Medienbericht: Wurde Habeck zum Thema Atomausstieg von den eigenen Mitarbeitern getäuscht?

Bundeswirtschaftsminister Habeck gab den Bürgern am 15. April die wörtliche Garantie, dass er als verantwortlicher Politiker eine sichere Energieversorgung nach dem Ausstieg aus der Atomkraft zusagen könne. Das Magazin "Cicero" konnte die diesbezüglichen "Atomkraft-Akten" freiklagen und titelt: "Auch Robert Habeck wurde falsch informiert."

Das monatlich erscheinende Politmagazin Cicero stellt gleich in der Einleitung zu dem Artikel unmissverständlich klar, dass die seitens der Redaktion freigeklagten Atomkraft-Akten des Wirtschaftsministeriums belegen würden, "wie Strippenzieher der Grünen 2022 die Entscheidung über eine Laufzeitverlängerung deutscher Kernkraftwerke manipuliert haben" (Bezahlschranke). Das Wirtschaftsministerium weist die Darstellung – wenig überraschend – umgehend zurück.

Die Unterlagen wurden im Rahmen der eingeforderten Akteneinsicht nach dem Umweltinformationsgesetz beantragt und zudem "mit einer Klage gegen das von Robert Habeck geführte Ministerium durchgesetzt." Zuvor hatte sich das BMWK "mit allen juristischen Tricks", so ein Cicero-Artikel vom 14. Februar darlegend, gegen eine Freigabe der Akten gewehrt.

Der bei Touristen beliebte Pariser Platz am Berliner Brandenburger Tor, unweit vom Kanzleramt und dem Regierungsviertel, wurde am 15. April 2023 seitens der Umweltorganisation Greenpeace sicherlich bewusst als Ort der Siegesverkündung über die bis dato geltende bundesrepublikanische Atompolitik gewählt. Mit der Partei Bündnis 90/Die Grünen als Bestandteil der Ampelkoalition und einem grünen Bundeswirtschaftsminister wurden ab Dezember 2021 zügig neue Fakten geschaffen. Der Cicero-Artikel fasst zu den Ereignissen jener Zeit und Folgedynamiken zusammen:

"Es war der Tag, an dem die letzten deutschen Kernkraftwerke abgeschaltet wurden. Der mehr als ein halbes Jahrhundert währende politische Kampf gegen den 'Atomstaat' schien endlich gewonnen [...] Während europäische Nachbarn und Partner ihre Ausstiegspläne gestoppt haben und neue Kernkraftwerke bauen wollen, hat Deutschland seine letzten, die zu den sichersten und zuverlässigsten der Welt zählen, mitten in einer Energiekrise stillgelegt. Wie das geschehen konnte, ist für viele Bürger nach wie vor ein Rätsel."

Nun lägen der Redaktion interne Unterlagen vor, in Form von "E-Mails, Vermerken, Gesprächsprotokollen und Briefen" vor. Weiter heißt es:

"Manche Dinge, etwa die verkorkste Erfindung einer AKW-'Einsatzreserve', sind detailliert dokumentiert. Andere Entscheidungen wirken schwach begründet und kaum belegt. Entweder sind die Akten unvollständig oder es wurden wichtige Absprachen nur mündlich getroffen."

Die Auswertung der Inhalte würde des weiteren "eindeutig" belegen, dass die "Expertise der mit Steuergeld bezahlten Fachleute im eigenen Ministerium kaum eine Rolle spielte." Der Artikel kritisiert:

"Der mit Grünen-Parteisoldaten besetzte Führungszirkel des Wirtschafts- und des für nukleare Sicherheit zuständigen Umweltministeriums hat alle wesentlichen Schritte unter sich ausgemacht. Wenn die Fachreferate beider Ministerien doch mal ihre Einschätzung mitteilen durften, wurde diese meist übergangen – oder gezielt verfälscht." 

