Nach den Wahlen in Ostdeutschland: Wenn die Macht lockt

Angesichts der bisherigen Verluste und den schon vor der Wahl in Brandenburg absehbaren Ergebnissen scheint man in Berlin nun umtriebig zu werden. Aber auch CDU und BSW versuchen, auf die Macht zuzugreifen. Das bleibt nicht ohne Auswirkungen auf das politische Bewusstsein.

Von Rüdiger Rauls

Geht doch!

Nun sollten also vermehrte Grenzkontrollen und Abkommen mit nicht ganz so astreinen Demokratien wie Usbekistan und Kenia den Durchmarsch der Alternative für Deutschland (AfD) im deutschen Osten verhindern. Wie anders soll man die neuerliche Umtriebigkeit von Innenministerin Faeser und Bundeskanzler Scholz deuten? Denn spätestens seit den Wahlen in Thüringen und Sachsen war klar, dass die Migrationsfrage über Sieg und Niederlage auch bei der Wahl in Brandenburg entscheiden würde.

Ob diese neue Umtriebigkeit Einfluss hatte auf das besser als erwartete Abschneiden der SPD in Brandenburg, ist unklar, dürfte aber sicherlich noch früh genug gekommen sein, um im nächsten Jahr bei der Bundestagswahl Wirkung zu entfalten. Das ist vermutlich der Strohhalm, an den sich die SPD klammert. Andererseits aber kann dieser Schuss auch nach hinten losgehen. Denn es könnten viele Bürger die Frage stellen: "Warum erst jetzt?", und für viele dürfte der Zusammenhang mit den ostdeutschen Wahlergebnissen auf der Hand liegen.

Nun bringt die Ampel selbst den Beweis, dass die AfD und auch das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) Recht hatten mit ihrer Kritik an der aktuellen Migrationspolitik und auch der Vorgängerregierung unter CDU-Herrschaft. Je mehr die Regierung in Berlin selbst jene Maßnahmen umsetzt, die sie als Ausdruck rechten Denkens bei AfD und BSW verurteilt hatte, umso mehr wächst der Zweifel, ob man die illegale Migration wirklich so ernsthaft hatte bekämpfen wollen, wie man dem Bürger immer weismachen wollte. Viele werden sich getäuscht sehen, wenn nun auf einmal geht, was vorher angeblich unmöglich war: Mehr Abschiebungen und verstärkte Grenzkontrollen.

Dieses Misstrauen trifft auch die CDU, weshalb sie nicht in dem Maße von dem Migrationsthema profitieren kann wie AfD und vermutlich auch BSW. Denn die Grundlagen der heutigen Ausländerpolitik wurden unter der Merkel-Regierung geschaffen. Insofern sitzen sie alle in einem Boot, die Parteien von CDU bis SPD, und scheinen auch zusammen zu kentern. Denn trotz der Erfolge von AfD und BSW rudern die Altparteien auch heute noch in verschiedene Richtungen und machen sich gegenseitig dafür verantwortlich, dass es nicht vorangeht.

Kein Wunder, dass so der Eindruck bei vielen Bürgern entsteht, dass diese Parteien keinen vernünftigen Plan für die Lösung des Problems der Zuwanderung haben. Den erhoffen sie sich von AfD und BSW. Ob aber diese beiden die Hoffnungen der Menschen erfüllen können, ist noch einmal eine andere Frage. Denn es liegt ja nicht am guten Willen alleine. Auch die Ampel und die Regierung davor hatten immer wieder betont, dass sie die Migrationsfrage nun endlich entschlossen in Angriff nehmen werden - ernsthafter jedenfalls als die Vorgängerregierung.

Doch nicht so einfach?

Hatte CSU-Mann Seehofer sich vor der Bundestagswahl von 2018 Sympathien und Wählerstimmen verschafft mit dem Versprechen, hart durchzugreifen im Kampf gegen die illegale Zuwanderung, so hatte er nach seiner Ernennung zum Innenminister schnell wieder kleinere Brötchen backen müssen. Denn für Abschiebungen und Rückführungen braucht es nicht nur mehr Abschiebeeinrichtungen und Flugzeuge zur Überführung der Abzuschiebenden. Es braucht auch Abkommen mit den Ländern, in die man abschieben will.

Da kann man natürlich in bekannter deutscher Herrenmanier kraftmeierisch auftreten und fordern, aber wenn die Landebahnen mit Panzern blockiert sind, kann dort kein Flugzeug aufsetzen. Gerade hier liegt aber das Problem mit einem Großteil der illegalen Zuwanderer. Diese kommen überwiegend aus Afghanistan und Syrien. Das sind jedoch gerade jene Länder, die der politische Westen durch direkte oder indirekte Kriegshandlungen destabilisiert und dort aufgrund der Kampfhandlungen Fluchtbewegungen ausgelöst hatte.

