Die Ukraine "darf mit aus Deutschland geliefertem Kriegsgerät auch auf russisches Gebiet feuern". Unter Berufung auf Informationen aus dem Bundeskanzleramt berichtet das Hamburger Magazin Der Spiegel am heutigen Freitag, dass sich die Ampelkoalition "dazu durchgerungen hat, die Regel zu lockern".
Demnach habe Regierungssprecher Steffen Hebestreit mitgeteilt:
"Gemeinsam sind wir der Überzeugung, dass die Ukraine das völkerrechtlich verbriefte Recht hat, sich gegen diese Angriffe zu wehren. Dazu kann sie auch die dafür gelieferten Waffen in Übereinstimmungen mit ihren internationalen rechtlichen Verpflichtungen einsetzen; auch die von uns gelieferten."
Die Berliner Zeitung bestätigte am Vormittag diese Aussage des Regierungssprechers. In einer Mitteilung aus dem Kanzleramt heißt es:
"In den letzten Wochen hat [Russland] insbesondere im Raum Charkow von Stellungen aus dem unmittelbar angrenzenden russischen Grenzgebiet heraus Angriffe vorbereitet, koordiniert und ausgeführt."
Bundeskanzler Olaf Scholz hatte dazu noch am letzten Wochenende bei einem Bürgergespräch in Erfurt erklärt:
"Die Ukraine ist angegriffen, deshalb hat sie viele Handlungsmöglichkeiten, die ihr das Völkerrecht bietet. Und gleichzeitig haben wir ja mit der Ukraine Vereinbarungen getroffen, die wir nicht ändern müssen."
Die politische Diskussion um den gezielten Einsatz von deutschen Waffen durch die ukrainische Armee wurde zuvor auch von den Medien unterstützend begleitet. So titelte etwa das ZDF nach der Talksendung maybrit illner, in der der SPD-Politiker Sigmar Gabriel, der auch Mitglied der Atlantik-Brücke ist, zu Gast war:
"Gabriel für westliche Waffen gegen Russland. Ex-Außenminister Gabriel fordert SPD-Kanzler Scholz in Sachen Waffenlieferungen zum Kurswechsel auf."
Wenige Stunden vor dem Spiegel-Artikel über die Entscheidung des Kanzleramts meldete das Magazin:
"Strack-Zimmermann möchte Ukraine Angriffe auf Russland mit deutschen Waffen erlauben. Die Ukraine darf mit westlichem Kriegsgerät nicht auf Ziele in Russland feuern. Bisher. FDP-Verteidigungsexpertin Strack-Zimmermann plädiert nun für Angriffe auf russischen Boden."
Der Spiegel erläutert unter Berufung auf Regierungskreise, dass "Scholz und weitere Vertreter der Bundesregierung in den zurückliegenden Tagen eindeutige Antworten auf entsprechende Fragen mieden, um die USA nicht unter Zugzwang zu setzen". Washington soll der Ukraine jedoch laut US-Medienberichten zu diesem Zeitpunkt bereits stillschweigend die Erlaubnis erteilt haben, "mit US-Waffen russische Ziele nur in der Nähe von Charkow anzugreifen". Dies berichtete die Zeitschrift Politico unter Bezugnahme auf namentlich nicht genannte US-Beamte am Donnerstag.
"Der Präsident hat sein Team vor Kurzem angewiesen, dafür zu sorgen, dass die Ukraine in der Lage ist, US-Waffen für das Gegenfeuer in Charkow einzusetzen", zitiert Politico einen US-Beamten. Damit könne die Ukraine gegen russische Streitkräfte zurückschlagen, "die sie angreifen oder einen Angriff auf sie vorbereiten".
Die Bundesregierung habe demnach bewusst die Mitteilung aus Washington abgewartet, "ehe sie am Freitagvormittag selbst ausdrücklich grünes Licht für den erweiterten Einsatz deutscher Waffen gab", erläutert der Spiegel die hochriskante Entscheidung aus Berlin, die möglicherweise lediglich zu einer Verlängerung des Krieges führen wird.
Die Opposition im Bundestag steht der Entscheidung der Bundesregierung bislang überwiegend kritisch gegenüber. Der Spiegel zitiert die BSW-Politikerin Sahra Wagenknecht mit den Worten:
"Seit zwei Jahren überschreiten wir eine rote Linie nach der anderen und werden so immer mehr zur Kriegspartei."
Linken-Parteichefin Janine Wissler erklärte noch vor Bekanntwerden der Ampel-Entscheidung gegenüber dem Spiegel, dass ihre Partei von Bundeskanzler Scholz erwarte, "der Forderung nach Einsatz westlicher Waffen auf russischem Gebiet eine klare Absage zu erteilen".
Politiker der Ampelfraktionen begrüßten indessen die Entscheidung der Bundesregierung. Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), teilte der Deutschen Presse-Agentur mit: "Die Entscheidung der Bundesregierung ist folgerichtig und ein wichtiges Signal angesichts der aktuellen russischen Angriffsziele."
Die Europaparlamentarierin und SPD-Spitzenkandidatin zur Europawahl, Katarina Barley, befand die Entscheidung ebenfalls als "richtig". Gegenüber der Zeit sagte sie: "Putins Truppen stehen direkt hinter der Grenze und greifen Charkow ununterbrochen an. Um sich dagegen zu wehren, braucht die Ukraine unsere Unterstützung."
Für "die Erwiderung russischer Angriffe aus dem Grenzraum kommen theoretisch mehrere aus Deutschland gelieferte Waffen infrage", analysiert das Handelsblatt mit Blick auf die Entscheidung aus Berlin. Dazu gehören "zum Beispiel die Panzerhaubitze 2000 sowie Raketenwerfer vom Typ Mars II".
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