Von Pjotr Akopow, RIA Nowosti
Donald Trumps Sieg zieht in der ganzen westlichen Welt Kreise – und die Deutschen reagierten als Erste. Natürlich nicht, weil Herr Trump deutschstämmig und auf einen Showdown (nicht nur im Außenhandel) mit dem von Berlin angeführten Europa gebürstet ist. Sondern vielmehr, weil sich die Regierungskoalition im Zerfallsprozess befindet und die Hiobsbotschaft aus Übersee nur mit ihrem erwartbaren Kollaps zusammenfiel. Die Chancen, dass die Scholz-Regierung bis zu den nächsten Wahlen im kommenden September überleben würde, waren ohnehin gering. Und nachdem der Vorsitzende der FDP – der kleinsten Partei der gesamten Ampel-Koalition –, Finanzminister Christian Lindner, sich geweigert hatte, eine Erhöhung des Haushaltsdefizits zu unterstützen, war eigentlich alles schon gelaufen.
Scholz entließ Lindner, und es wurde klar, dass Neuwahlen bevorstehen. Die Frage war nur, wann sie durchgeführt werden sollen: zu Beginn des Frühjahrs oder vorher. Scholz wollte auf Zeit spielen, willigte aber am Montag ein, dass die Vertrauensfrage bereits in den kommenden Wochen gestellt werden könnte. Der Bundestag wird dem Kabinett die Unterstützung verweigern, und dann werden die vorgezogenen Neuwahlen – voraussichtlich im Februar – stattfinden. Damit wird der Posten des wichtigsten europäischen Partners für den neuen US-amerikanischen Präsidenten noch vor März neu besetzt sein: CDU-Chef Friedrich Merz wird Kanzler.
Doch ist das so einfach?
Nein. Erstens, weil die Bundestagswahlen selbst eine Bewährungsprobe für das deutsche politische System sein werden. Und zweitens, weil eines der Hauptthemen des Wahlkampfs die Unterstützung für die Ukraine sein wird. Genauer gesagt ist sie es bereits – der amtierende Bundeskanzler Scholz warf Lindner vor, Kiew auf Kosten der deutschen Rentner finanzieren zu wollen:
"Es gibt nicht viele andere Länder, die sich zutrauen, über zwölf Milliarden Euro für die Unterstützung eines Landes, das sich im Krieg befindet, zu schicken; es zu erwirtschaften und dann zu sagen: 'Wir machen das aus dem Haushalt.' Wir haben das mehrmals versucht – doch jetzt ist der Punkt erreicht – auch nach den Plänen von dem früheren Finanzminister –, wo es daran gegangen wäre, das zu finanzieren: durch Rentenkürzungen, durch Geld, das man den Kommunen wegnimmt, durch Geld, das für die Modernisierung des Landes fehlt.
Zu den Vorschlägen zählte, an der Rentenformel etwas zu ändern, was im Ergebnis immer eine Kürzung des Rentenniveaus bedeutet. Wollen wir das unserem Land zumuten, dass wir sagen: 'Weil wir ein bedrohtes Nachbarland unterstützen – mit großen Beträgen, wir sind der größte Unterstützer der Ukraine in ganz Europa mit weitem Abstand, wir sind das Land nach den USA, das die meiste Unterstützung mobilisiert hat –, aber tun wir das auf Kosten der Zukunft unseres Landes, auf Kosten des Zusammenhalts? Sollen die Bürgerinnen und Bürger, die Rentnerinnen und Rentner das bezahlen?' Die Antwort ist: Nein."
Wenn wir zu diesen Worten von Scholz eine weitere seiner eigenen jüngsten Aussagen hinzufügen, wonach er beschlossen habe, in naher Zukunft ("bald") mit Putin zu sprechen, könnte man glatt den Eindruck gewinnen, dass der scheidende Kanzler beschlossen hat, seine Politik gegenüber der Ukraine zu ändern.
Dem ist aber nicht so: Die Ukraine-Frage wird einfach zu einem immer wichtigeren innenpolitischen Faktor, den die SPD unter Scholz im Kampf gegen ihre Konkurrenten folgerichtig auf jede erdenkliche Weise ausspielen. Das ist alles. Und Konkurrenten sind hierbei absolut alle anderen Parteien, die eine Chance auf den Einzug in den Bundestag haben – außer der SPD also noch fünf weitere. Der Verlust des Kanzlerpostens ist den Sozialdemokraten garantiert – die neue Koalition wird nicht mehr unter ihrer Führung zustande kommen. Sie können aber als Juniorpartner mit an der Macht bleiben – dann nunmehr unter den Fittichen der von Merz geführten CDU. Diese Option – die sogenannte Große Koalition, die es in der Geschichte Deutschlands bereits mehrfach gab – scheint nun die wahrscheinlichste zu sein. Doch um sie Wirklichkeit werden zu lassen, muss die SPD bei den Wahlen relativ gut abschneiden.
