Die deutsche Medienlandschaft bezeichnete die jüngste Anwesenheit von Außenministerin Annalena Baerbock in der ukrainischen Hauptstadt mit den Schlagworten "Überraschungsbesuch" und "Solidaritätsbesuch". Medialer Höhepunkt war für den vorab informierten, begleitenden deutschen Pressetross die Verleihung eines "Verdienstordens" durch den ukrainischen Präsidenten Selenskij. Baerbock erläutert in einem Bild-Interview vor Ort ihre erneute Forderung der dringenden Unterstützung der ukrainischen Luftabwehr.
Baerbock ist damit zum siebten Mal in die Ukraine gereist. Der für seine unbedingte Ukraine-Solidarität bekannte Bild-Journalist und "Frontberichterstatter" Paul Ronzheimer erhielt nach Rücksprache mit dem Auswärtigen Amt die Chance auf ein Interview mit Baerbock. Das auf YouTube veröffentlichte Video wird dabei mit dem Text beworben:
"Annalena Baerbock (43, Grüne) kommt am Dienstagvormittag in der Ukraine an und trifft auf Bild-Vize Paul Ronzheimer, der sie den Tag über in Kiew begleitet."
Ronzheimer möchte einleitend von Baerbock wissen: "Sie waren gerade eben bei Präsident Selenskij, (…) haben den Außenminister gesehen" und ob die Ukraine "momentan diesen Krieg verliert?". Baerbock erläutert wörtlich zitiert:
"Nein, die Ukraine, vor allem die Menschen hier in der Ukraine, die ich heute auch wieder getroffen habe, sie kämpfen mit LöwInnen, mit Löwen-Mut."
Baerbock erzählt von einem vorbereiteten Pressetermin, "ich war draußen im Feld, muss man sagen, wir standen auf einem Feld", um die Arbeit einer Gruppe "der mobilen Luftverteidigung der ukrainischen Armee (offizielle Bildinformation des AA)" anzuschauen.
Baerbock erläutert, dass die ihr vorgeführte "mobile Luftverteidigungseinheit" zum Einsatz käme, um "Drohnen" und "Raketen" abzuschießen, sollte "kritische Infrastruktur" angegriffen werden, "die keinen Schutz hat, wie Patriot-Systeme oder Gepard-Panzer", so die Außenministerin darlegend. Die im Einsatz befindlichen ukrainischen Soldaten würden dabei nicht nur ihr Leben riskieren. Weiter legt Baerbock dar:
"Und das muss man sich, glaube ich, vorstellen, diesen Mut, mit dem sie nicht nur die Ukraine verteidigen, sondern unsere europäische Friedensordnung. Und deswegen muss die Ukraine diesen Krieg gewinnen. Und wir müssen alles dafür tun, dass dies eines Tages eintreten wird."
Zum Thema der von Selenskij fortdauernd eingeforderten Lieferung von "Taurus-Marschflugkörpern" aus Deutschland, wollte der Bild-Reporter seitens der Außenministerin eine Erklärung. Er stellte fest: "Sie gelten als Befürworterin von Taurus" und wollte wissen, warum die Lieferung dennoch ausbliebe. Baerbock legte wörtlich dar:
"Da muss ich nicht viel erklären, weil ihm und anderen klar ist, das kann es nur mit einer gemeinsamen Entscheidung aus der Bundesregierung geben."
Nach ihrem gemeinsamen Auftritt mit ihrem ukrainischen Kollegen Dmytro Kuleba in der Hauptstadt Kiew, zitiert sie das ZDF mit der Aussage:
"Jedes Zaudern und jedes Zögern bei der Unterstützung der Ukraine kostet das Leben unschuldiger Menschen. Und jedes Zaudern bei der Unterstützung der Ukraine gefährdet auch unsere eigene Sicherheit. Wir müssen jetzt alle Kräfte bündeln, damit die Ukraine bestehen kann (…) und damit Putins Truppen nicht bald vor unseren eigenen Grenzen stehen."
