Das Oberverwaltungsgericht Münster hat in seinem am Montag veröffentlichten Urteil einen seit 2014 in Deutschland lebenden Syrer weder als Flüchtling anerkannt noch ihm subsidiären Schutz gewährt.
Diesbezüglich stellte das Gericht fest, dass es die Voraussetzungen für die Zuerkennung subsidiären Schutzes, "nämlich die ernsthafte, individuelle Bedrohung des Lebens oder der körperlichen Unversehrtheit von Zivilpersonen infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen Konflikts, in der Provinz Hasaka, aber auch allgemein in Syrien, als nicht mehr gegeben" ansieht.
Die Spitze der Unionsfraktion im Bundestag fordert nun von der Bundesregierung Konsequenzen. Das Gericht habe "ein wegweisendes Urteil gefällt, das eine neue Dynamik in die Migrationsdebatte bringen könnte", erklärte Thorsten Frei, Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU/CSU-Fraktion.
"Gleichzeitig ist es eine schallende Ohrfeige für Außenministerin Baerbock, die vor der tatsächlichen Sicherheitssituation in Syrien die Augen verschließt", sagte Frei. Dass die Ampel zur Getriebenen der Justiz werde, "zeigt einmal mehr, auf welchem migrationspolitischen Holzweg sie unterwegs ist". Es werde "höchste Zeit, alle Hebel in Bewegung zu setzen, um zügig Konsequenzen aus dem Urteil zu ziehen", forderte der Unionspolitiker.
Buschmann interpretiert Gerichtsurteil auf eigene Weise
Zu möglichen Konsequenzen des Urteils sagte Bundesjustizminister Marco Buschmann, die Logik dahinter sei, dass man sich immer genau anschauen müsse, wer in welchen Teil Syriens abgeschoben werden könne. "Man kann eben nicht mehr pauschal sagen, dass die Sicherheitslage im gesamten Land überall gleich ist, sondern es muss genau hingeschaut werden", so der FPD-Politiker. Dies sei eine Entscheidung des Gerichts, "die man nachvollziehen kann, wenn man davon ausgeht, dass es mittlerweile auch in diesem Land Regionen gibt, die sehr gefährlich sind, aber auch andere Regionen gibt, wo nicht zwingend Gefahr für Leib und Leben besteht".
Dabei hatte das Gericht seine Feststellung auf ganz Syrien bezogen. Laut dem Gericht gebe es zwar "zum Beispiel in der Provinz Hasaka noch bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen der Türkei und verbündeten Milizen einerseits und den kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) andererseits", auch verübe der Islamische Staat "dort gelegentlich Anschläge auf Einrichtungen der kurdischen Selbstverwaltung". Doch die "bewaffneten Auseinandersetzungen und Anschläge erreichen jedoch kein solches Niveau (mehr), dass Zivilpersonen beachtlich wahrscheinlich damit rechnen müssen, im Rahmen dieser Auseinandersetzungen und Anschläge getötet oder verletzt zu werden".
Mit der Aussage, dass "allgemein in Syrien" keine Voraussetzungen für subsidiären Schutz mehr gegeben seien, könnte sich das Urteil auf alle mit einem solchen Status in Deutschland lebenden Syrer auswirken – und vom BAMF zukünftig als Begründung herangezogen werden, um Syrern, die sich mit subsidiärem Schutz im Land aufhalten, den Aufenthalt zu verweigern.
Kritik an dem Urteil kommt von Pro Asyl. Deren rechtspolitische Sprecherin Wiebke Judith sagte dazu: "Das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen entscheidet an der Realität in Syrien vorbei." Einschlägige Quellen wie der Lagebericht des Auswärtigen Amtes zeigten, dass es weiterhin "eine beachtliche Konfliktlage" gebe. Tatsächlich spricht der Lagebericht von "komplexen militärischen Auseinandersetzungen", die "weiterhin verschiedene Städte und Regionen" betreffen. "Insbesondere in den Gouvernements Aleppo und Idlib ist die Lage weiterhin fragil und es kommt nach wie vor zu teils intensiven Kampfhandlungen", heißt es dort.
Diese Formulierungen im Lagebericht sind allerdings über ein Jahr alt – offenbar will man im Gegensatz zu dem Verwaltungsgericht im Baerbock-geführten Ministerium die gegenwärtige Realität in Syrien nicht anerkennen.
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