Seit dem Amtsantritt der Ampelregierung im Dezember 2021 gab es über 40 Treffen zwischen Regierungsmitgliedern und Richtern des Bundesverfassungsgerichts und den obersten Gerichten wie dem Bundesgerichtshof und dem Bundesfinanzhof. Das geht aus einer Antwort der Ampelregierung auf eine Kleine Anfrage der AfD-Fraktion hervor, über die das Springerblatt Bild berichtet.
Damit gab es trotz des offiziell geltenden Prinzips der Gewaltenteilung im Schnitt fast alle drei Wochen ein derartiges Treffen. Hinzu kommen noch zahlreiche Telefonate oder Mails, in denen sich Regierungsmitglieder und Richter austauschten.
Bild fand erwartungsgemäß Wissenschaftler, die an dieser Praxis nichts Verwerfliches sehen. So erläuterte der Politikprofessor Hans Vorländer von der TU Dresden dem Blatt:
"Ich sehe da keine Kungelei, das würde sich auch verbieten."
Ein solcher Austausch zwischen Gerichten und Politik sei sogar "Teil einer verantwortungsvollen Staatsleitung". Der Professor weiter:
"Die Vorstellung, dass Richter und Politiker 'unter einer Decke stecken', ist grundverkehrt."
Mit Blick auf die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zeige sich auch, "dass das Gericht gegenüber der Gesetzgebung sehr kritisch ist".
Allerdings kann Vorländer selbst als gutes Beispiel für die Verflechtung von Wissenschaft und Politik gelten. Der 69-Jährige gebürtige Wuppertaler ist unter anderem Vertrauensdozent der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung, Vorsitzender des Sachverständigenrats für Integration und Migration sowie Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats für gesellschaftlichen Zusammenhalt der Staatsregierung des Freistaates Sachsen.
Auch der Rechtswissenschaftler Josef Franz Lindner von der Universität Augsburg hält solche Treffen jedenfalls grundsätzlich für nicht problematisch. Er sagte dem Springerblatt:
"Es macht für die Politiker sogar Sinn, sich mit Praktikern auszutauschen, z.B. bei geplanten Änderungen des Prozessrechts. … Aber: Es braucht eine inhaltliche Rechtfertigung."
Für nicht akzeptabel hält Lindner, der vor seiner Berufung nach Augsburg im Jahr 2012 Ministerialrat im Bayerischen Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst war, "inhaltliche Treffen mit einem konkreten Bezug zu aktuellen politischen oder verfassungsgerichtlichen Entscheidungen".
Doch Bild konnte auch einen kritischen Wissenschaftler aufbieten. Volker Boehme-Neßler von der Universität Oldenburg bezeichnete die zahlreichen Kontakte dem Boulevardblatt gegenüber als "hoch problematisch". Er sieht darin "eine Nähe und eine Vernetzung, die zwei wichtige Grundsätze des Rechtsstaats bedrohen: die Gewaltenteilung und die richterliche Unabhängigkeit."
Boehme-Neßler sagte:
"Der Rechtsstaat funktioniert nur, wenn die Richter völlig unabhängig arbeiten können. Einflüsse der Regierung auf die Gerichte bedrohen die richterliche Unabhängigkeit. Regelmäßige Kontakte schaffen Nähe und gegenseitiges Verständnis. Das macht es für Richter schwierig, die Regierung dann unparteiisch und objektiv zu kontrollieren."
Der Wissenschaftler verwies in diesem Zusammenhang auch auf das ständig sinkende Vertrauen in den Staat:
"Immer neue Umfragen zeigen, dass das Vertrauen der Bürger in den Staat kontinuierlich abnimmt. Solche Kontakte im Hintergrund, unter dem Radar der Öffentlichkeit, erschüttern das Vertrauen in den (Rechts)Staat weiter."
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