Es sind aber auch jene Länder, deren Regierungen unter anderem von der Bundesrepublik Deutschland nicht anerkennt werden. Getrieben von Rachegelüsten über das eigene Scheitern in diesen Ländern, belegt der Westen sie noch immer mit Sanktionen bis hin zur Beschlagnahmung des afghanischen Vermögens. Die trotzige Verweigerung von Abkommen durch westliche Regierungen macht die Rückführung eben gerade von Flüchtlingen aus diesen Ländern unmöglich.

Deshalb hat nun Scholz das Abkommen mit Usbekistan geschlossen, um über dieses Land die Abschiebung afghanischer Flüchtlinge abzuwickeln. Vielleicht erfüllt das Abkommen mit Kenia eine ähnliche Funktion für die Abschiebung von Syrern. Weder Usbekistan noch Kenia sind Quellen bedeutender Migrantenströme. In beiden Fällen wird es aber für Deutschland höhere Kosten verursachen, als wenn man mit der syrischen und afghanischen Regierung direkt verhandelt hätte.

Diese Hintergründe müssten auch den Politikern von AfD und BSW bekannt sein, zumindest jenen, die seit Jahr und Tag in den Zentren der Politik unterwegs sind. Ob beide dann in Regierungsverantwortung aus dieser westlichen Verweigerungshaltung ausscheren, wird sich zeigen. Aber selbst wenn für das BSW die Aussichten auf Regierungsbeteiligung in Thüringen, Sachsen und jetzt ganz besonders in Brandenburg sehr günstig sind, die Abkommen mit Syrien und Afghanistan werden nicht auf der Landesebene sondern auf der zwischenstaatlichen geschlossen. Aber dieses Thema wird vom BSW schon gar nicht mehr politisch behandelt, sondern genau so propagandistisch wie bei der AfD.

Beide könnten an dieser Situation frühestens dann etwas ändern, wenn sie Mitglied einer Bundesregierung wären. Aber für die Regierungsbildung in den drei östlichen Bundesländern steht dieses Thema gar nicht an. Ob es nach der Bundestagswahl im nächsten Jahr noch immer so günstig für den BSW mit einer Regierungsbeteiligung auf Bundesebene aussieht, wird sich zeigen. Entweder also sind die Parteien, die auf das Migrationsthema für ihre Wahlerfolge setzen, sich der oben beschriebenen Hintergründe beim Thema Migration nicht bewusst, dann sind sie politisch schlecht informiert, vielleicht sogar naiv; oder aber sie machen den Bürgern etwas vor über die eigenen Möglichkeiten wie seinerzeit auch der spätere Innenminister Seehofer.

Heikel

Selbst wenn beim Sieg der SPD in Brandenburg die Migrationsfrage nicht eine solch große Rolle spielte, so kann man dennoch im Moment mit diesem Thema punkten, aber es birgt auch erhebliche Gefahren. Die eine besteht in den oben beschriebenen Gegebenheiten, die allein mit dem guten Willen nicht zu lösen sind. Besonders auf der Landesebene wird es zwangsläufig zu Enttäuschungen kommen, wenn deutlich wird, dass die Erwartungen, die man bezüglich der Rückführung von Migranten geweckt hat, nicht erfüllt werden können.

Diese Gefahr ist besonders groß beim BSW und der CDU, denn nur diese beiden können den gordischen Knoten der Unregierbarkeit zerschlagen, entweder durch Koalitionen miteinander oder aber durch Regierungsbündnisse mit anderen. Dabei ist das BSW die Braut, die von allen umworben wird, wenn auch nicht zur Liebeshochzeit. Mit der AfD will dagegen niemand, obwohl sie von den Zustimmungswerten die bessere Mitgift in die Ehe einbringen würde.

Es schmeichelt dem BSW, von vielen umworben zu werden und dementsprechend wählerisch ist man dort auch. Die hohen Prozentwerte machen anscheinend besoffen. Man stellt Bedingungen an die Eignung der Bewerber, die zum Teil schwer zu erfüllen sind. Denn die Forderung, keine Stationierung amerikanischer Raketen zu unterstützen, ist auf der Landesebene genauso wenig umzusetzen wie die nach dem Stopp von Waffenlieferungen an die Ukraine. Das alles wird auf der Bundesebene beschlossen. Einzig ein Raketenstützpunkt im eigenen Bundesland könnte vielleicht abgelehnt werden, ist aber für keines der drei östlichen Bundesländer vorgesehen.

