Im Sommerinterview mit dem ZDF spricht Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) über die größer werdende Kluft zwischen Politik und Wählern. Politik habe sich von den Bürgern entfernt. Er wolle daher sich wieder zu den "Wurzeln der Politik bewegen, raus aus dem Amtszimmer, raus aus Berlin, hinein in die Region und das tun, was den Kern von Politik eigentlich ausmacht: zuhören, erklären und Botschaften mitnehmen".
Dass das nicht ernst gemeint ist, wird im Verlauf des Interviews klar. Es sind Floskeln des Populismus, von denen Steinmeier glaubt, sie seien die passende Medizin für die im Kern richtige Diagnose, dass die deutsche Gesellschaft immer weiter auseinanderfällt und der Ton rauer wird.
Ein Teil der deutschen Parteienlandschaft würde Anleihen bei Trump nehmen, meint der Bundespräsident. Wenn sie gegen das ihnen verhasste "System" kämpfen, würden sie sich eigentlich gegen die Demokratie richten, gegen die Politik, politische Institutionen, Gewerkschaften und freie Medien.
Nachdem er ein Schreckensszenario der Bedrohung der Demokratie entworfen hat, betreibt Steinmeier direkten Wahlkampf im Sinne der etablierten Parteien. Ohne die AfD und das BSW zu nennen, sagt Steinmeier: "Wer die Grundfesten unserer Demokratie angreift, in dessen Hände darf Macht nicht gelangen."
Demokratie, das bedeute schwerfällige Prozesse, die aber garantieren, dass nicht ganze gesellschaftliche Teile völlig ausgegrenzt werden.
Spätestens an dieser Stelle wird die Widersprüchlichkeit der Ausführungen Steinmeiers offensichtlich. Er nennt es selbst: Große Teile der deutschen Wählerschaft fühlen sich von der Politik nicht mehr repräsentiert. Steinmeier verfolgt mit seinem Konzept von Zuhören und Erklären vor allem den Aspekt des Erklärens. Das wird unter anderem an seiner Haltung zur Unterstützung der Ukraine deutlich. Steinmeier meldete sich im Haushaltsstreit zu Wort. Mit der Aussage, er lehne eine Kürzung der Ukraine-Hilfe ab, überschritt er nicht nur sein Mandat und mischte sich in die Tagespolitik ein. Er ignorierte vor allem den Wunsch der Mehrheit der Deutschen, die sich Verhandlungen und ein Ende des Krieges wünschen.
Deutlich wird das aber auch an seiner Haltung zum Attentat in Solingen, bei dem am Wochenende drei Personen von einem Asylbewerber aus Syrien getötet wurden. Steinmeier äußert seine Betroffenheit, verlangt die Härte des Gesetzes, will aber keine Änderung der Zuwanderungspolitik. Er fordert stattdessen mehr Befugnisse für Sicherheitsbehörden.
"Diejenigen, die Angst und Terror verbreiten, die dürfen unsere Angst nicht bekommen", sagt Steinmeier und gibt damit die Verantwortung an die Bürger ab. Er bleibt in seinen Ausführungen zu Solingen insgesamt empathielos.
Letztlich ist Steinmeier damit dem bereits gewohnten Prinzip der etablierten Parteien treu geblieben. Man simuliert Gesprächsbereitschaft, simuliert Demokratie, um dann den eingeschlagenen Weg kompromisslos zu verfolgen. Jeder, der dieses Verhalten kritisiert, wird als Anti-Demokrat gebrandmarkt. Echte Lösungen hat Steinmeier nicht zu bieten.
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