Im Rahmen eines Interviews mit der NZZ äußerte sich der frühere SPD-Politiker und Autor Thilo Sarrazin erneut kritisch zur deutschen Politik, insbesondere zur Migrationspolitik und den Folgen einer fehlgeleiteten Ideologie. Sarrazin, der durch seine islamkritischen Bücher und den darauffolgenden Ausschluss aus der SPD für Aufsehen sorgte, stellt nicht nur die Migrationspolitik, sondern auch die Reaktionen auf die jüngsten Wahlerfolge der AfD in den Mittelpunkt seiner Analyse.
Die SPD am Abgrund: Eine Partei ohne Kurs und ohne Zukunft
Sarrazin beginnt das Interview mit einer scharfen Abrechnung mit der SPD, der Partei, der er 47 Jahre lang angehörte, bevor er 2020 ausgeschlossen wurde. Sein Buch "Feindliche Übernahme", in dem er die Gefahren unkontrollierter muslimischer Zuwanderung thematisierte, war der Stein des Anstoßes für seinen Parteiausschluss. Dennoch empfindet Sarrazin keine Rachsucht gegenüber seiner ehemaligen Partei, sondern vielmehr Trauer über ihren Niedergang. Er sieht die SPD in einem Zustand des "moralischen Konkurs". Für ihn ist klar, dass die Partei sich einer radikalen Umstrukturierung unterziehen muss, wenn sie politisch wieder relevant werden möchte.
Besonders nach den jüngsten Wahlschlappen der SPD in Ostdeutschland, wo die Partei teilweise unter zehn Prozent der Stimmen erhalten hat, spricht Sarrazin von einer "krachenden Niederlage", die jedoch bei den Führungskräften der SPD noch nicht zu einem Umdenken geführt habe. Seiner Ansicht nach verdrängt die Parteiführung die Realität und klammert sich an Illusionen, statt die drängenden Probleme – insbesondere die Migrationskrise – direkt anzugehen.
Die AfD und die politische Ausgrenzung: Ein Fehler, der die Demokratie schwächt
Ein zentrales Thema im Gespräch ist der Umgang mit der AfD, die in den letzten Jahren stetig an Bedeutung gewonnen hat. Sarrazin kritisiert die sogenannte "Brandmauer" der etablierten Parteien gegenüber der AfD – die Weigerung, mit der Partei zu koalieren oder auch nur in Dialog zu treten. Er sieht dies als Ausdruck einer demokratischen Schwäche. Der Politiker führt aus:
"Ich will in keiner Weise die AfD verteidigen und sehe vieles dort sehr kritisch. Aber eine Partei, die bundesweit bei 18 Prozent und nun in zwei Ländern bei deutlich über 30 Prozent liegt, sowie ihre Anhänger kann man nicht ausschließen."
Sarrazin macht deutlich, dass es keine Verteidigung der problematischen Ansichten einzelner AfD-Politiker wie Björn Höcke sei, doch er warnt davor, eine Partei, die in Teilen Deutschlands mehr als 30 Prozent der Stimmen erhält, zu dämonisieren und damit auch einen beträchtlichen Teil der Wähler zu ignorieren.
Laut Sarrazin trägt die Ausgrenzung der AfD nur dazu bei, die Partei und ihre Anhänger zu radikalisieren und ihre Themen zu stärken. Besonders problematisch findet er den übertriebenen Alarmismus in den Medien, der Parallelen zum Zweiten Weltkrieg zieht, sobald die AfD Wahlerfolge verzeichnet. Er erklärt:
"Das BSW schöpft zu einem wesentlichen Teil aus dem Potenzial von AfD-Wählern. Das heißt, die Brandmauer bröckelt. Und wenn sie jetzt im Erzgebirge in einem Dorf mit 1000 Einwohnern 60 Prozent AfD-Vertreter haben, dann muss natürlich der CDU-Bürgermeister mit denen vernünftig zusammenarbeiten. Der kann nicht anders."
Diese Art der Rhetorik wirke oft kontraproduktiv und erhöhe die Unterstützung für die Partei, anstatt sie zu verringern.
Messerattacken und die gescheiterte Migrationspolitik
Im Interview bezieht Sarrazin sich auf die jüngsten Messerattacken in Mannheim und Solingen, die die Debatte über die Migrationspolitik erneut angefacht haben. Für ihn sind diese tragischen Ereignisse keine Einzelfälle, sondern das Symptom einer umfassenderen Krise. Sarrazin führt die hohe Kriminalitätsrate unter jungen männlichen Migranten, insbesondere aus muslimisch geprägten Ländern, als einen Beleg dafür an, dass die deutsche Integrationspolitik versagt hat.