Von diesen Forderungen später wieder herunter zu kommen, wird für das BSW nicht einfach werden. Entweder es gibt wohlfeile Absichtserklärungen der Koalitionäre, die dann später zu nichts verpflichten, mit der sich aber der BSW und dessen Vorsitzende werden zufrieden geben müssen. Dann wird man aber den Wählern und Anhängern erklären müssen, wieso man trotzdem mit der CDU oder SPD zusammengeht. Oder man muss auf die Teilhabe an der Macht verzichten. Dann aber steht man vor seinem Publikum wie ein begossener Pudel, der nicht gewusst hat oder wahrhaben wollte, dass über Raketenfragen und Waffenlieferungen nicht in Dresden, Erfurt und Potdam entschieden wird und dass man damit falsche Hoffnungen verbreitet hat.

Noch ist die Begeisterung auf beiden Seiten groß nach den fulminanten Wahlerfolgen, auf der Seite der Anhänger ebenso wie auf der Seite der BSW-Führung. Das vernebelt den Blick für die Gefahren der Wirklichkeit und die Bedrohungen der Zukunft. Denn auch Wagenknecht dürfte irgendwann erkennen müssen, dass sie nicht beides haben kann: entweder in den Ländern mitregieren, ohne jedoch die Stationierung von US-Raketen und die Waffenlieferungen an die Ukraine verhindert haben zu können. Oder aber man wird in dieser Frage das Gesicht wahren können, muss dann jedoch weiterhin die Oppositionsbank drücken. Das wird bitter für jene, die sich vielleicht Hoffnungen gemacht haben auf die Teilhabe an der Macht und ihren Fleischtöpfen. In beiden Fällen drohen Enttäuschungen im eigenen Lager und damit auch Unruhe und Verluste.

Die einzige Partei, die mit diesen Forderungen von Wagenknecht und BSW übereinstimmt, wäre die AfD, die aber will besonders die Parteiführerin nicht haben. Dabei scheinen viele besonders im Osten, selbst in der eigenen Partei, darin nicht jene Probleme zu sehen wie Wagenknecht mit ihrem ideologisch erstarrten Blick. Vielen auch dürfte eine ernsthafte Politik in Sachfragen mit der AfD sympathischer sein als mit den Parteien, die die Vorsitzende bevorzugt. Denn jene sind nicht nur die Erbauer von Brandmauern, die den Problemen des Landes keinen Dienst erweisen. Sie sind auch die Verlierer der Wahlen und des Wählervertrauens, wie die Ergebnisse zumindest in Thüringen und Sachsen zeigen.

Viele Wähler des BSW können sich eine Koalition mit der SPD in Sachsen und Brandenburg vielleicht noch vorstellen, aber mit der CDU? Dadurch nähert sich Wagenknechts Partei schneller als erwartet jenem moralischen Niveau, auf dem die Grünen mittlerweile gesehen werden. Diese sind oft für ihren politischen Verfall angegriffen worden, weil sie sich nur um der Macht willen mit der CDU eingelassen haben. Ist das BSW bereits nach wenigen Monaten schon so tief gesunken, dass eine Koalition mit der CDU anscheinend auf wenig Bedenken stößt?

Die Menschen wollen eine andere Politik, das ist deutlich zu erkennen. Aber geht es dem Bündnis überhaupt noch um Inhalte, noch um die Schaffung von politischem Bewusstsein, das alleine die Garantie ist für einen nachhaltigen Wandel deutscher Politik im Interesse der einfachen Menschen? Im Moment scheint die Teilhabe an der Macht der bestimmende Antrieb geworden zu sein. Ist das politische Bewusstsein bei den Wagenknechten inzwischen so sehr verödet, dass man die gesellschaftlichen Bedingungen nicht mehr wahrhaben will?

Die Vorstellung, klüger zu sein als die andern und deshalb dem Kapitalismus ein Schnippchen schlagen zu können, war bei SPD und Grünen die Voraussetzung für den eigenen inneren Verfall. Macht macht prinzipienlos, wenn sie nicht auf politischem Bewusstsein gründet. Dieses kann durch den Glauben an eigene Überlegenheit nicht ersetzt werden. Auf welchem Bild von der Wirklichkeit beruhen die Vorschläge des BSW, welche Weltanschauung dient dabei als Grundlage?

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Rüdiger Rauls ist Reprofotograf und Buchautor. Er betreibt den BlogPolitische Analyse.