Der ausführliche längere Artikel erinnert an die beratende, mittlerweile medial in Vergessenheit geratende Rolle des Patrick Graichen. Dieser habe sich, bei Beginn der Ereignisse in der Ukraine im Februar 2022, zusammen mit Minister Habeck und dem Chef des Energiekonzerns RWE, Markus Krebber, zu einem vertraulichen Gespräch getroffen. RWE gehörten zu diesem Zeitpunkt zwei der sechs letzten deutschen Kernkraftwerke. Dazu heißt es:

"In den Akten befindet sich kein Protokoll dieses Gesprächs, nur eine E-Mail, die Krebber zwei Tage später an Habeck und Graichen schickte. 'Wie erbeten füge ich ein Papier bei, das die komplexen Aspekte beschreibt, die bei etwaigen Überlegungen zum Weiterbetrieb von Kernkraftwerken zu berücksichtigen wären', schrieb der RWE-Vorstandsvorsitzende und betonte: Wie man das Thema beurteile, 'kann nur politisch entschieden werden'."

Der Artikel erläutert die damalige noch existierende machtvolle Kontaktrolle des Patrick Graichen innerhalb der Partei Bündnis 90/Die Grünen. Und ebenso die internen Verstrickungen und Regelungen des sogenannten Graichen-Clans rund um das Unternehmen 'Agora Energiewende'. Dann lautet ein Artikelabsatz: "Habeck verbreitete die Unwahrheit", dies bezogen auf ein Habeck-Interview vom 27. Februar 2022 im ZDF. In dem Gespräch behauptete er, dass eine Laufzeitverlängerung der letzten AKWs für den kommenden Winter "nicht helfen würde, da die Atomkraftwerke nur unter höchsten Sicherheitsbedenken und möglicherweise mit noch nicht gesicherten Brennstoffzulieferungen weiterbetrieben werden könnten." Die Cicero-Redaktion resümiert und erläutert:

"Habeck verbreitete damit, entweder absichtlich oder weil er es nicht besser wusste, die Unwahrheit. Dann folgte ein Satz, der aufhorchen ließ: Die Frage sei 'eine relevante, ich würde sie nicht ideologisch abwehren.'"

Nach der getätigten Habeck-Aussage ergab sich laut Cicero-Auswertungen anscheinend reger Schriftverkehr zwischen beteiligten Protagonisten, wie Habeck-Zuarbeitern aus dem Wirtschaftsministerium und benötigten Juristen. Ein "Vermerk" aus der Fachabteilung des Bundeswirtschaftsministeriums vom 3. März 2022 lautete im Betreff:

"Laufzeitverlängerung von Kernkraftwerken bis 31.3.2023, hier: Vorläufige energiewirtschaftliche Bewertung." 

Bonmot: Zwischenzeitlich benannte die frischgekürte neue grüne Umweltministerin Steffi Lemke im Februar 2022 "einen entschiedenen Kernkraftgegner", den Fachjuristen Gerrit Niehaus, zum "obersten Atomaufseher des Landes in der Abteilung S 'Nukleare Sicherheit, Strahlenschutz'". Am 8. März 2022 gaben dann Wirtschaftsminister Habeck und Umweltministerin Steffi Lemke gemeinsam die Erkenntnisse eines "Prüfvermerks" bekannt. Diese lauteten:

"Eine Laufzeitverlängerung für die drei AKW sei nicht zu empfehlen."

Zu den Abläufen der finalen Ausarbeitungen und Formulierungen des "Prüfvermerks" heißt es:

"Aus Sicht der Grünen hat sich diese Personal­entscheidung gelohnt. Denn kaum im Amt, zeigte Niehaus, wozu er geholt wurde: Als Abteilungsleiter schrieb er einen Vermerk der ihm untergebenen Fachleute so um, dass er zum politisch vorgegebenen Ziel passte [...]"

Vorerst finaler Ausarbeiter eines "fünfseitigen Vermerks zur 'Prüfung des Weiterbetriebs von Atomkraftwerken aufgrund des Ukraine-Kriegs'", unter Berücksichtigung diverser "Korrekturen" des Fachjuristen Gerrit Niehaus, war dann wiederum Patrick Graichen. Über die Inhalte eines ersten Entwurfs schreibt Cicero:

"Nach 'einer Abwägung von Nutzen und Risiken' sei eine Laufzeitverlängerung nicht zu empfehlen. Den ersten Entwurf schickte er [Graichen] am 4. März um 21:32 Uhr an [Staatssekretär] Tidow. Der Text strotzte so sehr vor Falschbehauptungen und Unwissen, dass selbst Atomaufsichtschef Gerrit Niehaus, obwohl politisch voll auf Linie, die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen haben muss."