Er verweist auf die hohe Zahl an Messerangriffen in Deutschland, von denen, so behauptet er, ein Großteil von jungen Migranten aus islamischen Ländern verübt werde. Diese Tatsachen würden von der Politik und den Medien weitgehend ignoriert oder verharmlost, was es der AfD ermögliche, das Thema für ihre Zwecke zu nutzen.
Eine realistische Migrationspolitik ist nötig – und längst überfällig
Sarrazin fordert in seinem neuen Buch "Deutschland auf der schiefen Bahn" klare und entschlossene Maßnahmen in der Migrationspolitik. Für ihn ist es nicht nachvollziehbar, warum Deutschland weiterhin Menschen ohne Asylgrund ins Land lässt, während andere europäische Länder wie Ungarn, Finnland oder Bulgarien bereits eine härtere Linie fahren. Sarrazin sieht Deutschland als einzigen Staat in der EU, der sich noch strikt an das Schengen-Abkommen hält, während andere Länder ihre Grenzen bereits effektiv kontrollieren.
Seiner Ansicht nach müsse Deutschland dringend eine Debatte darüber führen, wer in das Land gelassen werden dürfe und unter welchen Bedingungen. Er begrüße die Abschiebung von 28 afghanischen Straftätern vor der letzten Wahl, betont jedoch, dass solche Maßnahmen bereits früher hätten ergriffen werden müssen. Die Tatsache, dass sie erst unter dem Druck der AfD zustande kamen, zeige, dass die Bundesregierung die Sorgen der Bürger nicht ernst genommen habe.
Die ideologische Verblendung der Grünen und der SPD
Sarrazin geht in dem Interview auch scharf mit den Grünen und der SPD ins Gericht, die seiner Meinung nach in einer "ideologischen" Blase leben. Besonders die Aussage der Grünen-Vizechefin Ricarda Lang, dass die schlechten Wahlergebnisse ihrer Partei nichts mit der Migrationspolitik zu tun hätten, bezeichnet Sarrazin als Realitätsverweigerung. Er sieht in den Grünen eine Partei, die sich zunehmend von den Bedürfnissen der breiten Bevölkerung entfremdet habe und stattdessen radikale Themen verfolge, die die Mehrheit der Bürger nicht interessiere.
Die SPD habe ähnliche Probleme. Sarrazin nennt dies die "Palmström-Logik", nach dem Gedicht von Christian Morgenstern, in dem der Held sagt: "Nicht sein kann, was nicht sein darf". Für Sarrazin ist dies eine treffende Beschreibung der aktuellen Politik der SPD, die sich weigert, die drängenden Probleme der Migration und Integration anzuerkennen, weil sie nicht in ihr ideologisches Weltbild passen.
Demografische Herausforderungen und der Sozialstaat in Gefahr
In seinem Buch beschreibt er auch die demografischen Herausforderungen, vor denen Deutschland steht. Die niedrige Geburtenrate in Kombination mit einer unkontrollierten Zuwanderung aus kulturfremden Ländern sieht er als Bedrohung für den deutschen Sozialstaat. Wenn Deutschland nicht bald eine radikale Wende in der Migrationspolitik vollziehe, werde das Land langfristig an sozialer und wirtschaftlicher Stabilität verlieren.
Für Sarrazin ist klar: Eine ungesteuerte Masseneinwanderung aus muslimisch geprägten Ländern führt zu massiven Integrationsproblemen und erhöht den Druck auf das Sozialsystem. Er sieht die demografischen Verschiebungen weltweit – besonders in Afrika und dem Nahen Osten – als eine der größten Herausforderungen für Europa in den kommenden Jahrzehnten. Ohne eine klare Politik, die diese Migration kontrolliert, sieht er die Zukunft Deutschlands und Europas in Gefahr.
Thilo Sarrazin bleibt einer der schärfsten Kritiker der deutschen Migrationspolitik. In seinem Gespräch mit der NZZ macht er deutlich, dass er die politische Führung Deutschlands als unfähig ansieht, die drängenden Probleme des Landes zu lösen. Die Wahlerfolge der AfD sieht er als eine direkte Folge dieser Politik. Für ihn steht fest, dass die Bundesregierung ihre Migrationspolitik grundlegend überdenken muss, wenn sie verhindern will, dass die politische und gesellschaftliche Spaltung weiter voranschreitet.
Sarrazin schließt das Interview mit einer drastischen Warnung: Wenn die politischen Eliten ihre ideologischen Ziele weiterhin über die Interessen der breiten Bevölkerung stellen, nehmen sie den "Untergang der Gesellschaft" in Kauf. Nur eine realistische und pragmatische Politik könne verhindern, dass Deutschland weiterhin auf der "schiefen Bahn" bleibe.
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