Seit 2022 heißt es, Bundeskanzler Olaf Scholz unternehme angeblich nicht genug, um die Ukraine militärisch gegen Moskau zu unterstützen. Dieser Vorwurf gegen Scholz wurde in den letzten Tagen von CDU-Chef Friedrich Merz wiederholt vorgebracht. So behauptete Merz, Scholz sei "der Einzige, der im Weg steht", wenn es darum gehe, die Ukraine mit leistungsfähigeren Waffen zu beliefern, darunter mit Marschflugkörpern des Typs "Taurus".
Im Interview mit der Tagesschau am Sonntagabend verteidigte Merz die Lieferung von weitreichenden Waffen an die Ukraine, ohne auf deren konkreten Einsatz einzugehen. Stattdessen bekräftigte er seine Forderung, an Moskau ein "Ultimatum" zu richten, wie er es bereits am 14. Oktober ebenfalls in der ARD formuliert hatte.
Der CDU-Vorsitzende blendete auch diesmal wieder die Vorgeschichte der Intervention Moskaus in der Ukraine aus und begründete seine Forderung nach einem "Ultimatum" damit, dass die Ukraine bislang angeblich zu zögerlich und zu wenig militärisch vom Westen unterstützt worden sei:
"Darf man Russland, das einen Angriffskrieg gegen die Ukraine führt, kein Ultimatum stellen? Darf man nicht Abschreckung wirksam begründen? Es geht doch auch darum, der Ukraine ein Stück Handlungsfähigkeit zurückzugeben mit unserer Unterstützung. Und die Lieferung von 'Taurus' ist nun alles andere als ein Kriegseintritt."
Auch Briten und Franzosen würden schließlich Marschflugkörper an Kiew liefern. Merz behauptete, dass diese Lieferungn keinen Kriegseintritt Großbritanniens und Frankreichs darstellten:
"Das ist wirklich Unfug, das ist dummes Zeug."
Auf seine Rede während des "Deutschlandtags" der Jungen Union am Wochenende angesprochen, die er am Sonnabend in Halle an der Saale gehalten hatte, wiederholte Merz seine Aussage, Bundeskanzler Scholz habe "Angst vor Putin". Der CDU-Politiker sagte dazu:
"Es ist nicht meine Haltung, sondern es ist meine Überzeugung, zu der ich in den letzten Wochen und Monaten gekommen bin, weil ich immer wieder höre, wovor der Bundeskanzler Angst hat. Wenn wir im Westen Angst haben, uns zu verteidigen, dann hat Putin diesen Krieg gegen uns alle schon zur Hälfte gewonnen."
Merz meinte, es gehe darum, "selbstbewusst" einer "Aggression" zu begegnen. Der "Angreifer" müsse "Angst vor uns haben", so der CDU-Mann. Mit der "Abschreckung" sei schon in der Vergangenheit "natürlich immer auch eine Drohung" verbunden gewesen: "Versucht's erst gar nicht, uns anzugreifen."
Nun müsse die Ukraine in die Lage versetzt werden, Moskau zu drohen. Damit bezog sich Merz, unausgesprochen, erneut auf sein "Ultimatum" von Mitte des Monats, mit dem er Angriffe auch auf Ziele tief in Russland nicht ausgeschlossen hatte.
Auch Briten, Franzosen und "mittlerweile zunehmend" die Amerikaner würden das Gleiche fordern – zwar "nicht Joe Biden, aber sein gesamtes Umfeld". Nur Berlin mache angeblich bei der Konfrontation gegen Moskau nur halbherzig mit, wie Merz beklagte:
"Und der Einzige, der im Weg steht, ist der deutsche Bundeskanzler. Und der hat offensichtlich Angst. Und Angst ist ein schlechter Ratgeber."
Auch in diesem jüngsten ARD-Interview wurden mögliche Folgen eines solchen deutschen "Ultimatums" von der Interviewerin nicht angesprochen.
Im Frühjahr dieses Jahres hatte die RT-Chefredakteurin Margarita Simonjan einen geleakten Mitschnitt von der Besprechung hochrangiger Luftwaffenoffiziere und -generäle der Bundeswehr veröffentlicht. Darin erwähnten die deutschen Militärs deutsche Planungen für Angriffe mit "Taurus"-Marschflugkörpern unter anderem auf die Krim-Brücke. Im Laufe ihres Gesprächs enthüllten sie unfreiwillig die Präsenz von US- und britischen Militärs in der Ukraine, die für den Start von "Scalp"- und "Storm Shadow"-Marschflugkörpern benötigt werden, sowie die Tatsache, dass die Ukraine nicht in der Lage wäre, ohne Beteiligung deutscher Soldaten oder Techniker vor Ort "Taurus"-Geschosse gegen russische Ziele einzusetzen. Aus völkerrechtlicher und russischer Sicht würde der Einsatz deutscher Spezialisten beim Start von "Taurus"-Marschflugkörper in der Ukraine Deutschland zur Kriegspartei machen.
So hatte Moskau wiederholt davor gewarnt, dass die westliche Militärhilfe für Kiew die NATO immer näher an eine direkte Beteiligung an dem Konflikt heranführt. In diesem Sommer erklärte Wladimir Putin, dass die westliche Unterstützung für ukrainische Angriffe tief in russisches Hoheitsgebiet eine erhebliche Eskalation darstellen würde, die eine "asymmetrische" Reaktion auslösen könnte.
Im vergangenen Monat ordnete der russische Präsident schließlich Änderungen an der Nukleardoktrin des Landes an, die eine nukleare Reaktion im Falle eines konventionellen Angriffs auch durch einen nicht-nuklearen Staat, der von einem Nuklearstaat unterstützt wird, ermöglichen würden.
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