Habeck zeigte sich demnach begeistert, trotz der inhaltlichen Fehler, um folgende Mail zu versenden:

"Lieber Patrick, lieber Stefan, ich habe aufbauend auf Eurem famosen Papier ein FAQ gemacht, weil ich glaube, man muss das ERZÄHLEN. Wenn Ihr drüber lesen wollt – alle anderen auch. Ich würde vorschlagen, dass dann morgen 12:00 an die Betreiber zu mailen. Lg R"

In dem Cicero-Artikel folgen aufschlussreiche Darlegungen über die anschließenden internen Ablaufprozesse im Habeck-Ministerium, die final in diesem Szenario endeten:

"In der Folge entspann sich ein reger E-Mail-Wechsel, in dem Habecks Leute überlegten, was sie mit der von ihrem Chef zusammengeschriebenen Erzählung, die sich auf falsche Fakten stützte, machen sollten. Am Ende wurde sie radikal gekürzt, stark umgeschrieben und am 8. März 2022 zusammen mit dem von Graichen und Tidow mehrfach überarbeiteten 'Prüfvermerk' auf der Internetseite des Ministeriums veröffentlicht. Damit, so dachte man innerhalb des Führungszirkels, sei die Atomkraftfrage ein für alle Mal beantwortet. 'Dann ziehen wir der Debatte am Dienstag den Stecker und können uns danach auf andere konzentrieren', schrieb ein Habeck-Mitarbeiter am Sonntagabend, zwei Tage vor dem 8. März, an die Runde."

Was folgte, war eine Blockadehaltung Bayerns zu den Vorgaben aus Berlin, "nachdem Robert Habeck Mitte Juni 2022 die Alarmstufe des Notfallplans Gas ausgerufen hatte und noch immer behauptete, eine Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke sei weder möglich noch sinnvoll". Final wurde durch Bundeskanzler Scholz am 17. Oktober 2022 an die Grünen-Minister Habeck und Lemke die Anweisung gegeben, drei Kernkraftwerke über den Winter hinweg laufen zu lassen. Dazu heißt es weiter:

"Zuvor hatten sich die vier großen Stromnetzbetreiber in Deutschland nach einem 'Stresstest' dafür ausgesprochen und vor einer Versorgungslücke bei Kälte gewarnt. So wie es Habecks Fachbeamte bereits im Frühjahr geschrieben hatten. Für die Grünen war die Niederlage dennoch ein Sieg. Denn ihr eigentliches Ziel, eine echte Laufzeitverlängerung um mehrere Jahre und eine Reaktivierung bereits stillgelegter Kernkraftwerke zu verhindern, hatten sie erreicht."

Laut Cicero-Artikel hatte Minister Habeck von den internen Warnungen seiner eigenen Fachleute vermutlich gar keine Kenntnis. Der Cicero-Redakteur Daniel Gräber fragte daher im Bundeswirtschaftsministerium nach, wem dort der vierseitige Vermerk aus der Fachabteilung bekannt war. Die schriftliche Antwort eines Habeck-Sprechers lautete:

"Der in Rede stehende Vermerkentwurf (3. März 2022) lag in der Leitungsebene nur Staatssekretär Patrick Graichen vor".

Final erfolgte am 15. März 2023 die endgültige Abschaltung der letzten drei deutschen, dabei weiterhin sinnbringenden und funktionalen, Atomkraftwerke. Der damit verbundene Rückbau kann bis zu 15 Jahre dauern. 

Rund acht Wochen später, im Mai 2023, musste BMWK-Strippenzieher Patrick Graichen im Rahmen der "Trauzeugen-Affäre" seine Posten räumen.  

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