Soziales Pflichtjahr oder Kraftfahrerjobs: Rentner und Frauen sollen im "Kriegsfall" aushelfen

Laut dem Verbandschef für Güterkraftverkehr könne ein "Kriegsfall" zu einem massiven Ausfall Hunderttausender Lkw-Fahrer führen. Da müssten "Brummi-Rentner" in die Bresche springen, sagte er der "Bild". Ein anderer Experte bringt ein soziales Pflichtjahr für Senioren ins Spiel.

In einer alternden Gesellschaft wie Deutschland kommt es immer mehr auf das Engagement der Senioren im gesellschaftlichen Leben an – insbesondere wenn Deutschland als NATO-Mitglied von einem russischen Überfall bedroht ist. Dieser könne nicht mehr im Jahr 2029, wie zuvor vermutet, sondern schon im Jahr 2027 stattfinden. Davon geht übereinstimmend mit vielen Talkshow-Experten auch Dirk Engelhardt aus, Chef des Bundesverbands Güterkraftverkehr, Logistik und Entsorgung. 

In diesem Fall "könnten bis zu 300.000 osteuropäische Fahrer wegfallen, die zurück in die Heimat müssen", erklärte Engelhardt gegenüber der Bild-Zeitung. Als Folge könnten viele Waren nicht so schnell transportiert werden wie gewünscht. Auch die Militärlogistik wäre damit beeinträchtigt. 

Insgesamt könnten im Verteidigungsfall in Deutschland bis zu 400.000 Lkw-Fahrer fehlen, rechnet er vor. Dies sei rund die Hälfte dessen, was gebraucht wird. Als Ausweg aus der sicheren Krise schlägt er die Einbindung älterer Trucker-Fahrer und Frauen in den Beruf vor. Brummi-Rentner sollen "reaktiviert" werden, heißt es in Bild-Sprache: 

Der Plan kann aber nur unter einer Prämisse erfolgreich sein: Strengere Eignungsprüfungen sollen abgebaut werden, denn bislang müssen sie alle fünf Jahre für viel Geld ihre Qualifikation nachweisen, obwohl sie ein Berufsleben lang gefahren sind. "Das muss weg", fordert der Branchen-Chef. "Jeder, der fahren kann, muss auch fahren dürfen." 

Geschieht das nicht, könne die Branche im Ernstfall weder die Bundeswehr richtig unterstützen noch die Zivilbevölkerung vernünftig versorgen. Wie die "Brummi-Rentner", Frauen und andere Arbeitssuchende die Möglichkeit eines kriegsbedingten Wiedereinstiegs in den Beruf des Fernfahrers sehen, erläuterte der Verbandschef nicht. 

Über die bessere Einbindung der Rentner wird sich nicht nur in der Trucker-Branche Gedanken gemacht, sondern auch bei den Sozialwissenschaftlern. "Kann man Senioren am Ende ihres Arbeitslebens noch ein soziales Pflichtjahr zumuten?", fragte sich etwa Soziologe und Generationsforscher Klaus Hurrelmann in einem Gespräch mit dem Spiegel

Seine Antwort lautet: "Ja, denn von den Jungen zu erwarten, dass sie im Ernstfall allein das Land verteidigen, ist nicht gerecht", so der Experte. Vielmehr sollten gesellschaftliche Aufgaben wie die Stärkung der Verteidigungsfähigkeit von allen Generationen getragen werden. Ein soziales Pflichtjahr für Rentner soll diesbezüglich Abhilfe schaffen.

Alternativ sei auch denkbar, das Alter für den Renteneintritt flexibel zu halten. "Wer fit ist, könnte durchaus länger arbeiten. Mit 65 – oder oft genug schon mit 63 – sind die Leute plötzlich nur noch Privat- und Urlaubsmenschen. Was ist denn das für ein Konzept?", so Hurremann. Insgesamt müsse die Gesellschaft aufpassen, dass sie nicht in eine Schieflage gerate. 

Der 81-jährige Forscher, der viele Jahre die Shell-Jugendstudie geleitet hat, legt viel Verständnis für die Nöte junger Menschen an den Tag. Aktuell würden viele junge Menschen unter den politischen, gesellschaftlichen und persönlichen Krisen leiden, betont er. "Da ist eine Ohnmacht, ein Gefühl von Überwältigung." Verschiedene Studien zeigten ein hohes Maß an subjektiv empfundener Belastung, Stress, Angst sowie eine Zunahme an psychischen Störungen. "Jung sein ist heute sehr anstrengend", so Hurrelmann. Außerdem tragen die jungen Menschen das Rentensystem, "obwohl nicht klar ist, ob und wie viel sie später selbst davon haben werden". 

Der Vorschlag des Generationsforschers sorgte für einige Entrüstung. "Der Vorschlag eines 'Pflichtdienstes für Senioren' klingt, als hätten sie im Leben noch nicht genug geleistet", kommentierte das Magazin Stern den Vorschlag. Dies sei übergriffig und auch moralisch falsch. 

Eine andere Variante wäre allerdings, es gar nicht erst zu einem "Verteidigungs"- oder "Kriegsfall" mit der dazugehörenden Militärsierung und möglichen "Ostfront"-Einsätzen kommen zu lassen. Doch die vermeintliche Tatsache, dass Russland die NATO in vier oder gar in zwei Jahren angreift, steht für die Medien außer Zweifel. 

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