"Gut" bedeutet, dass die 15-Prozent-Marke nicht unterschritten wird, und dafür muss die SPD Ihre Konkurrenten mit aller Kraft niederdrücken. Der CDU können die Sozialdemokraten keine Stimmen wegnehmen: Die Merz-Partei wird über 30, wenn nicht sogar 35 Prozent erreichen. Auf dem zweiten Platz wird die Alternative für Deutschland landen: Sie wird etwa 20 Prozent erreichen oder sogar mehr. Der SPD scheint der dritte Platz sicher zu sein – doch wenn sie dabei auf 15 Prozent kommt, ist das eine Sache, und eine ganz andere, wenn sie nur auf zehn bis zwölf Prozent kommt. Die stark schwächelnden Grünen und das erstmals in den Bundestag einziehende Bündnis Sahra Wagenknecht sind ihnen dicht auf den Fersen. Dabei lockt das Bündnis ausgerechnet (ehemalige) SPD- und Linken-Wähler an. Sprich, die Sozialdemokraten müssen die Wählerflucht von der SPD stoppen und sich idealerweise zum einzigen Partner der CDU machen – und dafür eignet sich das Ukraine-Thema am besten.
Wenn Scholz Lindner vorwirft, jener wolle der Ukraine auf Kosten der deutschen Rentner helfen, drückt er damit die liberale FDP praktisch nieder – sie schwankt bereits am Rande der Fünf-Prozent-Hürde für den Einzug in den Bundestag. Und ohne die Liberalen im Parlament hat die CDU keine andere Möglichkeit, als sie in die Koalition einzubeziehen. Indem Scholz über geplante Gespräche mit Putin spricht, signalisiert er dem Teil der Wähler, die gegen eine Eskalation des Konflikts mit Russland und für Verhandlungen mit Moskau sind: "Warum zu Sahra Wagenknecht gehen? Auch wir sind zu einer Beilegung bereit."
Wird man Scholz das glauben? Das ist unwahrscheinlich, aber dem Kanzler fällt nichts Besseres ein.
Die Sozialdemokraten – die älteste Partei Deutschlands – sind eigentlich bereits in die Kategorie der Kleinparteien abgerutscht, und der Aufstieg des neugeborenen Bündnisses von Sahra Wagenknecht wird zum Verhängnis für die SPD. Natürlich wird ihnen bei diesen Wahlen kein tödlicher Schlag versetzt werden – noch nicht –, aber ihr relativer "Sieg" wie oben umrissen könnte durchaus zu einem Pyrrhussieg werden.
Denn sobald sie eine Koalition mit der offen transatlantischen CDU eingeht – und Merz schlägt vor, dem Kreml ein Ultimatum zur Einstellung der Feindseligkeiten zu stellen und im Falle einer Ablehnung mit der Lieferung von Langstreckenwaffen an Kiew zu beginnen –, wird die SPD endgültig ihr Gesicht verlieren. Sie wird ihr das Gleiche antun, was sie zuvor (zum Beispiel zu Merkels Zeiten) mit jüngeren Koalitionspartnern getan hat: ihnen das Blut aussaugen. Und das in der Opposition befindliche Bündnis Sahra Wagenknecht wird weiter an Beliebtheit gewinnen und bei der nächsten Bundestagswahl möglicherweise die SPD überholen.
Auch die Alternative für Deutschland wird keine Zeit verlieren: Wo das BSW die neue Regierung von links kritisiert und dabei die SPD ins Visier nimmt, dort wird die AfD von rechts zuschlagen und damit die CDU treffen. Beide Teilnehmer der nun wohl kommenden Großen Koalition werden also bei den Wahlen im Jahr 2029 in einer äußerst schlechten Verfassung sein. Selbst zusammen werden sie kaum noch in der Lage sein, eine Mehrheit der Stimmen zu erreichen; während die AfD zusammen mit dem Bündnis Sahra Wagenknecht zusammen bis zu 40 Prozent der Sitze im Bundestag kontrollieren dürfte.
Dies würde praktisch den Zusammenbruch des deutschen politischen Systems bedeuten, das darauf ausgerichtet ist, die "radikalen" Kräfte auszuschließen – also diejenigen, die mit der begrenzten Souveränität Deutschlands und dem Würgegriff der "transatlantischen Solidarität" einschließlich aller Konsequenzen für Europa nicht einverstanden sind.
Übersetzt aus dem Russischen. Erschienen bei RIA Nowosti am 12. November 2024.
Pjotr Akopow ist ein russischer Historiker und Geschichtsarchivar (Absolvent des Moskauer Staatlichen Geschichtsarchivarischen Instituts). Seit dem Jahr 1991, nach einer Geschäftsreise in die damalige Bürgerkriegszone Südossetien, schreibt er als Journalist für zahlreiche Medien: Golos, Rossijskije Westi, bis 1994 Nowaja Gaseta, ab 1998 Nesawissimaja Gaseta; seit Anfang der 2000er-Jahre als politischer Beobachter bei Nowaja Model und im entsprechenden Ressort der Iswestija. Er arbeitete als Sonderberichterstatter beim Chefredakteur des Polititscheski Journal, dessen Chefredakteur er im Jahr 2007 wurde. Der ehemalige stellvertretende Chefredakteur von Wsgljad ist zudem ständiger politischer Beobachter bei RIA.
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