Heute findet vor dem Verwaltungsgericht in Berlin die erste Anhörung im Prozess der Zeitung Junge Welt (JW) gegen die Bundesrepublik statt. Die Klage für diesen Prozess wurde bereits vor drei Jahren eingereicht; geklagt wurde gegen die Bewertung der Zeitung im Verfassungsschutzbericht des Bundes.
Dabei wurde in diesem Bericht aus dem Jahr 2021 Zeitung, Verlag und Genossenschaft zu "linksextremistischen Personenzusammenschlüssen mit umstürzlerischer Agenda" erklärt. Diese Bewertung wurde noch im selben Jahr vom Bundesministerium des Inneren in der Antwort auf eine Bundestagsanfrage (Drucksache 19/29415) bestätigt:
"Die Bezeichnung 'Gruppierung' im Registeranhang der Verfassungsschutzberichte des Bundes ist als nicht-technischer Sammel- bzw. Oberbegriff zu verstehen, unter dem die verschiedenen Organisations- und Gesellschaftsformen der dort genannten Personenzusammenschlüsse zusammengefasst sind. Hierunter können auch die angesprochenen 'politischen Organisationen' und 'wirtschaftliche Unternehmungen' fallen, sofern sie verfassungsfeindliche Ziele verfolgen."
Welche Möglichkeiten sich durch eine derartige Definition eröffnen, hat erst jüngst das Verbot der Zeitschrift Compact vorgeführt, bei dem genau zu dem Schritt gegriffen wurde, den Verlag zu einem Verein zu erklären.
Die Argumentation des BMI zum "Linksextremismus" der Jungen Welt in jener Anfrage geht bis in die Verwendung von Begriffen. Das ist das Beispiel, warum marxistische Grundüberzeugungen "sich gegen Grundprinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung" richten:
"Beispielsweise widerspricht die Aufteilung einer Gesellschaft nach dem Merkmal der produktionsorientierten Klassenzugehörigkeit der Garantie der Menschenwürde. Menschen dürfen nicht zum 'bloßen Objekt' degradiert oder einem Kollektiv untergeordnet werden, sondern der Einzelne ist stets als grundsätzlich frei zu behandeln."
Wohlgemerkt, eine Zeitung kann, im Gegensatz zur staatlichen Exekutive, gar nicht "behandeln", sondern nur beschreiben.
Eine weitere Vorhaltung aus der Antwort auf die Anfrage ist diese:
"Demzufolge spiegelt die jW auch kein breites Spektrum von verschiedenen Meinungen und Ansichten wider; Gegenstimmen und konträre Meinungen sind in der jW eher selten vertreten."
Das jedoch war nie eine Anforderung des Presserechts, sondern galt nur für den öffentlich-rechtlichen Bereich, der schließlich von allen (unfreiwillig) finanziert wird. Selbst im Arbeitsrecht sind die Mitarbeiter eines Mediums an die inhaltlichen Absichten des Eigentümers gebunden, und "konträre Meinungen" berechtigen sogar zu fristlosen Kündigungen.
Wie sich bestätigt hat, hatte die Geschäftsführung der Jungen Welt, als sie vor drei Jahren Klage gegen diese Bewertung eingereicht hatte, weil damit der Zeitung unterstellt werde, kein journalistisches Produkt zu sein, die richtige Ahnung gehabt, worauf eine derartige Bewertung abziele.
"Im letzten Schriftsatz der Geheimdienstanwälte, der die Klägerin am Mittwoch erreichte, wird der Zeitung eine 'Diffamierung' durch die Beschreibung der BRD als kapitalistisch und imperialistisch unterstellt", schreibt die Junge Welt in ihrer aktuellen Berichterstattung. Auch die Verwendung eines Begriffs wie "Arbeiterklasse" wird zum Vorwurf gemacht; übrigens ein Wort, das im angelsächsischen Raum völlig gebräuchlich ist.
Der Vorteil der Jungen Welt könnte sein, dass sich unter anderem die beiden großen deutschen Journalistenverbände, der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) und die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union (DJU) in diesem Fall zu Wort gemeldet und ihre Unterstützung bekundet haben, was im Zusammenhang mit Compact explizit nicht der Fall war. Das Verfahren wird erweisen, ob derartige Unterstützung noch etwas bewirkt oder ob sich letztlich die Sicht des Innenministeriums durchsetzt.
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