Von Dagmar Henn
Die Aufnahmezusagen für Afghanen können geradezu als Musterfall gelten, wenn man untersuchen will, was am deutschen System so problematisch ist. Das wurde bereits bei der Auseinandersetzung um die Gültigkeit der getätigten Aufnahmezusagen sichtbar: Im Rahmen eines Programms, das eigentlich ehemalige Kollaborateure der Bundeswehr in Afghanistan, sogenannte "Ortskräfte", nach Deutschland in Sicherheit bringen sollte, wurden zahlreiche andere Personen nach Deutschland gebracht, die aus anderen Gründen als gefährdet galten.
Dabei gab es schon längst vielfach Kritik an diesem Programm, das nach der Machtübernahme der Taliban aufgelegt wurde. Der Afghanistan-Experte Hans-Hermann Dube, der selbst Entwicklungsprojekte am Hindukusch geleitet hat, erklärte etwa im Februar, aber auch erst vor wenigen Tagen wieder, die behauptete Lebensgefahr für die Eingeflogenen existiere gar nicht: "An den Menschen, die in Afghanistan für Deutschland gearbeitet haben, üben die Taliban keine Rache. Ich sehe keine belegten Fälle für Racheakte vonseiten der afghanischen Regierung. Das Programm ist also schlichtweg unnötig."
Dube, der auch unter der Taliban-Regierung nach Afghanistan gereist ist, als Privatperson, ist allerdings sowohl für die alte als auch für die neue Bundesregierung ein unwillkommener Experte, weil er eigentlich Deutschland in der Pflicht sieht, Entwicklungsprojekte trotz des Machtwechsels fortzuführen: "Wir dürfen nicht vergessen: Der Westen ist in Afghanistan einmarschiert – nicht umgekehrt … Die Afghanen haben uns nie angegriffen, doch wir haben ihrem Land enormen Schaden zugefügt. Das wir sie nun ihrem Schicksal überlassen, halte ich für fatal."
Im Interview im Februar setzte er noch Hoffnungen auf eine CDU-Regierung, die diplomatische Beziehungen wiederherstellen könne.
Während der Amtszeit der Ampelkoalition war es unter Außenministerin Annalena Baerbock zu mehreren Skandalen gekommen, weil Visa an Afghanen, die eingeflogen werden sollten, erteilt wurden, ohne dass die erforderlichen Überprüfungen vorgenommen worden waren. In einem Fall gab es sogar eine Anweisung aus dem Ministerium, gegen Papiere, die die deutsche Botschaft in Islamabad für falsch hielt, dennoch ein Visum zu erteilen.
Zuständig für die Auswahl der Kandidaten für das Aufnahmeprogramm waren deutsche NGOs in Pakistan, vor allem der Verein Kabul-Luftbrücke, der anfangs auch selbst einen Charterflug mit Afghanen organisiert hatte. Mit einer Verzögerung von acht Monaten wurde nun ein Bericht des Bundesrechnungshofes vom Januar dieses Jahres bekannt, der sich mit der Tätigkeit dieser NGOs befasst und skandalöse Zustände entdeckte.
Im Oktober 2022 war das Bundesaufnahmeprogramm von Außen- und Innenministerium verkündet worden. Zuvor waren bereits 26.000 Personen aus Afghanistan nach Deutschland gebracht worden, nach Angaben des Ministeriums bereits zwei Drittel der "Ortskräfte". Ab diesem Moment wurde die Auswahl der "geeigneten Personen" an NGOs übertragen. "Die teilnehmenden zivilgesellschaftlichen Organisationen werden durch eine vom BMI finanzierte Koordinierungsstelle bei diesem Verfahren unterstützt", hieß es in der damaligen Erklärung.
Zum Zeitpunkt des Berichts des Bundesrechnungshofes, der die Jahre 2022 bis 2024 umfasst, flossen an die Koordinierungsstelle Fördermittel in Höhe von 8,3 Millionen Euro. Der Bericht greift teilweise auf Abrechnungsprüfungen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) zurück, die jedoch Anfang dieses Jahres für das Jahr 2023 noch nicht abgeschlossen waren. Was nicht verhinderte, dass sich darunter folgende Angaben finden:
"Beleg Nummer 54 des Jahres 2023 enthält die Kreditkartenabrechnung des Trägers für Februar 2023. Aufgelistet sind etwa Ausgaben von 307,80 Euro für ein Frühstück für die Beschäftigten der Koordinierungsstelle sowie 655 Euro für ein Geschäftsessen für sechs Personen (mehrere Beschäftigte der Koordinierungsstelle sowie eines IT-Dienstleisters). Teuerste Einzelposition dieses Belegs ist ein Steak für 178 Euro."
