Von Felicitas Rabe
Am Freitag organisierten Vertreter der Internationalen Sozialistischen Organisation (ISO) in Kooperation mit der Redaktion der Sozialistischen Zeitung (SoZ) in Köln die Podiumsdiskussion "Stoppt den Krieg in Gaza! Wege zu einem solidarischen Zusammenleben in Palästina!"
Die Veranstaltung fand im Nachklang des verbotenen Internationalen Palästinakongresses in Berlin statt. In Ihrem Aufruf erklärten die Kölner Organisatoren: "Selbst die sogenannte internationale Gemeinschaft, die bisher stets in Treue zur israelischen Regierung stand, die Vereinten Nationen und ihr Generalsekretär sowie auch der katholische Papst können und wollen nicht mehr zu diesen Verbrechen gegen die Menschheit und gegen das Völkerrecht schweigen."
"In Deutschland aber werden der 'Jüdischen Stimme für gerechten Frieden in Nahost' die Konten gekündigt; palästinensische Gruppen werden als antisemitisch diffamiert und ihr Protest gegen den Massenmord unterdrückt. [...] Gibt es überhaupt noch Wege für ein friedliches Zusammenleben der jüdischen, palästinensischen und arabischen Bevölkerung im Nahen Osten? Darüber wollen wir reden."
Infolge der Aufrufsinhalte wurden die bereits vereinbarten Veranstaltungsräume vom Bürgerzentrum Alte Feuerwache in Köln gekündigt. Weitere angefragte Raumbetreiber lehnten die Veranstaltung von vorneherein ab, berichtete der Journalist Gerhard Klas von der SoZ bei der Moderation der Podiumsdiskussion im Naturfreundehaus Köln-Kalk. Ausdrücklich bedanke man sich bei den Naturfreunden für die Vergabe des Veranstaltungssaales für diese Diskussion. Trotz einer weitgehenden Diffamierung von Palästina-Solidarität als Antisemitismus in der deutschen Presse besuchten 40 interessierte Zuschauer die Diskussion.
Vorgetäuschte Zweistaatenlösungs-Debatte
Zur Podiumsdiskussion geladen waren Wieland Hoban, der Vorsitzende der 'Jüdischen Stimme für gerechten Frieden in Nahost' und Mohammed Abu Hajar vom Palästinakomitee Kassel. Hoban war einer der Mitveranstalter des Internationalen Palästinakongresses, welcher am 12. April vor den Augen der Teilnehmer aus aller Welt von der Berliner Polizei brutal gestört und verboten wurde.
Auf die Frage nach der Zweistaatenlösung erklärte der Wirtschaftswissenschaftler Hoban, aktuell würde man diese vermeintliche Lösung von offiziellen Stellen vermehrt zum Thema machen, um die komplette Zerstörung Palästinas zu verschleiern. Abgesehen davon sei der Vorschlag einer einvernehmlichen Einstaatenlösung vom zionistischen Projekt Israel historisch auch nie vorgesehen gewesen.
Nach Ansicht von Abu Hajar vom Palästinakomitee Kassel sei eine Zweistaatenlösung gar nicht umsetzbar. Der Student der Universität Kassel ist Mitglied der kommunistischen Bewegung in Syrien. Zwar sei Nationenbildung in Europa grundsätzlich immer mit Vertreibungen verbunden gewesen, so Hajar. Aber in Palästina sei die Bildung von zwei Staaten mittlerweile aufgrund der schieren Menge von notwendigen Vertreibungen nicht mehr zu verwirklichen. Wegen der vielen Israelis und der vielen Palästinenser, die dafür vertrieben und umgesiedelt werden müssten, sei sie absolut unrealistisch. Das betreffe sowohl die in Israel lebenden Palästinenser, als auch die israelischen Siedler in der Westbank. Insofern sei die aktuell diskutierte Zweistaatenlösung reine Ablenkung.
Schließlich komme noch hinzu, ergänzte Hoban, dass die scheinbar vorgesehene Zweistaatenlösung völlig ungerecht sei. Derzeit lebten in Israel und Palästina sieben Millionen Palästinenser und sieben Millionen Juden. Nach der Logik des kolonialen Paradigmas seien bei einer potenziellen Zweistaatenlösung für die Palästinenser weiterhin nur "ein paar Krümel" bzw. nur 22 Prozent der Gesamtfläche des Territoriums eingeplant.
Diese Entwicklung verdankten die Palästinenser auch solchen Kollaborationsregimes wie der Autonomiebehörde von Mahmud Abbas. Mittels politischer Marionetten in der Autonomiebehörde werde die palästinensische Bevölkerung kontrolliert. Mit gelegentlichen, lautstarken Reden gäben sich die Kollaborateure ab und an mal einen Anstrich von Glaubwürdigkeit.