Das Auswärtige Amt veröffentlichte eine themenbezogene englischsprachige Pressemitteilung auf der Webseite des Ministeriums:
"Die Ukraine braucht dringend mehr Ressourcen für die Luftverteidigung, um sich vor russischen Raketen- und Drohnenangriffen zu schützen. Deshalb habe ich gemeinsam mit Verteidigungsminister Pistorius eine globale Initiative für eine verbesserte Luftverteidigung gestartet. Bisher wurden fast eine Milliarde Euro an zusätzlicher Unterstützung für die ukrainischen Luftverteidigungskräfte zur Verfügung gestellt, und wir arbeiten intensiv daran, diesen Betrag zu erhöhen."
Alle fortdauernden finanziellen und militärischen Unterstützungen, "was wir dort tun", würden seitens Baerbock "eigentlich eine Selbstverständlichkeit" darstellen. Ronzheimer beharrt dann weiter auf dem Thema Taurus, "der (ukrainische) Präsident hat mir vor vier Wochen im Interview gesagt, er versteht nicht, warum diese Waffen nicht kommen". Selenskij hätte dem Bild-Journalisten dabei zu Protokoll gegeben:
"Kanzler Scholz hätte zu ihm gesagt, es gebe die Sorge, die Angst vor einer Atombombe, die Russland dann nutzen könnte."
Auf die Frage, ob Baerbock "diese Sorge teile" oder auch den Kanzler von Taurus-Lieferungen zu überzeugen versuche, antwortete die Grünen-Politikerin:
"Es ist allseits bekannt, dass ich dazu eine Meinung habe, dass der Kanzler so eine Meinung hat, dass wir unterschiedliche Meinungen im Kabinett haben."
Weitere Einschätzungen der Außenministerin lauteten im Interview:
"Ich glaube, niemand kann es verantworten zu sagen, wir waren damals nicht bereit, weitere Milliarden in die Hand zu nehmen für den Frieden. Und es hat dann dazu geführt, dass dieser russische Angriffskrieg sich weiter ausgeweitet hat in Europa."
Und erneut wörtlich:
"Sehr vieles geht mir durch den Kopf und noch viel mehr geht mir durch mein Herz. Weil Politiker sind logischerweise auch Menschen. Man ist wie Freund, man ist Nachbar, man ist wie in meinem Fall Mutter, man ist Ehefrau und man ist Tochter. Und so sind das alle auch hier."
Bezugnehmend auf die jüngsten Forderungen ihres Ministerkollegen Pistorius, noch mehr Milliarden Steuergelder im Bundeshaushalt für die Ukraine bereitzustellen, erklärte Baerbock, dass sie sich mit dem Verteidigungsminister "ganz einig" sei und "auch mit der Innenministerin", dass Deutschland in der jetzigen Situation einen "Sicherheitshaushalt" benötige. Baerbock wörtlich:
"Wir haben doch alle so was noch nie erlebt. Was kann es Größeres an Ausnahmesituationen geben als diese Situation?"
Sie, wie auch Bild-Reporter Ronzheimer, hätten laut Baerbocks Wahrnehmung "noch nie erlebt, dass unsere europäische Friedensordnung, unser europäischer Kontinent so herausgefordert ist, direkt vor unserer Haustür".
Sollten die "russischen Truppen weiter vormarschieren (…), sind das sieben Autostunden von Berlin entfernt", so die "Völkerrechtlerin". Es gehe daher "um unser aller Sicherheit" und dafür braucht es demnach "sehr, sehr viel Geld".
Der ukrainische Präsident hatte vor dem Interview der Außenministerin laut ARD-Tagesschau am Dienstag im Präsidialamt in der Hauptstadt Kiew "die dritte Stufe des Ordens Jaroslaw der Weise überreicht". Selenskyj hatte Baerbock die Auszeichnung bereits zum Jahreswechsel per Erlass zugesprochen.
Eine weitere in Kiew getätigte Baerbock-Erklärung vom 21. Mai lautet, zitiert auf der AA-Webseite:
"Putin hat in seinem imperialen Wahn versucht, sich die Ukraine anzueignen. Stattdessen hat er sie fest mit Europa verbündet."
Die Abermilliarden Investitionen und Unterstützung seien "verwurzelt in der tiefen Überzeugung, dass die Ukraine diesen Krieg gewinnen wird". Putin spekuliere laut Baerbock-Erklärung darauf, "dass uns irgendwann die Luft ausgeht, aber wir haben einen langen Atem".
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