Zum Stichwort IT-Dienstleister passt dann auch, dass 2022 von dieser Koordinierungsstelle ein Auftrag über 651.800 Euro für eine Softwarelösung ohne Ausschreibung vergeben wurde. Insgesamt kam das BAMF auf eine Rückforderung von über 300.000 Euro, die der Träger jedoch nicht zahlen könne, so der Rechnungshof. Und dann: "Dennoch haben weder BAMF noch das BMI [Bundesministerium des Inneren] in Bezug auf eine Förderung im Jahr 2025 Konsequenzen gezogen und eine weitere Förderung ausgeschlossen."
Das BMI hat das Finanzgebaren des Trägers damit entschuldigt, er habe "zu Beginn der Förderung über keine Erfahrungen im Zuwendungsrecht verfügt. Er sei aber die einzige NGO, die bereit gewesen sei, als Koordinierungsstelle innerhalb des Bundesaufnahmeprogramms für Afghanistan tätig zu werden." Der Rechnungshof jedenfalls bestand darauf, die Förderung dieser NGO im Haushalt 2025 einzustellen, die aber im Bericht nicht konkret benannt wird. Im aktuellen Haushaltsentwurf für 2025 soll keine Zahlung an die Koordinierungsstelle mehr enthalten sein.
Eine der auffälligsten NGOs in diesem Zusammenhang ist Kabul Luftbrücke, noch im Jahr 2021 gegründet unter Beteiligung eines ehemaligen grünen Europaabgeordneten, Erik Marquardt. Inzwischen firmiert Kabul Luftbrücke als "eine Initiative der Aab Humanitarian Association gGmbH"; die wiederum ist beim Bezirk Charlottenburg registriert; derzeitige Geschäftsführerin ist Vesna Donic.
Es war Kabul Luftbrücke, die die juristische Auseinandersetzung am Verwaltungsgericht Berlin vorangetrieben hat, indem sie für Dutzende Afghanen, die eine der zweifelhaften Aufnahmezusagen erhalten hatten, Klage auf Erteilung eines Visums einreichte, womit sie in der ersten Instanz erfolgreich war. In der zweiten jedoch, beim Oberverwaltungsgericht, stießen die NGO-Vertreter wohl auf keine Freunde. Das OVG verlangte explizit für die Visavergabe eine persönliche Vorsprache bei der Botschaft, die wohl bisher nicht erforderlich war. "Nur im Rahmen einer persönlichen Vorsprache", so das OVG, "ist es der Auslandsvertretung möglich, neben der gebotenen Prüfung der Identität des Nachzugswilligen vor dessen Einreise in das Bundesgebiet zu klären, ob in Bezug auf die jeweilige Person Sicherheitsbedenken bestehen".
Die Aab Humanitarian Association gGmbH war übrigens auch im Bundestagswahlkampf aktiv und organisierte eine Kampagne mit, die mit Plakaten davon abhalten sollte, die "falschen" Parteien zu wählen: "Kreuzweise gegen rechts".
Während Kabul Luftbrücke damit befasst war, Menschen in das Bundesaufnahmeprogramm zu bringen, ist die AaB Humanitarian Association nach Angaben auf der eigenen Webseite mit der Vorstufe beschäftigt: "Wir evakuieren weiterhin gefährdete Menschen – insbesondere Frauen und minderjährige Kinder – von Afghanistan nach Pakistan." Angaben zu Spendern oder zu möglichen öffentlichen Mitteln finden sich auf der Webseite nicht, obwohl die Struktur der gGmbH selten genutzt wird, wenn es nicht um den Zugriff auf öffentliche Förderung geht.
Bis zum Sommer vergangenen Jahres war die Kabul Luftbrücke bei dem Verein Civilfleet-Support e.V. angesiedelt, der auch "Seenotretter" und Helfer entlang der Balkanroute unterstützt. Aber die Geschäftsführerin der AaB gGmbH war schon Projektleiterin bei Civilfleet.
