"Intensiv nachgedacht" – Habeck gibt Bundestagsmandat auf

Der ehemalige Vizekanzler und selbsternannter Wunsch-"Bündniskanzler" wird sein Bundestagsmandat aufgeben. Zum Anfang des kommenden Monats wird er aus dem Parlament ausscheiden. Er gehe nun "komplett ins Offene und lasse die Leinen los".

Der Ex-Wirtschaftsminister und Ex-Vizekanzler in der Ampelregierung sowie gescheiterte  "Bündniskanzler" Robert Habeck verlässt endgültig den Bundestag. In einem terminierten taz-Interview zu den Neuheiten erklärt er: "Biografisch geht’s nach vorn, indem ich das nächste Jahr ins Ausland gehe".

Der Grünen-Politiker saß seit 2021 im Reichstag von Berlin. Er habe in "den Sommerferien intensiv nachgedacht", so der Kinderbuchautor laut Bild-Zeitung in einer Mail an einen Parteifreund.

In einem aktuellen Interview mit der Berliner taz gibt Habeck zu Protokoll:

"Ich habe an diesem Montag dem Bundestagspräsidium mitgeteilt, dass ich zum 1. September mein Bundestagsmandat zurückgeben werde."

Die taz-Überschrift lautet:

"Ich will nicht wie ein Gespenst über die Flure laufen."

Habeck erklärt wörtlich in dem Gespräch zu den Gründen seiner Entscheidung:

"Ich erinnere mich, dass ich beim tazlab im April gesagt habe, ich werde rausfinden, wo ich die größte Wirksamkeit erzielen kann. Über diese Frage habe ich lange nachgedacht. Für mich stellen sich die Dinge so dar, dass ich Abstand zu dem zu engen Korsett des Berliner Politikbetriebs gewinnen muss, auch, um erst mal wieder zu empfangen und nicht gleich weiterzusenden, wie die letzten Jahre. Man sagt, wo eine Tür zugeht, geht auch eine auf. Ich glaube, man muss auch manchmal eine zuziehen, damit eine neue aufgeht."

Der Bild-Artikel kommentiert zu der Mitteilung, die Redaktion unweit gelegen von den taz-Kollegen:

"In einem Interview, das Habeck der taz gegeben hat, teilt er massiv aus. Zielscheibe: die Union. Habeck klagt in der taz: 'Schwarz-Grün ist von der Union – Merz, Söder, Spahn, Klöckner – verächtlich gemacht und zerstört worden.' Dann teilt er richtig aus!"

So führt Habeck im taz-Interview weiter aus:

"Und die sind ja alle politisch befördert worden, haben also noch mehr zu sagen in der Union. Da muss ein neuer Ansatz gefunden werden. Und den finde ich nicht innerhalb der Röhren des Systems, das ich die letzten 20 Jahre mit aufgebaut habe."

Der Berliner Tagesspiegel berichtet zu den Neuheiten aus dem Regierungsviertel:

"Viele Parteimitglieder machten Habeck mitverantwortlich für das enttäuschende Wahlergebnis. Gerüchte über einen möglichen Rückzug des 55-Jährigen aus dem Parlament kursierten bereits seit einiger Zeit."

Hinsichtlich Habecks Wahl, der taz ein Interview zur Mandatsaufgabe zu geben, berichtet der Spiegel:

"Er selbst reagierte bislang auf Fragen zu seinen Zukunftsplänen empfindlich. Ein im April geführtes SPIEGEL-Interview gab er nicht frei, es wurde deshalb nie veröffentlicht. Stattdessen bestätigte Habeck im Juni eine Meldung des Focus, der zufolge er im Gespräch mit der kalifornischen Berkeley-Universität über eine Vorlesungsreihe sei." 

Zu der Frage, wann der erfolglose Ex-Minister erkannt habe, "warum die Möglichkeit für die Grünen verschwunden war, neue Allianzen zu bilden", erklärt Habeck den taz-Lesern:

"Die Erfahrung im Ministeramt sagt mir, dass die Gesellschaft vielleicht gar keine Mitte hat, sondern lauter Gruppen, die verschiedene Interessen artikulieren und die sich nur noch rhetorisch auf eine Gemeinsamkeit beziehen. Wenn es konkret wird, werten sie aber eigene lebensweltliche, materielle Interessen immer höher als das rhetorisch beschworene Gemeinsame.

Und dass diese Bundesregierung einen Konsens in Deutschland abbildet, das glauben sie noch nicht mal selber. Sie bilden jeweils die parteipolitischen oder die sie tragenden Lobbygruppen ab. Am deutlichsten zu sehen ist das bei Klöckner oder bei Spahn."

Parteikollegin Ricarda Lang kommentierte auf X zum Rückzug von Habeck:

"Deine Fähigkeit zur Differenzierung, deine Redekunst, deine Überzeugungskraft und dein Gestaltungswille haben das politische Leben reicher gemacht. Meines auch. Du reißt heute eine große Lücke."

In dem ausführlichen Interview führt der Grünen-Politiker weiter aus, dass er nach 20 Jahren "in Spitzenpositionen die Binnensicht aufbrechen", auf deutsche Politik "von außen schauen" und durch einen "Perspektivwechsel neue Erkenntnisse erlangen" will. Eine weitere Erklärung lautet wörtlich:

"Ich will weder ein höhnisch-zynischer Kommentator sein, noch will ich wie ein Gespenst über die Flure laufen und sagen: Früher war ich mal Vizekanzler, erinnert ihr euch?"

Angesprochen auf seine Aussage vor Journalisten: "Das Angebot war top, die Nachfrage nicht so", nach der desaströsen Niederlage im Wahlkampf und der Kanzlerbewerbung, lautet die Antwort:

"Na ja, dass ich mehr erwartet habe, kann ich nicht wegreden. Aber beleidigt war ich nicht. Es war ein Kanzlerwahlkampf. Mein Versuch war, ein Angebot für das ganze Land zu machen – von einer Partei, die nicht gegründet wurde, um das ganze Land zu repräsentieren."

Seine Entscheidung erfolge vermeidlich "nicht taktisch", so Habeck, um erwartbar prosaisch final zu Protokoll zu geben.

"Ich gehe jetzt komplett ins Offene und lasse die Leinen los. Und ich merke, wie ich wieder Luft unter die Flügel bekomme. Ich merke, dass ich eine Neugier zurückgewinne. Wohin mich der Weg durchs Offene führt, weiß ich nicht."

Mehr zum Thema Grüne Jobwunder: Nach Baerbock geht auch Habeck in die USA