Von Rüdiger Rauls
Fußball im Wandel
Die Zeiten, wo die Spieler sonntags für eine Flasche Bier und Mettbrötchen auf den Platz liefen, sind lange vorbei. Selbst in unteren Klassen werden Ablösesummen gezahlt, die die Kassen vieler Vereine überlasten. Die Gehälter der Spieler übersteigen die Einkommen der meisten Zuschauer bei Weitem, und allein für die Ehre läuft heute kein Nationalspieler mehr auf. Eintrittsgelder sind besonders für die großen Vereine nur noch ein Zubrot, der Spielbetrieb selbst könnte damit nicht mehr gewährleistet werden. Fußball ist nicht mehr das bescheidene Sonntagsvergnügen des kleinen Mannes. Heute ist er ein Event und in jeder Hinsicht global.
Die Globalisierung hat nicht nur den Kapitalismus erfasst, sondern auch den Sport. Wettbewerbe wie die Champions-League, die Europa-League und andere internationale Veranstaltungen wären mit den einfachen Verkehrsverbindungen wie in den Nachkriegsjahren nicht möglich gewesen. Erst der Ausbau der Verkehrsinfrastruktur schuf in den 1960er Jahren die Voraussetzungen für das Zustandekommen eines nationalen Fußballbetriebs wie die Bundesliga. Verbesserte Eisenbahnverbindungen, die Verbreitung des Autos, der Ausbau des Autobahnnetzes sowie die Ausweitung des Flugverkehrs durch neue Flughäfen und Linien boten Vereinen und Fans die Möglichkeit, innerhalb eines Wochenendes die Republik von einem Ende zum anderen hin und zurück zu durchqueren.
Die Reisekosten jedoch machen heute den geringsten Anteil an der Bilanz der großen Vereine aus. Den Löwenanteil fressen die laufenden Personalkosten für Spieler und Trainer auf. Zweistellige Millionenbeträge als Ablösesummen für Spieler sind im internationalen Spitzenfußball inzwischen die Regel, immer öfter sind sie sogar dreistellig. Das ist selbst mit den gestiegenen Eintrittsgeldern nicht mehr zu stemmen. Das große Geld kommt aus den Werbeeinnahmen, den Übertragungsrechten und dem Merchandising, zunehmend aber auch von den Kapitalmärkten. Manche Vereine haben sich vom familiären Stadt-Klub zu einer Aktiengesellschaft entwickelt, um sich über die Börsen finanzieren zu können.
Fußball als Anlageobjekt
Dass der Kapitalismus global geworden ist, bezieht sich nicht nur auf seine geographische Ausdehnung. Er erfasst inzwischen auch weitgehend alle Bereiche der Gesellschaft, und das schließt den Sport mit ein. Neuerdings mischen auch die Private-Equity-Fonds im internationalen Fußball mit. Diese sind als Heuschrecken verschrien, weil sie bei hoch verschuldeten Unternehmen einsteigen, diese auf Rendite trimmen und dann mit hohem Gewinn wieder verkaufen. Deshalb investieren sie auch nur in solche Bereiche der Gesellschaft, in denen aus Geld mehr Geld, also Mehrwert, erwirtschaftet werden kann. Eine Investition in die Armenspeisung der Tafeln lohnt sich nicht, weshalb dort auch keine Private-Equity-Fonds anzutreffen sind – trotz des hohen Finanzbedarfs.
Private oder auch institutionelle Investoren wie Banken, Versicherungen und Fonds entwickeln sich immer mehr zu Rettern von Staaten und Unternehmen. Ohne deren Geld wären die meisten Staaten längst pleite. Mit dem Fußball ist es nicht anders, und so schien auch vielen internationalen Clubs der einzige Ausweg aus dem Mangel an Kapital die Beteiligung von finanzstarken Geldgebern zu sein. Die Investitionen dieser Fonds stiegen "in den fünf größten europäischen Ligen von 2018 bis 2022 von knapp 68 Millionen Euro auf fast fünf Milliarden Euro. An mehr als einem Drittel der hundert besten Vereine sind sie beteiligt".