Derzeit wird die Auseinandersetzung um die Abarbeitung des Aufnahmeprogramms vor allem gerichtlich geführt. Unklar ist, inwieweit Kabul Luftbrücke auch in völlig anderen Fällen aktiv ist, neben anderen NGOs, versteht sich. In diesem Zusammenhang sind zwei aktuelle Meldungen interessant.
Die erste besagt, dass in den letzten Monaten zwar die Zahl neu eingetroffener Asylbewerber zurückgegangen ist, aber die Zahl der Asylverfahren vor den Verwaltungsgerichten einen völlig neuen Rekord erreicht hat. Bis Ende Juni, so berichtet der Spiegel, waren schon 76.646 neue Hauptsacheverfahren bei den Gerichten eingegangen. Im Jahr 2024 waren es im gesamten Jahr 100.494. Der Vorfall in Friedland, wo ein abgelehnter, ausreisepflichtiger Asylbewerber ein Mädchen vor den Zug gestoßen hat, liefert ein aktuelles Beispiel, woher diese Verfahren kommen – er hatte zuletzt gegen seine Abschiebung nach Litauen nach dem Dublin-Verfahren geklagt, weil er dort "als Homosexueller misshandelt" werde, und einen erneuten Asylantrag gestellt, weswegen er in Friedland untergebracht war.
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, so die Aussage des Bundesgeschäftsführers des deutschen Richterbundes zu diesem Thema, bearbeite die Asylanträge inzwischen schneller, weshalb auch die Klagen früher erfolgten und dadurch diese größere Zahl entstünde. Das dürfte aber nur ein Teil der Geschichte sein.
Ein anderes Detail in diesem Zusammenhang ist die Tatsache, dass, auch wenn die Zahl der eintreffenden Asylbewerber sinkt, die Zahl der Asylanträge von Afghaninnen zuletzt sprunghaft gestiegen ist. Im Juli waren es 3.104 neue Anträge. Dabei handelt es sich bei den Afghanen, die in Deutschland eintreffen, nach wie vor weit überwiegend um Männer; diese Anträge der Afghaninnen sind vor allem Folgeanträge. In der Zeit ist zu lesen:
"Insgesamt haben demnach seit Jahresbeginn fast 9.600 Afghaninnen Asylanträge in Deutschland gestellt. Knapp die Hälfte davon gehe von Frauen aus, die bereits in Deutschland leben, aber keinen Asylstatus haben – nun aber sogenannte Folgeanträge stellen."
Dahinter steckt vermutlich der Umstand, dass zuletzt wieder Abschiebungen nach Afghanistan stattfanden. Für die Durchführung einer Familienzusammenführung genügt aber bereits ein Familienmitglied mit einem bewilligten Asylantrag, um den Rest der Familie in Deutschland zu halten. Dass jetzt – und nicht mit dem Übergang der Macht in Afghanistan an die Taliban im Sommer 2022 – afghanische Frauen, die bereits in Deutschland leben, Asylanträge stellen, dürfte aber neben der Frage möglicher Abschiebungen auch das Ergebnis der Arbeit entsprechender NGOs sein, die die für den Erfolg des Asylersuchens notwendige Argumentation bekannt machen, so wie vermutlich auch im oben erwähnten Fall des Irakers in Friedland.
Inwieweit die Bundesregierung sich an den Beschluss des Oberverwaltungsgerichts hält oder wie weit sie dem medialen Druck nachgibt, den Import von Afghanen wieder aufzunehmen, ist noch nicht klar. Unübersehbar ist jedoch, dass die entsprechenden NGOs ihre Arbeit mit erhöhtem Druck fortsetzen. Dabei kommt ihnen nicht nur die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zugute, der sich müht, Einwanderung zu einem Menschenrecht zu erklären, sondern es gibt auch das verlockende Ziel von Steaks für 175 Euro aus Steuermitteln.
Unter den 45 Anfang des Monats eingeflogenen Afghanen waren übrigens genau null Ortskräfte, die angeblich der Grund für das gesamte Programm waren. Nein, es handelte sich samt und sonders um Personen, denen NGOs in Afghanistan bescheinigten, besonders gefährdet zu sein, und die sich daraufhin mit Familien von bis zu 13 Personen im Schlepptau nach Deutschland aufmachen konnten, um künftig von den Deutschen erhalten zu werden. Vor allem von jenen, die keinen Zugriff auf 175-Euro-Steaks haben.
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