Das Auswärtige Amt hat heute den chinesischen Botschafter einbestellt. Grund dafür ist der Vorwurf, eine staatliche chinesische Stelle habe sich im Jahr 2021 in die Rechner des Bundesamts für Kartographie und Geodäsie gehackt.
Die Pressemitteilung dazu findet sich nicht beim Auswärtigen Amt, dessen letzte Pressemeldung sich mit der Deutschlandreise von Außenministerin Annalena Baerbock befasst, sondern beim Bundesministerium des Inneren. Darin heißt es:
"Die Bundesregierung hat heute nach umfassenden Analysen und Ermittlungen der Sicherheitsbehörden die Verantwortung für einen schweren Cyberangriff Ende 2021 auf das Bundesamt für Kartographie und Geodäsie [BKG] staatlichen chinesischen Akteuren zugeordnet und auf das Schärfste verurteilt. […] Insbesondere das Bundesamt für Verfassungsschutz [BfV] und das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik [BSI] haben seinerzeit das BKG bei der Bewältigung des Cyberangriffes unterstützt."
Außerdem war auch noch das Auswärtige Amt beteiligt ‒ das ergibt insgesamt vier Bundesbehörden, die über zweieinhalb Jahre nach dem Vorfall zu dem Schluss gekommen sind, es habe sich dabei um chinesische Angriffe gehandelt.
Auch Innenministerin Nancy Faeser meldete sich zu Wort und meinte:
"Die Bundesregierung verurteilt diesen Cyberangriff staatlich gesteuerter chinesischer Akteure auf das Schärfste. Wir fordern China auf, derartige Cyberattacken zu unterlassen und zu unterbinden. Diese Cyberangriffe bedrohen die digitale Souveränität Deutschlands und Europas."
Das Bundesamt für Kartographie und Geodäsie erstellt Geodaten und bietet zudem eine digitale Plattform, über die Länder wie Kommunen ihre jeweiligen Karten digital zur Verfügung stellen können. Der größte Teil der Daten, die dieses Amt erstellt, ist entweder kostenlos oder gegen Gebühren zugänglich ‒ so, wie auch Karten in hoher Auflösung seit vielen Jahrzehnten käuflich zu erwerben sind.
Welche Daten überhaupt für ausländische Akteure von Interesse sein könnten, wird nicht genauer ausgeführt. Ebenso wenig, auf welcher Grundlage der Schluss gezogen wurde, es habe sich dabei um chinesische Hacker gehandelt. Die höchste Hackeraktivität weltweit hat ihren Ursprung in der Ukraine. Dortige Akteure hätten vermutlich auch ein höheres Interesse an solchen Daten, da beispielsweise dreidimensionale Modelle einzelner Häuser an spezifischen Adressen im Angebot sind – allerdings auch gegen Bezahlung erhältlich. Wobei Grundlage der Daten des Bundesamts für Kartographie und Geodäsie Satellitendaten sind, die China als Land, das eigene Satelliten besitzt, auch selbst erheben kann.
Die Anschuldigung, chinesische Hacker hätten eine Bundesbehörde attackiert, erinnert an ähnliche Vorwürfe, die vor Jahren gegen Russland erhoben wurden, ebenfalls ohne Beweise und ohne Begründung, worin das Interesse hätte liegen sollen. Die Namen, die den angeblich staatlich gesteuerten Gruppen zugeschrieben wurden, folgen einem vergleichbaren Schema. Damals war es beispielsweise "Fuzzy Bear", jetzt heißt sie "Vixen Panda".
Neben der Bezichtigung Chinas dürfte ein Hintergrund für diese Meldung ein Gesetzentwurf sein, der vergangene Woche im Bundeskabinett beschlossen wurde und Unternehmen Vorgaben macht, die die Cybersicherheit stärken sollen. In diesem Zusammenhang sind entsprechende Meldungen nützlich.
Die umfangreichste Cyberspionage durch staatliche Stellen dürfte jedoch durch einen ganz anderen Akteur erfolgen, der es nicht nötig hat, dafür zu hacken. Sobald US-amerikanische Rechner, Betriebssysteme oder Programme genutzt werden, besteht für US-Dienste jederzeit die Möglichkeit, auf die Daten zuzugreifen – der Einbau einer entsprechenden "Hintertür" ist in den Vereinigten Staaten gesetzlich vorgeschrieben.
Das Innenministerium sieht allerdings China als Gefahr und begründet seine Einschätzung damit, dass das Land Wissen in Deutschland abschöpfen wolle. "Es verfolgt eine offensive Cyberstrategie, die durch umfangreichen Wissenstransfer einen wichtigen Beitrag zu den industrie- und geopolitischen Zielen des Landes leisten soll." Inzwischen stammt weltweit jede zweite Patentanmeldung aus China. Selbst bei den Anmeldungen innerhalb Europas belegt es den zweiten Platz hinter Deutschland.
Eine aktuelle Stellungnahme der Botschaft der Volksrepublik China in Berlin liegt nicht vor. Allerdings gibt es eine Stellungnahme vom 12. Juli zum Beschluss des Bundesinnenministeriums, Produkte chinesischer Hersteller aus den deutschen 5G-Netzen zu entfernen, der ebenfalls mit möglichen Sicherheitsgefahren begründet wurde. Darin heißt es unter anderem:
"Der vom Bundesinnenministerium angekündigte Schritt ist eine politische Diskriminierung pur. Er fügt nicht nur dem gegenseitigen Vertrauen großen Schaden zu, [sondern] wird auch die potenziellen Kooperationen zwischen China und Europa in Mitleidenschaft ziehen."
Für das Auswärtige Amt allerdings, das laut Presseerklärung "die Federführung bei diesem nationalen Attribuierungsverfahren" hatte, ist genau diese Beeinträchtigung möglicher Kooperationen das erklärte Ziel, wie dies in der China-Strategie festgelegt wurde.
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