In einem Gespräch mit dem Schweizer Publizisten Pascal Lottaz hat die BSW-Abgeordnete Sevim Dağdelen ihre Positionen zu Beteiligung der NATO im Ukraine-Krieg erläutert. Anlaß für das Gespräch auf der YouTube-Plattform SaneVox Deutsch war die Entscheidung der führenden NATO-Staaten über Bekämpfung von Zielen auf russischem Territorium.
Dağdelen ist bekannt als Verfechterin der staatlichen Neutralität Deutschlands und gehört zu den ganz Wenigen in der Bundespolitik, die prinzipiell auf Antikriegs-Positionen stehen. Im Gespräch hat sie vor einer katastrophalen Entwicklung im NATO-Krieg gewarnt und zog Parallelen zum Krieg der US-Allianz in Vietnam in den 1960er und 1970er Jahren.
"Das, was wir heute erleben mit der Erlaubnis des Einsatzes deutscher Waffen in Russland und gegen Russland im [Ukraine-]Krieg, das ist nun mal eine neue Eskalationsstufe, weil es vonseiten der NATO tatsächlich ein Szenario wie Vietnam-Krieg zu geben scheint, weil die Debatte um den Einsatz der Bodentruppen der NATO auch noch da ist, die parallel geführt wird", argumentierte Dağdelen.
Die von der Politikerin gezogene Parallele war keine rhetorische Floskel, sondern ist ein durch historische Fakten fundierter Vergleich. Dağdelen erinnerte daran, dass sich zum offiziellen Kriegseintritt der USA in August 1964 nach dem fingierten "Tonkin-Zwischenfall" bereits 15.000 "Ausbilder" vor Ort im Süd-Vietnam befanden. "Nach einer gewissen Zeit wurden dann Soldaten zum Schutz der Ausbilder geschickt und danach wurden US-Truppen zum Schutz der Soldaten, die zuvor zum Schutz der Ausbilder geschickt worden waren, in den Krieg geschickt", sagte sie.
Ähnliches findet laut Dağdelen auch in der kriegerischen Auseinandersetzung einer NATO-Allianz mit ukrainischen Bodentruppen und NATO-Waffen und NATO-Ausbildern gegen Russland statt. Sie wies darauf hin, dass Estland, Großbritannien und Frankreich schon ganz offiziell bestätigt haben, dass ihre Ausbilder bereits "vor Ort" in der Ukraine sind.
"Das sind Hasardeure, die gestoppt werden müssen", forderte die Politikerin. Dafür sei ein Bündnis mit den Ländern des Südens nötig – um den Dritten Weltkrieg noch zu verhindern. Die gemeinsame Erklärung von China und Brasilien, die auch zu einer gemeinsamen Friedenskonferenz unter Einbeziehung Russlands aufrufen, lobte sie als Beispiel für einen angemessenen Umgang mit einem Krieg.
Der Vietnam-Krieg, der unter Beteiligung der USA und ihrer Verbündeten offiziell von 1964 bis 1973 dauerte (trotz der Gesamtdauer der militärischen US-Präsenz in Vietnam von 1955 bis 1975), forderte Millionen von Opfern. Auf dem Höhepunkt der militärischen Beteiligung der USA, nämlich im Jahre 1968, befanden sich 580.000 US-Soldaten in Vietnam. Insgesamt etwa 2,7 Millionen US-Amerikaner waren während des Vietnamkrieges als Soldaten in Vietnam, davon im Kampfeinsatz 1,6 Millionen, von denen fast 60.000 dort starben.
Die Opferbilanz auf vietnamesischer Seite war noch verheerender. Mehr als eine Million vietnamesischer Soldaten auf beiden verfeindeten Landesteilen kamen ums Leben, dazu noch mehr als eine Million Zivilisten. Insgesamt starben mehr als 3 Millionen Vietnamesen in dem Krieg, hunderttausende Vietnamesen erlitten Missbildungen infolge des Einsatzes chemischer Kampfstoffe wie des Entlaubungsmittels Agent Orange und Napalm für Flammenwerfer vonseiten der USA.
Dementsprechend desaströs waren auch die Folgen des Vietnamkrieges für die Umwelt, es wurden ganze Landstriche mit der Vernichtung ihrer kompletten Vegetation verödet. Insgesamt warfen die US-Amerikaner 4,5 Millionen Tonnen an Bomben auf Bodenziele ab – mehr als im Zweiten Weltkrieg. Trotz der Brutalität ihrer Kriegführung haben die USA diesen Krieg gegen einen waffentechnisch unterlegenen Gegner verloren.
Im Laufe des Gesprächs betonte Dağdelen mehrfach, dass der Ukraine-Krieg ein enormes Eskalationspotenzial hat, weil auf jegliche direkte NATO-Kriegsbeteiligung militärisch eine entsprechende Reaktion Russlands folgen wird. Die Bundestagsabgeordnete äußerte sich auch zur Atmosphäre in der Bundespolitik. Demnach verfolgen im Deutschen Bundestag nur noch die BSW-Abgeordneten konsequente Antikriegs-Positionen, wobei einige Abgeordnete aus anderen Parteien, die die offizielle Linie ihrer eigenen Partei nicht unterstützen, sich nicht mehr getrauen, ihre persönliche Meinung öffentlich zu äußern.
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