Man ist ja längst Kummer gewohnt mit der Bahn. Seit sie vor mittlerweile 30 Jahren zur DB AG wurde – damals mit der Absicht, sie komplett zu privatisieren – ist nichts mehr von dem übrig, was man einmal von deutschen Eisenbahnen erwartete: Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit und ruhige Reisen. Im vergangenen Winter beispielsweise kam heraus, dass praktischerweise bei der Zahl der Schneepflüge gespart worden war, was tagelang den Zugverkehr in Bayern fast völlig zum Erliegen brachte. Gelegentliche Unfälle infolge nicht angemessen gewarteter Strecken sind inzwischen auch Normalität.
Dafür wurden nicht nur die Mitarbeiter, die einst Beamte gewesen waren, zu Angestellten, es wurde auch jede Gelegenheit genutzt, so viele wie möglich davon einzusparen. Jetzt meldete die Süddeutsche Zeitung (SZ), genau das sei auch bei den Stellwerken geschehen, die infolge mehrerer Umgestaltungen und Ausgliederungen im ehemaligen Staatsbetrieb inzwischen Teil der DB InfraGO sind, die inzwischen gemeinnützig für die Netze zuständig sein soll.
Die Bundesnetzagentur, die Behörde, die trotz der Privatisierung dafür sorgen soll, dass es noch einen funktionierenden Zugverkehr gibt, hatte nämlich ein Verfahren gegen die DB InfraGO geführt, in dem sie wissen wollte, wie die Personalsituation in den Stellwerken so aussieht. Dabei muss man wissen, dass der Ausfall von Stellwerken, die den Fluss durch das Streckennetz steuern, massive Folgen haben kann, wenn sie auch nicht überall gleich massiv sind. Im Jahr 2013 waren beispielsweise viele Mitarbeiter beim Stellwerk Mainz ausgefallen, was für tagelanges Chaos auf den deutschen Hauptstrecken sorgte (vermutlich könnte nur ein Ausfall des Stellwerks München noch größere Auswirkungen haben). Bereits damals hieß es schon in der Berichterstattung:
"Die Netzsparte, zu der die Fahrdienstleiter gehören, schrumpfte von 54.000 Stellen im Jahr 2001 auf rund 35.000 im Jahr 2012."
Damals musste der für das Netz zuständige Vorstand seinen Hut nehmen. Dem Versuch, das Personal aufzustocken, standen damals allerdings die Zustände im Weg, die die Mitarbeiter beklagten:
"Fahrdienstleiter klagten über unregelmäßige Arbeitszeiten durch zu viele Vertretungsschichten, regelmäßig hohe Überstundenmengen, Stress, Pausenmangel und ein Gehaltsgefüge, das Bahn-Mitarbeiter in einem offenen Brief an den Vorstand 'Schmerzensgeld' statt Lohn nannten."
Nun, über zehn Jahre nach der damaligen Krise, in denen Besserung versprochen worden war, belegen Dokumente, die die SZ zitiert, dass sich nichts gebessert hat.
Im Jahr 2021 sei, so die Daten von DB InfraGO, bei rund 4.000 Stellwerken bundesweit noch 688 Mal ein Stellwerk vorübergehend ausgefallen; 2022 geschah es bereits 4.165 Mal, und im ersten Halbjahr 2023 gab es schon 2.429 Ausfälle. Jeder dieser Ausfälle führt dazu, dass Zugverbindungen mindestens deutlich verzögert oder umgeleitet werden, wenn sie nicht ganz ausfallen müssen, weil die Weichen auf der Strecke nicht mehr gestellt werden.
"Minderleistung" wegen zu wenig vorhandenem Personal gab es 2021 6.458 Mal, 2022 10.508 Mal und in der ersten Hälfte 2023 5.420 Mal. Was insgesamt bedeutet, dass statistisch jedes deutsche Stellwerk einmal im Jahr ganz ausfällt und zweimal "Minderleistung" liefert.
Diese Zahlen mussten aus der DB InfraGO erst einmal heraus geklagt werden; sie hatte sie in dem Verfahren der Netzagentur zwar der Behörde geliefert, sie gegenüber den anderen Verfahrensbeteiligten, zu denen Verkehrsverbünde, aber auch private Bahngesellschaften gehören, zum "geheimhaltungswürdigen Betriebs- und Geschäftsgeheimnis" erklärt. Das Urteil der Netzagentur zu den Zahlen lautete: "Sehr wesentlichen Einfluss scheinen Fehleinschätzungen des Managements der DB InfraGO" gehabt zu haben. Man sei wohl davon ausgegangen, schneller durch die Digitalisierung der Stellwerke Personal einsparen zu können und habe daher auch zu wenig ausgebildet. Durch "hohen persönlichen Einsatz" seien "größere Ausfälle länger verhindert worden."
Die Probleme in den Stellwerken wirken natürlich zusätzlich zu all den anderen wie maroden Gleisen (die berüchtigten "Langsamfahrstrecken"), fehlenden Lokführern, kaputten Klimaanlagen oder fehlenden Zugbegleitern. Die Unpünktlichkeit der Deutschen Bahn AG ist jedenfalls schon so berüchtigt, dass seit diesem Sommer verspätete deutsche Züge nicht mehr in die Schweiz einfahren dürfen, sondern die Passagiere umsteigen müssen – damit die deutsche Unpünktlichkeit nicht das Schweizer Netz infiziert.
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