierung der Krankenkassen zur Verfügung stellen. Derzeit beschäftigt sich eine Bund-Länder-Kommission mit der Reform der Pflegeversicherung, die auch eine Überprüfung der Pflegegrade umfassen soll. Ein erster Bericht der Kommission soll bereits in wenigen Wochen vorliegen. Da liegt es nahe, die Streichung des Pflegegrads 1 erneut ins Gespräch zu bringen, die ohnehin schon einmal Thema bei den Koalitionsverhandlungen war.
Damit könnte man laut einer Studie des RWI-Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung rund 1,8 Milliarden Euro sparen – was die Zwei-Milliarden-Lücke der Pflegesicherung nahezu decken würde. Und da die Zahl der Pflegebedürftigen nach Pflegegrad 1 von Jahr zu Jahr zunimmt (allein im Jahr 2024 um 81.500 Personen), könnte man mit dieser Kürzung dauerhaft Geld einsparen. Insgesamt mehr als 860.000 Menschen sind im Pflegegrad 1 eingestuft.
Pflegegrad 1 bedeutet, dass der Betroffene unter einer geringen Beeinträchtigung der Selbstständigkeit leidet. Mit einem Entlastungsbeitrag von 131 Euro im Monat kann der Empfänger beispielsweise eine Putzhilfe oder einen Einkaufsdienst bezahlen oder den Betrag den Angehörigen zukommen lassen, die ihn pflegen. Außerdem werden Pflegemittel im Umfang von 42 Euro monatlich finanziert. Ebenso gibt es rund 25 Euro als Zuschuss für einen Hausnotruf. Der Höchstbetrag für eine Wohnraumanpassung beträgt etwas über 4.000 Euro.
Es stellt sich allerdings die Frage, ob die erhoffte Einsparung durch die Streichung des Pflegegrads 1 nicht eine Milchmädchenrechnung ist. Denn die finanziellen Leistungen bei Pflegegrad 1 dienen ja dazu, den Empfängern ein weitgehend selbstständiges Leben weiterhin zu ermöglichen und ihren Gesundheitszustand nach Möglichkeit zu stabilisieren. Fallen diese Hilfen in Zukunft weg, könnten die Betroffenen also womöglich umso schneller in einem höheren Pflegegrad wieder auftauchen ‒ mit höheren Kosten für Pflegekasse und Bund.
Öffentlich geäußert hat sich zum Kürzungsvorhaben bisher nur Sepp Müller von der CDU, der stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion im Bundestag. Gegenüber Bild ließ er verlauten: "Die Lohnnebenkosten müssen sinken, anstatt zu steigen. Das muss unser oberstes Ziel sein, um Arbeitsplätze und Wohlstand zu sichern. Deshalb müssen wir alle Instrumente ernsthaft prüfen."
Eine Prüfung der Ausgaben für die Ukraine ist dagegen anscheinend nicht im Gespräch. Seit 2022 hat Deutschland nach Angaben der Bundesregierung insgesamt 72 Milliarden Euro bereitgestellt, davon 38 Milliarden an militärischer Unterstützung ‒ also ein Vielfaches der Gelder, die jetzt im Sozialbereich fehlen. Ein Gesetz zur Abschaffung des Bürgergelds für ukrainische Flüchtlinge ist zwar seit Monaten im Gespräch, ein entsprechender Gesetzentwurf liegt bislang aber noch nicht öffentlich vor. Es sieht so aus, als müssten die Deutschen ihren gewohnten Lebensstandard weiterhin für den Ukraine-Krieg opfern.
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