Nach dem Selbstverständnis der 'Jüdischen Stimme für einen gerechten Frieden' wolle man sich bei der Diskussion über eine bestimmte Staatsform in Palästina bewusst heraushalten. "Wir wollen von Deutschland aus nichts vorgeben", erklärte Hoban.
Anti-arabischer Rassismus unter dem Vorwand des Antisemitismus
In Deutschland werde die Ungerechtigkeit auf die Spitze getrieben, berichtete Abu Hajar. Nachdem ein palästinensischer Student der Universität Kassel bei einem Familienbesuch in Gaza mitsamt 13 weiteren Familienmitgliedern von Israelis ermordet worden war, hatten ein paar Studenten an der Uni Kassel eine kleine Trauerfeier für ihren verstorbenen Kommilitonen organisiert. Der Direktor der Universität sei daraufhin dort eingedrungen, habe den Strom für den Raum der Gedenkveranstaltung abgeschaltet und die Trauerfeier verboten.
Dieser Vorfall habe zu einem endgültigen Bruch zwischen den arabischen Aktivisten und den deutschen Behörden geführt. Zu dem Konflikt zwischen den arabischstämmigen Migranten und den deutschen Behörden erklärte Hajar:
"Es ist nicht unsere Aufgabe, dieses Problem zu lösen, das ist Aufgabe der deutschen Behörden."
Die palästinensischen Aktivisten fühlten sich in Deutschland aber auch von den deutschen Aktivisten im Stich gelassen.
"Wir hatten erwartet, dass uns insbesondere linke deutsche Aktivisten bei unserem anti-kolonialen Kampf unterstützen."
Stattdessen müsse sich die arabische Community in Deutschland jedoch fragen:
"Entwickelt sich Deutschland gerade zu einem Faschismus – und wir sind die einzigen, die dagegen kämpfen?"
Weltweite Organisierung jüdischer Anti-Zionisten gegen Israel
"Nicht alle jüdischen Menschen in der Welt stehen hinter Israel. Schon gar nicht wollen sie sich alle von diesem Staat vertreten lassen. Das will aber die israelische Regierung so darstellen," erläuterte Hoban die gespaltene Haltung innerhalb der jüdischen Gesellschaft. Die 'Jüdische Stimme für einen gerechten Frieden in Nahost' habe sich im Jahr 2003 zunächst als Initiative auf Anregung der Organisation 'European Jews for a Just Peace' gegründet. Als Verein bestehe die Gruppe seit 2007. Aktuell würden anti-zionistische Gruppen in Europa und den USA immer mehr Zulauf bekommen. Seit dem 7. Oktober vergangenen Jahres seien auch in Deutschland viele Ex-Israelis der 'Jüdischen Stimme für einen gerechten Frieden in Nahost' beigetreten.
Für diese Menschen sei es besonders schmerzhaft, dass die angebliche "Jüdische Sicherheit" in Deutschland als Vorwand für die Verfolgung arabischer Migranten genutzt werde. Obendrein würde man die Statistik antisemitischer Vorfälle verfälschen, indem man jegliche palästinensischen Befreiungsparolen auf Demonstrationen – oder entsprechende Graffitis – darunter zähle. Es fehle in weiten Teilen der deutschen Linken jegliches Bewusstsein über den pro-israelischen Rassismus gegenüber anderen Migranten.
Im Anschluss an die Podiumsdiskussion wurden im Gespräch mit dem Publikum viele der angesprochenen Themen noch vertieft, insbesondere die Bedingungen für eine gerechte Einstaatenlösung für Palästinenser und Israelis.
Besonders in Deutschland: Diffamierung bei pro-palästinensischem Engagement
Am Ende diskutierte man noch über die besonders in Deutschland grassierende Sorge, sich offen pro-palästinensisch zu äußern. Das betreffe vor allem den deutschen Journalismus. Gelegentlich gebe es zwar auch kritische Stimmen in den Redaktionen, aber im Großen und Ganzen befürchte man hierzulande bei einem Israel-kritischen Beitrag stets den Vorwurf des Antisemitismus.
Welche Konsequenzen die Veranstalter des Berliner Palästina-Kongresses aus dem Verbot ziehen würden, sei noch nicht geklärt. Organisationen aus mehreren anderen europäischen Ländern hätten aber schon angeboten, die Konferenz in ihren Ländern zu organisieren. Nach Ansicht von solidarischen Juristen sei eine "Pseudoargumentation" seitens der Behörden in Berlin besonders stark entwickelt. "Berlin ist ein rechtsfreier Raum, da machen diese Leute, was sie wollen," gab Hoban die Auffassung der Anwälte der Veranstalter wieder. An der Uni Köln wurde kürzlich die bereits zugesagte Gastprofessur der jüdischen Philosophieprofessorin Nancy Fraser wieder abgesagt. Begründet worden sei die Absage laut Fraser damit, dass sie die Erklärung "Philosphy for Palestine" unterzeichnet habe. So habe man es ihr im März per E-Mail mitgeteilt.
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