Von Susan Bonath
Das zunehmend restriktive Meinungsmanagement in Deutschland zielt verstärkt auf die Stütze der herrschenden Klasse und ihrer politischen Lobby: die Akademiker. Mit Sanktionsdrohungen versucht die Bundesregierung, Hochschullehrern das kritische Denken abzugewöhnen und sie auf eine konforme Haltung zu trimmen. Doch noch geht Kritikern in den eigenen Reihen ein solches Gebaren zu weit.
Der neueste Versuch, unliebsame Meinungen zu unterdrücken: Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) unter Bettina Stark-Watzinger (FDP) wollte prüfen, ob man kritischen Professoren die Fördermittel streichen könnte. Die lehrenden Akademiker hatten in einem offenen Brief die gewaltsame Räumung eines propalästinensischen Protestcamps durch die Polizei auf einem Uni-Gelände gerügt.
Das geht aus internen E-Mails hervor, die jemand an die Presse durchgestochen hat.
Nun hagelt es Empörung, einige fordern den Rücktritt der FDP-Ministerin. Vermutlich aber wird Stark-Watzinger auch diesen Fall einfach aussitzen. Es ist schließlich nicht der erste staatliche Versuch, Kritiker zu unterdrücken.
Recht auf Protest
Der Hintergrund des neuerlichen Skandals ist ein Offener Brief, den Dozenten und Professoren der Freien Universität Berlin Anfang Mai veröffentlicht hatten. Sie kritisierten darin die Uni-Leitung dafür, dass diese ein propalästinensisches Protestcamp von Studenten von der Polizei gewaltsam räumen ließ. Darin heißt es unter anderem:
"Unabhängig davon, ob wir mit den konkreten Forderungen des Protestcamps einverstanden sind, stellen wir uns vor unsere Studierenden und verteidigen ihr Recht auf friedlichen Protest, das auch die Besetzung von Uni-Gelände einschließt."
Versammlungs- und Meinungsfreiheit seien "grundlegende demokratische Rechte, die auch und gerade an Universitäten zu schützen sind", argumentieren die Lehrkräfte weiter. Auch sei der Protest angesichts der massiven humanitären Krise im Gazastreifen nachvollziehbar, so die Initiatoren. Menschenrechte müssen für Palästinenser genauso wie für alle anderen gelten, bekräftigte Mitzeichner Professor Michael Barenboim gegenüber dem rbb.Diesen Eindruck habe er derzeit aber nicht.
Gesinnungspolitik
Am Dienstag berichtete die öffentlich-rechtliche ARD über die durchgestochenen E-Mails. Diese seien deren norddeutschem Ableger NDR zugespielt worden. Der ebenfalls online gestellte Schriftverkehr belegt, dass das Ministerium eine "förderrechtliche Bewertung" angefordert hat und den offenen Brief strafrechtlich prüfen lassen wollte. Dies hätte für die Professoren wohl Jobverlust und das Ende ihrer Karriere bedeutet. Der Mail-Verkehr stammt von Mitte Mai. Zu diesem Zeitpunkt dachte offenbar keiner der Zensurwilligen im BMBF daran, dass die Dokumente an die Presse gelangen könnten.
Auch konnte niemand wissen, dass sich weitere Hunderte Hochschulmitarbeiter dem Anliegen anschließen würden – am 13. Juni verzeichnete der Brief fast 1.100 Unterschriften von Professoren und Dozenten.
Die Gesinnungspolitik der BMBF-Leitung wäre somit wohl aus dem Ruder gelaufen und zu einer größeren staatlichen Säuberungsaktion mutiert, die möglicherweise sogar die Berufsverbote vorrangig gegen linke Akademiker in den 1970er-Jahren noch übertroffen hätte.
Uni-Netzwerk fordert Rücktritt
Am Tag nach dem ARD-Bericht mehrten sich bereits die kritischen Stimmen gegenüber Bildungsministerin Stark-Watzinger. Sogar einigen proisraelischen Hardlinern gingen die anvisierten Maßnahmen laut Deutschlandfunk zu weit. Ob diese ihre Kritik allerdings ernst meinten oder lediglich taktisch agierten, ist nicht überprüfbar.
Das bundesweite "Netzwerk für gute Arbeit in der Wissenschaft" (NGA WISS) als Teil der Gruppe "Akademischer Mittelbau" forderte überdies den sofortigen Rücktritt der Bildungsministerin.Es erklärte dazu (Schreibweise wie im Original):
"Eine Hausleitung des BMBF, die sich derart an staatlichen Eingriffen in die Freiheit der Wissenschaft, der Forschung und der Lehre sowie der Meinungsfreiheit von Wissenschaftler:innen versucht, ist in einer Demokratie nicht tragbar."