In der deutschen Bundesliga waren sie bisher nicht vertreten, weil Vereine und Fans diesem Beteiligungsmodell skeptisch gegenüberstanden. Aber der Abstand wächst zwischen den Bundesligavereinen und jenen, die von Investoren unterstützt werden – wie die englischen Klubs – oder aber vom Staat – wie Real Madrid. Unter diesen Umständen sehen sich auch die Vorstände im deutschen Spitzenfußball immer mehr unter Druck, "dass die Spiele in der Bundesliga durch mehr Investitionen attraktiver ... [und] in den internationalen Wettbewerben ... konkurrenzfähiger werden" müssen.
Großes Geld
Im Mai 2023 gab es erste Interessenbekundungen von den "vier Private-Equity-Unternehmen Advent, Blackstone, CVC und EQT" an einer Zusammenarbeit mit der Deutschen Fußball Liga e. V. (DFL) als Dachverband der Bundesliga-Vereine. Die Investoren sollten eine Milliarde Euro zur Verfügung stellen. Im Gegenzug wurde ihnen für zwanzig Jahre "rund acht Prozent der Einnahmen aus den Erlösen der Vermarktungsrechte" zugesagt.
Das Geld soll zum größten Teil für DFL-Projekte verwendet werden. "Im Kern geht es um die 600 Millionen Euro für die Finanzierung der Video-Plattform und anderer Maßnahmen zur Digitalisierung und Internationalisierung". Die DFL will sich weiterentwickeln und glaubt, sich digitaler, jugendlicher und internationaler aufstellen zu müssen. Dafür will man nicht nur das Geld der Investoren nutzen, sondern auch deren Wissen und Kontakte in diesem Bereich.
Vor allem von den kleineren Vereinen kommt die Kritik, "dass von der erhofften Steigerung der Auslandsvermarktung vor allem die großen Klubs profitieren" und dass es kein Geld für die Vereine geben soll. Aber gerade deren Förderung hätte man für wichtig gehalten. Denn hier wird der Fußball-Nachwuchs herangezogen und ausgebildet, der sich dann auf den Weg in den bezahlten Fußball bis hin zu den großen internationalen Klubs und in die National-Mannschaft macht.
Selbst auf der Ebene der Nationen geht es nicht mehr allein um Ansehen und die Ehre. Auch hier ist viel Geld im Spiel. Bei der diesjährigen Europameisterschaft schüttet die UEFA als Dachorganisation des europäischen Fußballs an die Verbände der angetretenen Mannschaften insgesamt 331 Millionen Euro aus. Die Preisgelder für die Mannschaften sind gestaffelt je nachdem, welche Runden erreicht und welche Ergebnisse erzielt werden.
"Für einen Durchmarsch mit sieben Siegen flössen dem Gewinner-Verband insgesamt 28,25 Millionen Euro zu", wohlgemerkt dem Verband, nicht dem Team. Aber auch die Spieler der Nationalmannschaften gehen nicht leer aus. 400.000 Euro erhält jedes Mitglied der Nationalmannschaft, wenn die Deutschen den Titel holen. Bei einem früheren Ausscheiden sind die Preisgelder des DFB niedriger.
Den größten Reibach bei dem Turnier macht der Veranstalter, der Europäische Fußballverband. "Für die EM 2024 kalkuliert die UEFA mit Einnahmen in Höhe von 2,4 Milliarden Euro". Bei der letzten EM, wegen "Corona" auf das Jahr 2021 verschoben, betrug das Nettoergebnis 645,8 Millionen Euro. Beim diesjährigen Turnier sind die Einnahmen aus Medienrechten und Sponsoring höher als beim letzten. Es dürfte also in diesem Jahr mehr übrig bleiben, weil auch die Stadien, anders als während der "Coronazeit", nun wieder voll belegt werden dürfen.
Die UEFA ist in der Schweiz als gemeinnütziger Verein registriert, weshalb sie in Deutschland nicht steuerpflichtig ist. Indirekt zahlt sie Steuern über die EURO 2024 GmbH, die sie mit dem DFB zusammen für die Organisation des Turniers gegründet hat. "Schätzungsweise 65 Millionen Euro an Steuern dürften über diese zusammen kommen". Das wirft natürlich die Frage auf, was nicht nur die Fußballfreunde, sondern die Gesellschaft von solchen sportlichen Großveranstaltungen hat.
Gesellschaftlicher Nutzen
Angesichts der gewaltigen Summen versuchen die Initiatoren und Nutznießer solcher Veranstaltungen, Rechtfertigungen zu finden und das eigene Gewinninteresse zu verschleiern. Denn neben der Begeisterung für solche sportlichen Ereignisse gibt es auch Bedenken hinsichtlich der Kosten, der Verteilung der Einnahmen und der Zuwendungen durch die Staaten.
