Nord Stream: Kretschmer fordert Reaktivierung – BSW-Chefin Wagenknecht ist dafür

Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer will eine Reaktivierung der Nord-Stream-Pipelines als "Hebel" nutzen, um mit Russland ins Gespräch zu kommen. Zudem sei deren Wiederinbetriebnahme angesichts der hohen Energiepreise auch für Deutschland erstrebenswert, so der CDU-Mann. Unterstützt wird sein Vorschlag von BSW-Chefin Sahra Wagenknecht.

In einem Interview mit Zeit Online plädiert Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer für einen Strategiewechsel, um mit Russland ins Gespräch zu kommen und Friedensverhandlungen voranzubringen. Dabei grenzt sich der CDU-Politiker von der Sprache der Ultimaten ab, wie sie jüngst Bundeskanzler Friedrich Merz erfolglos zur Anwendung gebracht hatte. 

Es gebe "zwei unterschiedliche Arten, ins Gespräch zu kommen", merkte Kretschmer dazu an. "Entweder man versucht, Russland zu zwingen, wie es bislang der Fall war, oder man versucht einen positiven Ansatz", so der 50-Jährige.

Man müsse sich fragen, unter welchen Bedingungen Russland "überhaupt mit uns reden wollte" und "was in einem Dialog mit Deutschland und Europa" für Russlands Präsidenten Wladimir Putin interessant wäre. "Solange wir sagen: Wir wollen nichts, wir wollen keine Gaslieferungen, wir verhängen nur noch Sanktionen, muss man auch nicht mit uns reden."

Der Ministerpräsident brachte in diesem Zusammenhang die Ostseepipeline Nord Stream ins Spiel, die man eines Tages wieder aktivieren könne. Denn Energie sei "ein Hebel" für Gespräche. "Dass Putin Gespräche mit China, mit Indien und mit anderen BRICS-Staaten führt, liegt doch an den wirtschaftlichen Interessen Russlands," führte der CDU-Politiker dazu aus. Nord Stream sei eine "mögliche Eröffnung für ein Gespräch mit Russland". Und er fügte hinzu:

"Nicht umsonst ist so etwas im Kreise von Diplomaten in Brüssel vor einigen Monaten sehr intensiv besprochen worden."

Er stellt die Frage in den Raum, ob man es sich erlauben könne, am Status quo der Russlandpolitik festzuhalten. Nicht zuletzt, weil Nord Stream auch für Deutschland "eine starke wirtschaftliche Komponente" habe.

"Ich sehe die wirtschaftliche Lage – und mache mir Sorgen, wie wir wirtschaftlich stark bleiben können. Die Produktionskosten sind zu hoch. Ich warne seit Langem vor einer Abwanderung von Firmen, die bei uns nun tatsächlich beginnt. Die Frage der Energiepreise ist dabei so zentral, die kann man nicht beiseiteschieben."

Bedenken, man begebe sich in eine erneute Abhängigkeit von russischem Gas, lässt Kretschmer dabei nicht gelten. Denn es würde keine Abhängigkeit in diesem Maße von russischem Gas mehr geben. Aber es würde Deutschlands Situation schon sehr verbessern, "wenn man etwa 20 Prozent des Gases aus Russland holt", so der Ministerpräsident, der jedoch konstatiert, "dass es momentan keine Bereitschaft zu einem Strategiewechsel " gebe. Kretschmer ist sich allerdings sicher:

"Wenn die wirtschaftliche Entwicklung so voranschreitet, werden wir in ein, zwei Jahren gezwungen sein, unseren Kurs zu ändern."

Im September 2022 waren drei der vier Stränge der Pipeline Nord Stream 1 und 2 durch einen Bombenanschlag zerstört worden, für den die Generalbundesanwaltschaft Ukrainer verantwortlich macht, die im Auftrag der militärischen Führung den größten Terrorakt auf Infrastruktur in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg ausgeführt haben sollen. Viele Bobachter, darunter der US-Enthüllungsjournalist Seymour Hersh, sind jedoch der Ansicht, dass die damalige US-Regierung unter Joe Biden für den Anschlag verantwortlich ist. 

Kanzler Merz will Reaktivierung der Pipelines verhindern

Laut einem Bericht der Financial Times (FT) vor zwei Monaten versuchen derzeit US-amerikanische und russische Geschäftsleute, die sich in Privatbesitz befindlichen Pipelines wieder in Betrieb zu nehmen. Der Plan sieht vor, wieder Gas aus Russland über die 1.200 Kilometer lange Pipeline nach Lubmin in Mecklenburg-Vorpommern zu leiten. Die USA sollen dabei als Zwischenhändler fungieren und den Fluss des Energieträgers kontrollieren. Der Deal könnte den Vereinigten Staaten "eine beispiellose Kontrolle über die Energieversorgung Europas verschaffen", so die US-Zeitung.

"Dann stehen wir vor der Wahl, entweder amerikanisches LNG-Gas, was sehr umweltschädlich ist, über einen langen Seeweg zu kaufen, sehr teuer. Oder die Amerikaner verkaufen uns russisches Gas über Lubmin, also über eine Infrastruktur, die ursprünglich die Deutschen mitgebaut haben", kommentierte der Journalist und Medienunternehmer Friedrich Küppersbusch am Montag diese Pläne der Amerikaner. 

Dass es dazu nicht kommt, dafür wollen Friedrich Merz und seine Parteikollegin Ursula von der Leyen sorgen. Die EU-Kommissionschefin hatte nach Gesprächen mit dem Bundeskanzler Nord Stream als Teil eines "neuen Sanktionspakets" gegen Russland erwähnt. 

Berlin und Brüssel wollen eine Wiederinbetriebnahme der Pipelines durch die USA unbedingt verhindern – allerdings nicht aus Sorge vor einer Abhängigkeit von den Vereinigten Staaten und dem Bestreben Washingtons, die Kontrolle über die europäische Energieinfrastruktur zu erlangen. Hinter dem Bestreben steckt vielmehr die Absicht, sämtliche russischen Energieexporte in die EU zu stoppen – was die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft weiter schwächen und die Abhängigkeit von den USA weiter erhöhen dürfte. 

In Berlin hofft man jedenfalls, dass die Amerikaner bei der Verhinderung der Wiederinbetriebnahme der Ostsee-Gasröhren mitspielen werden. "Die Bundesregierung unterstützt die Elemente [der Sanktionen], die Nord Stream betreffen", sagte Regierungssprecher Stefan Kornelius vor einer Woche nach entsprechenden Äußerung der EU-Kommissionspräsidentin. "Ganz zentral ist natürlich auch, dass die USA ein potenzielles Sanktionspaket begleiten werden", fügte er hinzu.

Während sich Merz klar gegen die Ambitionen seines Parteikollegen Kretschmer positioniert hat, erhält Sachsens Ministerpräsident Unterstützung von Sahra Wagenknecht. "Wir brauchen preiswerte Energie, um die Wirtschaftskrise zu überwinden und die Deindustrialisierung unseres Landes abzuwenden. Anstatt wie derzeit teures Flüssiggas aus den USA, aber auch aus Russland zu beziehen, sollten die Pipelines reaktiviert werden", forderte die BSW-Chefin. Sie empfahl Kretschmer, eine Bundesratsinitiative zu starten und sagte dafür die Unterstützung ihrer Partei zu.

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