Mediale Hetzkampagne
Damit habe die Leitung des Ministeriums bereits "mehrfach versucht, Wissenschaftler, die unerwünschte Meinungen geäußert haben, öffentlich und dienstlich dauerhaft zu beschädigen", so die Organisation. Dabei hätten sich in diesem Fall die Professoren nicht einmal zu Israel, Palästina oder dem Gazakrieg selbst konkret geäußert, sondern nur das Recht auf friedlichen Protest verteidigt.
NGA WISS kritisierte zudem die Kampagne des Boulevardblatts Bild vom Axel-Springer-Verlag. Dieses hatte die Erstunterzeichner des offenen Briefs sogar einzeln mit Foto an den öffentlichen Pranger gestellt. Hetzjagden gegen unliebsame Personen, Ethnien, Religionsgemeinschaften und diverse unterprivilegierte Gruppen sind allerdings seit jeher eine besondere Spezialität der Springer-Presse.
Immerhin: In den Räumlichkeiten der Bundespressekonferenz (BPK) durften einige der Erstunterzeichner ihre Positionen ausführen und begründen.
Kein Einzelfall
Der aktuell aufgeflogene Skandal ist beileibe kein Einzelfall dieser Art, sondern eher ein Meilenstein im Rahmen zunehmend repressiver und systematischer staatlicher Unterdrückung abweichender politischer Ansichten.
Die in bildungsbürgerlichen Kreisen beliebte Zeitung Die Zeit hetzte kürzlich gleich gegen mehrere unliebsame Akademiker: Sie steckte die Journalisten Gabriele Krone-Schmalz und Patrik Baab sowie den Medienwissenschaftler Michael Meyen in die Schublade "Verschwörungsideologen".
Krone-Schmalz und Baab stehen seit längerem am Pranger der deutschen Gesinnungspresse, weil sie eine differenzierte Meinung zum Ukrainekonflikt vortragen und sich für Friedensverhandlungen mit Russland einsetzen. Beide sind Top-Journalisten und ausgewiesene Russland- und Ukraine-Kenner.
Meyen kritisiert indes den deutschen Journalismus, der zunehmend Meinung mit Berichterstattung vermische und immer offener Propaganda betreibe. Vergangenes Jahr veröffentlichte er das Buch "Wie ich meine Uni verlor". Darin beschreibt Meyen den Umbau der deutschen Hochschulen im Rahmen der Bologna-Reform zu einem System, das zunehmend Konformität erzwingt und die Wissenschaftsfreiheit aushebelt.
Meyen selbst wurde von der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München mit einem Disziplinarverfahren und damit einhergehenden Gehaltskürzungen belegt. Baab flog als Dozent aus der Christian-Albrechts-Universität (CAU) Kiel. Krone-Schmalz beschimpfen die Leitmedien als "Putinversteherin" und Ähnliches.
Drangsalieren, denunzieren, verbieten
Auch kritische Medien leiden unter wachsenden Repressionen. So wird beispielsweise die marxistische Tageszeitung junge Welt seit vielen Jahren vom Verfassungsschutz beobachtet und im jährlichen Bericht aufgeführt, was ihre Pressearbeit stark behindert. Dass auch sie wie im Jahr 2022 einige russische Medien, darunter RT DE, eines Tages verboten werden könnte, scheint nicht mehr ausgeschlossen zu sein.
Der Zeit-Beitrag über Meyen und Co. illustriert allerdings beispielhaft, dass der Beschimpfte so falsch nicht liegen kann. Die aneinandergereihten Beleidigungen, zum Beispiel als "Verschwörungsideologen" und "Querdenker", die angeblich irgendetwas mit "Reichsbürgern" zu tun hätten und "russische Desinformation" verbreiteten, sind nichts weiter als offene, aggressive Propaganda im gleichen Stil, mit dem Springers Bild jüngst gegen die Unterzeichner des offenen Briefs vorging: Kritiker werden denunziert und drangsaliert, um ihre Stimmen zum Schweigen zu bringen. Am Ende lauern Verbote.
Offener als Die Zeit in diesem Beitrag kann ein Medium kaum gegen alle journalistischen Grundsätze und deutschen Pressestandards verstoßen. Der Bundesregierung dürfte das aber gefallen, passt es doch wunderbar in ihr Konzept des Meinungsmanagements. Schließlich soll nicht nur die Bundeswehr, sondern auch die ganze deutsche Bevölkerung rasch "kriegstüchtig" werden. Dafür braucht sie aus Sicht der Herrschenden eben passende Propaganda.
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