Aufforderung an Verfassungsschutz: "Stellen Sie sich in den Dienst des Volkes"

Der Bayerische Verfassungsschutz überwacht Politiker und Medien wegen der "Verbreitung russischer Narrative". Während es in den deutschen Medien still blieb, gab es einen Proteststurm von Betroffenen und Mediennutzern. Jetzt rudert die Behörde zurück. Am Problem ändert das nichts.

Bereits im September 2022 haben die NachDenkSeiten aufgedeckt, dass die Bundesregierung an einer Gleichschaltung des Russland-Narratives arbeitet. Die zentrale Botschaft ist ganz einfach: Jegliche Information aus Russland ist Desinformation. Dass das Vorhaben konsequent umgesetzt wurde, davon können sich die Mediennutzer jeden Tag überzeugen. Die großen deutschen Medien berichten regelmäßig gleichförmig und auch ganz gleichförmig regelmäßig falsch. Die journalistische Qualität hat sich dadurch nicht verbessert, im Gegenteil. 

Allerdings gibt es noch immer kleinere, unabhängige Webseiten und einige wenige Zeitungen, die sich der Gleichschaltung widersetzen. Sie wurden nun gemeinsam mit Politikern, die sich für eine Verhandlungslösung im Ukraine-Konflikt einsetzen, vom Bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz gelistet. Der Bayerische Verfassungsschutz folgt damit der Auffassung der Bundesregierung, dass alle aus Russland stammenden Informationen Desinformation sind, deren Verbreitung man möglichst unterbinden muss. 

Nicht nur die im Verfassungsschutzbericht erwähnte Sahra Wagenknecht und ihre Mitstreiterin Sevim Dagdelen (beide BSW) setzen sich zur Wehr. Auch Wolfgang Kubicki (FDP) hält das Vorgehen der Behörde für rechtswidrig, berichtet die russlandfreundlicher Umtriebe völlig unverdächtige NZZ. Kubicki sieht im Vorgang einen Angriff auf die Presse- und Meinungsfreiheit. In den deutschen Medien findet das Thema trotz der Brisanz kaum Niederschlag. 

Lediglich die Berliner Zeitung berichtet ausführlicher. Dabei ist das Eigeninteresse jedoch klar erkennbar, denn auch die Berliner Zeitung verbreitet nach Auffassung des Bayerischen Verfassungsschutzes russische Desinformation und steht daher unter Beobachtung. Die Zeitung wehrt sich gegen die Vorwürfe.

Empörter als deutsche Medien reagierten Mediennutzer. Sie wandten sich direkt an die bayerische Behörde. 

Den Brief eines Lesers druckte die Berliner Zeitung ab. Der Verfasser des Briefes wirft der Behörde vor, es gehe ihr um die Unterdrückung und nicht um den Schutz von Wahrheit. Als Beispiele führt er die Medienkampagne der Bundesregierung in der Corona-Krise an, die voller Desinformation war, mittels derer aber die Einschränkung von Grundrechten gerechtfertigt wurde.

So sprach der damalige Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) von einer "Pandemie der Ungeimpften" in dem Wissen, dass diese Behauptung falsch ist. Der Verfassungsschutz interessierte sich dafür jedoch nicht, obwohl die Falschbehauptung sich gegen die in der Verfassung garantierten Freiheiten richtete. 

"Kümmern Sie sich jetzt um die Rehabilitierung derjenigen Mediziner, die damals, parallel zum RKI, schon wussten, dass der Minister lügt und die im allgemeinen Strudel der regierungs- und medienverursachten Volksverhetzung teilweise ihre Arbeit verloren?", heißt es in dem Offenen Brief an die Verantwortlichen der Verfassungsschutzbehörde. 

In dem Leserbrief werden die Zensur und die Verengung des Diskurses in Deutschland gebrandmarkt. Laut deutschem Narrativ habe der Ukraine-Konflikt seinen Ursprung in einem "präzedenzlosen brutalen Überfall Russlands auf die Ukraine" ohne Vorgeschichte. In den USA werde breiter über die Ursachen des Konflikts berichtet. Warum das in Deutschland nicht möglich sei, fragt der Verfasser. 

"Was ist z.B. mit Reden des US-Ökonoms Jeffrey Sachs, der nicht müde wird festzustellen, dass das In-die-Enge-Treiben der russischen Föderation und das ständige Überschreiten roter Linien der Russischen Regierung die bewusst eingesetzte Strategie der NATO vor allen der USA ist, um die Russische Föderation zu destabilisieren und in diesen Krieg zu zwingen. Warum dürfen solche Äußerungen in den USA getätigt werden und hier nicht?"

Selbst zur Zeit des Kalten Krieges sei die Freiheit, sich zu informieren, nicht in der Weise eingeschränkt worden, wie das jetzt der Fall ist. Jetzt dürfe man RT DE, das wie zahlreiche andere Medien auch zensiert ist, durch den streng reglementierten Informationsraum in Deutschland nicht mehr lesen. Dadurch unterdrücke die Bundesregierung eine ergebnisoffene Diskussion zum Ukraine-Krieg, so der Briefschreiber. 

"Ich darf noch nicht einmal mehr sagen, dass es sich bei dem Krieg in der Ukraine um einen russischen Verteidigungskrieg handelt, ohne eine Verurteilung zu riskieren. Und was ist, wenn sich am Ende doch herausstellt, dass das stimmt? Genauso, wie es stimmt, dass es sich NIE um eine Pandemie der Ungeimpften gehandelt hat?"

Der anonyme Verfasser, der sich als Pazifist und Demokrat beschreibt, fordert den Verfassungsschutz auf, sich in den Dienst des Volkes zu stellen.

"Wäre es nicht einmal angeraten, dass Sie sich wieder in den Dienst des Volkes stellen? Für mein Gefühl stellen Sie sich in den Dienst der Herrschenden, die die Interessen der Reichen und Mächtigen in dieser Welt rücksichtslos durchsetzen."

Inzwischen ist der Bayerische Verfassungsschutz zurückgerudert. Es handele sich um ein Missverständnis, teilt die Behörde mit. In einem Schreiben dazu heißt es: "Das BayLfV insinuiert explizit nicht, dass die Verantwortlichen der hier aufgelisteten Webseiten russische Propaganda verbreiten oder in Kenntnis darüber sind bzw. es gutheißen, dass ihre Inhalte im Rahmen der 'Doppelgänger' Kampagne weiterverbreitet werden. Ferner nimmt das BayLfV keinerlei Wertung der Inhalte der Webseiten vor."

An der grundsätzlichen Problematik, dass in Deutschland inzwischen ein strenges System von Zensur und Diskurskontrolle herrscht, ändert das allerdings nichts. Pressefreiheit – daran sei hier noch einmal erinnert – bedeutet, dass nicht die Regierung festlegt, was man im Land zu lesen, zu sehen und zu hören bekommt. Der Medienkonsument entscheidet und wählt aus einem breiten Angebot für sich aus. Damit soll ein offener Diskurs gewährleistet werden, der für das Funktionieren einer Demokratie unabdingbar ist. Dieses Prinzip ist in Deutschland inzwischen vergessen. 

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