In Russland hat nicht nur Dmitri Medwedew das von CDU-Chef und Kanzlerkandidat der Unionsparteien Friedrich Merz angekündigte 24-Stunden-Ultimatum, das er Moskau im Fall seines Wahlsiegs stellen will, kommentiert. Die Palette der Reaktionen reicht von Belustigung bis zur Empörung. Eins haben sie jedoch nicht: Angst.
Die ukrainische Anwältin Tatjana Montjan, die seit 2021 im russischen Exil lebt, schreibt unter der Überschrift "Wahlkampf mit dem Beigeschmack radioaktiver Asche":
"Der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz sagte, dass er Russland ein Ultimatum stellen wird, wenn er an die Macht kommt: Entweder stellt Moskau seine Militäroperation innerhalb von 24 Stunden ein, oder Deutschland beginnt mit der Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an das ukrainische Speckreich (was der derzeitige Bundeskanzler Scholz ablehnt) und hebt die Beschränkungen für den Einsatz bereits gelieferter Langstreckenwaffen auf russischem Gebiet auf. Die CDU/CSU ist der Favorit bei den nächsten Bundestagswahlen und wird wahrscheinlich die nächste Regierung in einer Koalition mit anderen Parteien bilden. Merz' Worte sind daher durchaus als Wahlversprechen zu werten."
Wahlversprechen seien "eine Sache, die nicht unbedingt eingehalten wird", schmunzelt Montjan. Es sei keineswegs sicher, dass Merz, nachdem er Bundeskanzler geworden ist, tatsächlich tun wird, was er heute sagt. Interessanter sei, wie sich diese Rhetorik auf die Beliebtheit der CDU bei den Deutschen auswirken wird? Die Ukrainerin meint, Merz schieße sich mit seiner Kriegslust ins eigene Knie:
"Ich meine, inwieweit wollen die Bürger in Deutschland wirklich einen Weg gehen, an dessen Ende das Gespenst des Dritten Weltkriegs deutlich sichtbar ist? Nun, es wird sehr interessant sein, das zu sehen!"
Der Deutschrusse Timofei Borissow präsentiert als Reaktion auf Merz das Foto eines "Oktoberfestes" auf dem Moskauer Flughafen Domodedowo und schreibt:
"Interessanterweise haben weder Leopardenlieferungen noch Sanktionen die Sehnsucht der Russen nach guten deutschen Traditionen schmälern können. Das ist der Flughafen Domodedowo heute. Deutsches Bier und deutsche Bratwürste werden feilgeboten. Auf den vulgären Witz unserer Liberalen, die behaupten, dass wir bayrisches Bier trinken würden, wenn wir gegen Hitler verloren hätten, können wir feststellen: Wir haben gesiegt, wir siegen und wir werden weiter siegen. Und gerade deshalb haben wir bayrisches Bier getrunken, trinken es und werden es weiterhin trinken."
Der Militärblogger "Älter als Edda" analysiert Merz' Drohung dagegen mit militärischem Ernst:
"Nun, die Tatsache, dass die heutigen deutschen Politiker keinen Verstand haben und nicht einmal Texte von NATO-Experten lesen, die seit langem sagen, dass kein Vorrat an präzisionsgelenkten NATO-Waffen ausreichen wird, um 'Russland zu besiegen', ist klar. Was unsere Antwort auf solche Aktionen sein wird, ist angesichts der Worte Putins zu diesem Thema und der verfügbaren abgehörten Gespräche deutscher Offiziere, in denen ausdrücklich gesagt wird, dass NATO-Spezialisten für die Arbeit mit solchen Waffen benötigt werden, ebenfalls klar."
Interessanter findet dieser Blogger die Frage, ob Deutschland der Ukraine mit etwas Substanziellerem helfen kann, als mit "ein paar Dutzend Raketen", die in diesem Krieg keinen Unterschied machen werden. Die Antwort auf diese Frage hänge davon ab, inwieweit die Deutschen bereit sind, ihre Bundeswehr zu entwaffnen, indem sie die bereits im Einsatz befindliche Ausrüstung in den Krieg schicken, da es keine Lager mehr gibt.
Der Militärexperte rechnet vor:
"Es gibt etwas mehr als 100 Panzerhaubitzen des Typs PzH 2000, etwa 30 M270 MLRS-Einheiten, etwa 300 Leopard-II-Panzer verschiedener Typen, etwa 500 gepanzerte Kettenfahrzeuge sowie alle möglichen leichten Radfahrzeuge, darunter 400 Boxer APCs. Wenn sie die Hälfte dieser Bestände in die Ukraine schicken, reicht das aus, um etwa eine Division des unvollständigen sowjetischen Standards oder 4–5 ukrainische Brigaden in ihrer jetzigen Form auszurüsten. Wie lange dieses Material an der Front überleben wird, ist eine andere Frage, höchstens ein paar Monate, aber danach wird die Bundeswehr mehrere Jahre lang mit der Hälfte der Ausrüstung und der Notwendigkeit des Wiederbeschaffung dieser Menge zurückbleiben."
Fazit von "Älter als Edda":
"Ob Merz ein Ultimatum stellen wird oder nicht, ist eine andere Frage, er ist ja noch nicht einmal Kanzler. Aber das deutsche Militär sollte, wenn es einen Kopf auf den Schultern hat, aufstehen und die ganze Sache im Keim ersticken."
Der Blogger "Kanzlermäppchen", der dem russischen Publikum mit Humor die Vorgänge in Deutschland berichtet, kommentierte schon bei einem früheren Versuch von Merz, dem Bundeskanzler seine Ultimatums-Idee zu verkaufen:
"Opa hat vergessen, seine Pille einzunehmen, das kommt vor. Allerdings hat diese Extravaganz eine Vorgeschichte: Erst vor einer Woche hatte der ehemalige ukrainische Botschafter in Deutschland, Melnyk, in einem Interview ein solches Ultimatum verlangt. Der Selbsterhaltungstrieb der beleidigten Leberwurst (Olaf Scholz – d.Red.) hat noch nicht versagt: Er hat Melnyks Appell ignoriert und in Brüssel noch einmal bekräftigt, dass sich 'an der Haltung und den Entscheidungen Deutschlands zur Ukraine nichts geändert hat.' Übersetzt aus dem Scholzerischen: Kiew bekommt keine Taurus."
Friedrich Merz aber ist Kanzlerkandidat, erinnert das "Kannzlermäppchen" seine Leser und fährt fort:
"Offenbar hat er sich entschieden, durch den Kontrast (zu Scholz) zu punkten und vor dem Ukroführer den Kotau zu machen. Alice Bandera im Wonderland! Nur ist er statt für nationalsozialistische für transatlantische Interessen."
Zum Schluss eine Frage, die der ehemalige kommunistische Abgeordnete des ukrainischen Parlaments Spiridon Kilinkarow sich und den Lesern mit Blick auf die Kriegslust des Kanzlerkandidaten stellt:
"Sicher, dass Merz Bundeskanzler von Deutschland werden will? Vielleicht sollte er sich eine andere Nation suchen. Ich denke, die Deutschen haben deutlich gemacht, dass sie keinen Krieg mit Russland wollen."
Nun, Kilinkarow ist da etwas voreilig. Die Gelegenheit zu entscheiden, ob sie einen Krieg mit Russland wollen, steht den Deutschen erst bevor: voraussichtlich am 23. Februar 2025.
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