"Wir müssen davon ausgehen, dass Russland bis etwa 2029 in der Lage sein wird, die NATO auf ihre Geschlossenheit hin zu testen", mutmaßte der Kommandeur des Landeskommandos der Bundeswehr, Kapitän zur See Kurt Leonards, in einem T-Online-Interviews zur bevorstehenden Bundeswehrübung "Red Storm Bravo" in der Hansestadt Hamburg im Zeitraum vom 5. bis 27. September. Die Übung wurde laut Bundeswehrangaben "schon seit mehr als einem Jahr geplant". Vorgesehen ist nun die Teilnahme von "rund 500 Soldatinnen und Soldaten". Laut einem Beitrag des NDR habe sich auch die Hamburger Arbeitsagentur auf die Krisenfallübung "vorbereitet".
Der NDR zitiert zu der anstehenden Großübung Thilo Geiger vom Hamburger Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik mit der Aussage, dass die Übung "vor dem Hintergrund wachsender Spannungen mit Russland und der zunehmenden Bedrohung durch hybride Kriegsführung ins aktuelle Bild passe". Seine Begründung dazu lautet:
"Dieser hybride Krieg zielt am Schluss darauf, uns als Demokratie zu destabilisieren und uns damit als internationaler Partner handlungsunfähig zu machen."
Bundeskanzler Friedrich Merz behauptete im Juli dieses Jahres, dass Russland "seit mehreren Jahren im Hoheitsgebiet der europäischen Länder einen hybriden Krieg führt". Der im Titel der Übung verwendete Begriff "Bravo" gilt als militärische Bezeichnung, die im Falle "einer konkreten, aber noch nicht akuten Bedrohung durch eine feindliche Handlung und im Rahmen von Gefährdungsstufen von der Bundeswehr oder in der NATO verwendet wird".
In einem weiteren Artikel des NDR heißt es zu den Hintergründen der Übung für einen "Spannungsfall":
"Geübt wird ein Szenario, bei dem es zur Krise an den Grenzen der baltischen Staaten kommt. Zum Beispiel könnte Russland dort starke Truppen zusammenziehen, ähnlich wie vor Beginn des Ukraine-Kriegs. Das wäre noch kein Krieg, aber ein Spannungsfall. Die NATO würde vorbeugend eigene Truppen an die Ostgrenze verlegen."
Zur Auswahl der Stadt Hamburg für die Bundeswehrübung wird erläutert:
"Hamburg ist ein wichtiger Hafen für die NATO. Anders als im Kalten Krieg ist die Stadt nicht mehr mögliche Frontstadt, sondern Logistik-Drehscheibe. Im Spannungsfall würden Truppen und Material durch den Hamburger Hafen transportiert. Der Hafen und die Verkehrswege müssten dafür freigehalten und abgesichert werden."
Bei dem "praktischen Teil" der Übung werden betroffene Anwohner und Bürger unter anderem mit der "Versorgung einer größeren Zahl von Verwundeten, dem Transport von Ausrüstung durchs Stadtgebiet" sowie dem "Umgang mit einer Schiffshavarie und der Abwehr von Drohnen" konfrontiert. Der NDR informiert über dieses Militainment in der Öffentlichkeit:
"Kann ich mir die Übung als Zuschauerin und Zuschauer ansehen? Nein. 'Red Storm Bravo' ist keine öffentliche Veranstaltung. Hubschrauberflüge und Truppenbewegungen wird es aber auch außerhalb des Hafens im Stadtgebiet geben."
"Menschen und Unternehmen" sollen laut demnach "möglichst wenig beeinträchtigt werden". Dafür würden "Kolonnenfahrten zum Beispiel nachts stattfinden, um Staus zu vermeiden". Neben dem "Landeskommando Hamburg" und den Einheiten der Bundeswehr nehmen "auch Einsatzkräfte der Polizei und Feuerwehr, das Technische Hilfswerk (THW), Landesbehörden sowie Unternehmen wie Airbus oder die Hamburg Port Authority" an der Übung teil. Bereits im August informierte der NDR:
"Bundeswehr-Übung: Auch Arbeitsagentur bereitet sich auf Krisenfall vor … Die Regeln für den Ernstfall stammen noch aus dem Kalten Krieg: Schon in den 1960er-Jahren wurde das "Arbeitssicherstellungsgesetz" beschlossen. Hinter dem sperrigen Namen verbirgt sich, dass Menschen im Krisenfall zu bestimmten Arbeiten verpflichtet werden können."
Zu den weiteren Hintergründen teilt der Bundeswehrkommandant im T-Online-Interview hinsichtlich des "zugrundeliegenden Konzepts der Übung" mit:
"Grundlage ist der 'Operationsplan Deutschland'. Deutschland ist in diesem Plan die logistische Drehscheibe für [NATO-]Truppenverlegungen von West nach Ost. Jedes Landeskommando übt deshalb mit dem jeweiligen Innenministerium die Umsetzung."
Deutschland befinde sich demnach "in einem vorgelagerten Szenario – noch ohne Krieg". Wörtlich erklärt der "Kapitän zu See":
"Russland versucht darin, die NATO zu spalten, sie zu testen, ohne dass ein Artikel-5-Fall eintritt. Juristisch ist das weiterhin Frieden, aber wir bewegen uns in einer Phase erhöhter Spannungen, auf die wir vorbereitet sein müssen."
Der Sorge von Bürgern, dass "solche Übungen zu einer Militarisierung des Alltags führen könnten", begegnet er mit dem Hinweis:
"Diese Sorge ist nachvollziehbar, gerade weil viele Menschen solche Bilder nicht mehr gewohnt sind. Aber Abschreckung funktioniert nur dann, wenn sie sichtbar und glaubwürdig ist."
Deshalb müsse auch die Bundeswehr wieder vermehrt "im öffentlichen Raum üben – allerdings mit Augenmaß".
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