Für die deutschen Atomkraftgegner ist das seit Monaten der Dorn im Auge schlechthin: Ingenieure des russischen Unternehmens Rosatom arbeiten offenbar mit ihren deutschen Kollegen in der Branche zusammen und schulen sie sogar mithilfe eigener Technik, die aus Russland geliefert wurde. Um russisches Uran und den Staatskonzern Rosatom machten die EU-Sanktionen bislang einen Bogen – die russischen Technologien zur friedlichen Nutzung des Atoms sind selbst für den Westen unentbehrlich. Paradoxerweise verstärkt sich die Zusammenarbeit in diesem Bereich ausgerechnet jetzt, weil die Europäer künftig unabhängiger von Russland werden wollen. Zu diesem Zweck wollen sie geschult werden – von den Russen.
In der EU gibt es noch 19 Reaktoren sowjetischer Bauart, die auf Kernbrennstäbe aus Russland, und damit auf Rosatom, angewiesen sind. Alle Anlagen sind in fünf Ländern Mittel- und Osteuropas verortet. Das französische Unternehmen Framatome will sie nun selbst mit VVER-Brennstäben sowjetischer Bauart beliefern. Dafür haben die Franzosen nach ZDF-Angaben zusammen mit der Rosatom-Tochter TVEL das Gemeinschaftsunternehmen European Hexagonal Fuel S.A.S. mit Sitz in Lyon gegründet.
Aber was hat das mit Deutschland zu tun? Für die Brennstäbe-Herstellung will die Framatome-Tochter ANF die Kapazitäten des stillgelegten AKW im niedersächsischen Lingen nutzen, denn auch diese Produktionsanlage gehört jetzt der ANF. Das Vorhaben muss aber vom niedersächsischen Umweltministerium genehmigt werden, und Umweltminister Christian Meyer von den Grünen ist ein strikter Gegner des Projekts.
Das Tauziehen um das Vorhaben dauert jetzt beinahe zweieinhalb Jahren. Medienberichte, Beratungsgespräche, Gutachten und schließlich eine Petition mit mehr als 10.000 Unterschriften und regelmäßige Protestaktionen, alles war schon im Programm. Doch die Framatome-Tochter ANF ließ sich davon nicht beeindrucken, und hat offenbar russische Ingenieure mit dem Bau von Geräten und der Schulung der deutschen Mitarbeiter beauftragt.
Da die Russen sich auf dem Fabrikgelände nicht aufhalten dürfen, wurde dafür angeblich eine Möbellagerhalle gemietet. Das haben die Aktivisten vom "Aktionsbündnis Münsterland gegen Atomanlagen" im Mai bekannt gegeben. Damit wolle Framatome noch vor der Genehmigung Fakten schaffen, sagten sie. Die Mitarbeit der Russen an der Produktion ist nicht vorgesehen, aber für eine Schulung durch sie gibt es zumindest, wie es scheint, kein Verbot.
Da der rechtliche Status für den Aufenthalt der Russen ungeklärt ist, dieser aber trotzdem stattfindet, gibt es offenbar zumindest auf der Ebene des Bundes den politischen Willen, dies zu gestatten. Denn Framatome will die Osteuropäer unabhängiger von Lieferungen aus Russland machen, und das könnte Länder wie Ungarn oder die Slowakei am Ende gefügiger machen. Denn mit ihrer besonderen Verbindung zu Russland sind sie zu unbequem für Brüssel. Die Tatsache, dass Rosatom bei dem Vorhaben, das den russischen Interessen auf langfristige Sicht nicht förderlich ist, auch noch mitmacht, nährt den ohnehin vorhandenen Spionage- und Sabotage-Verdacht.
"Man muss davon ausgehen, dass, wenn Mitarbeiter direkt aus Russland kommen, zumindest ein Risiko für Spionage, Sabotage, aber auch für Erkenntnisse zu Betriebsgeheimnissen besteht. Es darf keine Gefahr für die innere und äußere Sicherheit durch Putins Einfluss auf die Brennelementefabrik Lingen geben", sagte der niedersächsische Umweltminister Christian Meyer gegenüber dem ZDF.
Da der Atomriese mit 300.000 Mitarbeitern für Russland systemrelevant und staatstragend ist, an der Entwicklung und Herstellung der Nuklearwaffen beteiligt ist und auch noch das AKW Saporoschje im aus deutscher Sicht "okkupierten" Gebiet Saporoschje betreibt, passt er perfekt zu dem von den Atomkraftgegnern geschürten Feindbild. Die Rosatom-Ingenieure werden von den Aktivisten als "Gesandte" und "Handlanger" des Kremls betitelt, bei ihren regelmäßigen Mahnwachen vor dem Fabrikgelände in Lingen tragen die Protestler stets Putin-Masken. "Putins Atom-Maschinen" hätten in Deutschland nichts zu suchen, fordern sie.
Dieser Sprech würde auch zu vielen Politikern in Berlin sehr gut passen. Doch die Forderungen der Rosatom-Gegner scheinen zumindest bislang nicht mit den Sichtweisen der Bundesregierung zu harmonieren. Laut einem Taz-Bericht seien die Aktivisten von der Polizei sogar beschattet worden. Auch die Belegschaft der Brennelementefabrik in Lingen mit 400 Mitarbeiter steht klar hinter dem Vorhaben. Die Anlage befindet sich im Emsland, fernab der Großstädte – ohne den Auftrag aus Frankreich könnten die Mitarbeiter arbeitslos werden.
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