Im Rückblick auf die Fußball-WM 2010 in Südafrika stellte die Neue Zürcher Zeitung fest: "vier Jahre nach dem riesigen Anlass steht das Land ökonomisch schlecht da. Der Unterhalt der Bauten ist eine schwere Bürde". Aber nicht nur die Folgekosten für die Instandhaltung der Bauten lasten auf der finanziellen Bewegungsfreiheit des Landes, vielmehr "sind Südafrika von der WM nicht viel mehr als Schulden geblieben, rund 500 Millionen Euro. Kein Wunder, hat die WM doch statt der prognostizierten 1,75 Milliarden die Nation 4,2 Milliarden gekostet".
Auch bei der Weltmeisterschaft in Brasilien 2014 waren die Zweifel am gesellschaftlichen Nutzen groß. Angesichts des Elends und der mangelhaften oder überhaupt nicht vorhandenen Infrastruktur in den Armenvierteln kam es zu heftigen Protesten vonseiten großer Teile der Bevölkerung. Diese war der Ansicht, dass der gesellschaftliche Nutzen solch hoher Ausgaben eher in der Hebung des Lebensstandards der breiten Bevölkerung statt in der Ausrichtung einer Weltmeisterschaft zu sehen sei.
Für die diesjährige EURO2024 in Deutschland erhoffen sich die "Host-Cities" (neudeutsch für Austragungsorte) höhere Umsätze im Gaststättengewerbe und Einzelhandel. Dessen Verband HDE rechnet mit 3,8 Milliarden Euro zusätzlichem Umsatz. Dementsprechend erhoffen sich auch Staat, die Länder und die Gemeinden höhere Steuereinnahmen aus den steigenden Umsätzen. Das Mantra und Dogma der höheren Steuereinnahmen durch höhere Umsätze waren auch immer die Argumente der Befürworter solcher Veranstaltungen.
Sie sind die Totschlagargumente, die vorgeben, im Interesse der gesamten Gesellschaft zu handeln, was in der Regel nur behauptet, aber nicht belegt wird. Jedenfalls bringen diese Veranstaltungen keinen nachhaltigen Aufschwung, wie das Institut der Deutschen Wirtschaft feststellte. Anhand des deutschen Sommermärchens im Jahr 2006 kommt dessen Untersuchung zu dem Ergebnis, "sportliche Großereignisse seien ... kein Konjunkturfeuerwerk". Aber für die FIFA lohnt es sich auf jeden Fall. Die Weltmeisterschaft in Südafrika hat nach Schätzungen von Experten der "FIFA rund 2,5 Milliarden Euro in die Kassen gespielt. Diese Zahl ... wurde bis heute von der FIFA nicht dementiert".
Für den einzelnen Fußball-Begeisterten ist angesichts der hohen Eintrittspreise der gesellschaftliche Nutzen immer schwerer zu erkennen. Fußball, der Arme-Leute-Sport von früher, ist heute nichts mehr für arme Leute. Auf dem niedrigsten Niveau – den Gruppenspielen der EURO2024 – werden für ein Ticket – je nach Lage – Preise von 30 bis 400 Euro verlangt. Im Endspiel geht es erst bei 95 Euro los, die teuersten Plätze kosten dann 2.000 Euro. Das hat so mancher Fußballfan am Ende des Monats nicht einmal in der Lohntüte.
Aber bei aller Kritik an der Geldmacherei durch den Sport darf nicht übersehen werden, dass die Menschen Freude an einer EM, WM oder Olympiade haben. Das miesepetrige Herumnörgeln vieler Kritiker und Moralisten führt nur selten zu einem veränderten politischen Bewusstsein, das sie eigentlich schaffen wollen. Niemand ist in der Bevölkerung unbeliebter als der Griesgram, der Essig in den Wein schüttet. Die Menschen wollen sich vergnügen und das Leben genießen. Das ist ihr gutes Recht. Der Fußball gehört dazu, ob es den Kritikern passt oder nicht. Und es gibt keinen Grund, sich darüber zu erheben.
Rüdiger Rauls ist Reprofotograf und Buchautor. Er betreibt den Blog Politische Analyse.
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