Ende Mai werden die 194 Mitgliedsstaaten der Weltgesundheitsorganisation über den geplanten WHO-Pandemievertrag abstimmen. "Verschwörungstheoretische Kreise" würden nun das neue Abkommen so interpretieren, als würde damit die Souveränität der Staaten ausgehebelt, berichtete der "ARD-Faktenfinder" der Tagesschau am Montag.
Experten zufolge seien diese Vorwürfe aus der Luft gegriffen, stellte der Faktenfinder unter der Überschrift "Das neue Feindbild der Verschwörungsszene" fest. Als Beleg für die Unhaltbarkeit der Vorwürfe zitierte die Tagesschau den Experten Andreas Wulf von Medico International. Schon als die WHO am 30. Januar 2020 eine gesundheitliche Notlage internationaler Tragweite ausgerufen habe, habe man die geringe Macht der WHO erkennen können.
"Wie wenig Macht die WHO diesbezüglich hat, konnten wir damals bereits sehen."
Schließlich habe sich nach Ausrufung der Notlage Ende Januar 2020 in Deutschland noch gar nichts verändert. Die Maßnahmen seien doch erst Wochen später angeordnet worden. Bundesgesundheitsminister Lauterbach sei aber jetzt der Meinung, man brauche "auf der globalen Ebene mehr koordinierte und gemeinsame Bestrebungen, um künftige Pandemien und andere Infektionskrankheiten zu bewältigen und einzudämmen." Das entspreche dem Ziel des WHO-Pandemievertrags, das Vorgehen bei kommenden Pandemien zu koordinieren. Damit es "im besten Fall" gar nicht zu einer Pandemie komme, beinhalte der WHO-Pandemievertrag auch Präventionsmaßnahmen.
Und so ein Abkommen sei der "Verschwörungsszene" "ein Dorn im Auge". Das sei nun für verschwörungsideologische Kreise "der Grund für die Aufregung". In Deutschland sei deswegen die Petition "Bekämpfe die Machtergreifung der WHO: Sag Nein zum 'Pandemievertrag'" gestartet worden, die laut Tagesschau bereits mehr als 500.000 Mal unterschrieben wurde.
Dabei gelte der Vertrag ohnehin nur für die Länder, die zustimmten. Er komme auch überhaupt nur zustande, wenn mindestens 40 Länder zustimmten, relativierte der Faktenfinder die ganze Aufregung. Selbst damit sei er nicht für alle Nationen bindend. Die Tagesschau beruft sich an dieser Stelle auf Pedro Villarreal von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) und dem Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht. Schließlich habe dieser Experte dargelegt, warum die Souveränität der Staaten erhalten bleibe: Weil der Vertrag nur für die Länder gelte, die ihn ratifizierten. Der Völkerrechtsexperte habe dazu erklärt:
"Das zeigt, dass die Souveränität bei den Staaten bleibt. Denn so findet eine souveräne Entscheidungsfindung statt, indem die Staaten selber ihre Bereitschaft äußern, sich vom Abkommen verpflichten zu lassen."
Und selbst den Staaten, die den WHO-Pandemievertrag ratifizierten, dürfe die Weltgesundheitsorganisation keine Maßnahmen, wie zum Beispiel Lockdowns oder Impfpflichten vorschreiben. "Es ist falsch, dass die WHO dann den Regierungen vorschreiben darf, welche Maßnahmen gegenüber der Bevölkerung ergriffen werden müssen. Die WHO wird keine solchen Befugnisse erhalten," so Villarreal. Ebenso wenig seien bei Nichteinhaltung des Vertrags Sanktionen vorgesehen.
Grundsätzlich sei die WHO eher zurückhaltend mit Forderungen nach bestimmten Maßnahmen, fügte der Experte von Medico International hinzu. Die Mitgliedsstaaten würden selbst über die Umsetzung von Maßnahmevorschlägen entscheiden:
"Die WHO beschließt nicht, dass in Deutschland die Kneipen schließen und dass wir alle eine Maske tragen müssen. Die WHO gibt lediglich Empfehlungen ab, ob zum Beispiel das Tragen von Masken sinnvoll ist oder nicht."
Der Faktenfinder gibt dann noch Wulfs Erklärungsmodell für die Kritik an dem geplanten Pandemieabkommen wieder. Der Experte erkläre sich "die vielen Verschwörungserzählungen rund um den Pandemievertrag und die WHO mit psychologischen Faktoren." Es gehe um die Abwehr von Angst und um fehlendes Wissen:
"Ich glaube, das hat viel mit Angstabwehr und fehlenden Kenntnissen über multilaterale Organisationen wie die WHO zu tun."
Wesentliche Grundrechte könnten durch das deutsche Infektionsschutzgesetz eingeschränkt werden. Und diese Machtfülle eines deutschen Gesetzes projizierten die "Verschwörungsideologen auf die WHO".
"Es gibt ein Gesetz, das – medizinisch begründet – eine enorme Einschränkungsmöglichkeit und Machtfülle beinhaltet. Und das wird dann meiner Ansicht nach von den Verschwörungsideologen auf die WHO projiziert."
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