Antifaschist Thälmann als Wegbereiter Hitlers? Berliner DKP protestiert gegen Geschichtsklitterung

Die DKP-Mitglieder haben den Geburtstag des von den Nazis ermordeten Kommunistenführers Ernst Thälmann für eine Protestkundgebung genutzt. Die Kritik richtete sich vor allem gegen die sogenannten Hinweistafeln für Passanten, die Thälmann als Demokratiefeind und Wegbereiter Hitlers verunglimpfen.

Von Wladislaw Sankin

Am Dienstag jährte sich der Geburtstag des Vorsitzenden der Deutschen Kommunistischen Partei, Ernst Thälmann, zum 138. Mal. Er leitete die Partei von 1925 bis zu seiner Verhaftung am 3. März 1933. Seit der Wende gilt seine Rolle in der Weimarer Republik als "kompliziert", das bronzene Denkmal, das an seinem 100. Geburtstag in der späten DDR an der Greifswalder Straße eingeweiht worden war, als "umstritten". Am Dienstag verwandelte sich der Platz vor dem Denkmal in einen Ort des Protests gegen die fortschreitende Verunglimpfung Thälmanns. 

Zu der Gedenk- und Protestkundgebung hatte die örtliche Grundorganisation der DKP Berlin in Pankow aufgerufen. Es kamen bis zu fünfzig Personen, darunter überraschend viele sehr junge Menschen. "Es findet nach dem Dritten Reich erneut eine grausame Demütigung des Antifaschisten und KPD-Vorsitzenden Ernst Thälmann durch die Bürgermeisterin von Berlin-Pankow, Frau Cordelia Koch, statt", sagte der Vorsitzende der Berliner DKP, Stefan Natke, vor den Versammelten. 

Koch ist Politikerin der Grünen Partei. Sie hatte am 16. November zusammen mit ihrem Parteikollegen Oliver Jütting die "Einordnungshilfe" in Form von zwei Hinweistafeln am Bürgersteig links und rechts vor dem Denkmal-Platz eingeweiht. In den Texten wird nicht nur größtmöglicher Abstand zu der Person Thälmann und seinem "Kult" in der DDR genommen. Auf einer der Tafeln wird Thälmann gar "Demoktratiefeindlichkeit" und daraus abgeleitet unmittelbare Hilfeleistung für die NSDAP vorgeworfen. Der Kampf Thälmanns gegen die Sozialdemokratie habe in der Endphase der Weimarer Republik erheblich zur Destabilisierung beigetragen, so der Wortlaut. Konkret heißt es:

"In Folge der Wirtschaftskrise 1929 und der sozialen Not kam es zu Unruhen, welche die KPD unter Thälmann für ihren Kampf gegen parlamentarische Demokratie nutzte. Da die SPD die Demokratie verteidigte, wurde sie für die KPD zum Hauptfeind. Dies trug zur Spaltung der Arbeiterbewegung bei und damit zur Schwächung des Kampfes gegen den Nationalsozialismus. Aus Sicht vieler Historiker schuf dies die Voraussetzungen, die es Hitler und den Nationalsozialisten ermöglichten, an die Macht zu gelangen."

Arme SPD, böse KPD, Hitler der Nutznießer. Gegen diese "Formel" protestiert Natke vehement und trägt seine Argumente vor. Thälmann sei immer für ein besseres, friedliches Deutschland eingetreten und habe stets vor dem drohenden Faschismus gewarnt. Er weist auf seine Kandidatur für die KPD zur Reichspräsidentenwahl 1932 im ersten Wahlgang hin, wo Thälmann knapp fünf Millionen Stimmen erhalten hatte. 

"Die SPD unterstützte in diesem Wahlkampf übrigens den Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg, der Adolf Hitler später zum Reichskanzler ernannte. Thälmanns Parole 'Wer Hindenburg wählt, wählt Hitler – Wer Hitler wählt, wählt den Krieg!', sollte noch jedem geläufig sein. Vor allem weil sich die Aussage später in trauriger Weise bewahrheitete und Deutschland in die Katastrophe führte."

Heute sind die Hinweistafeln zum Teil beschädigt, aber das Denkmal selbst sieht im Vergleich zu Vorjahren relativ herausgeputzt aus – zumindest seine vordere Fassade. Jahrelang war das Denkmal mit verschiedenen Graffitis verunstaltet. Und dennoch, die Verfallserscheinungen sind vor allem an der Büste selbst deutlich zu erkennen. Ohne Beleuchtung versinkt die Riesenfigur abends in der Dunkelheit. 

Thälmann-Freunde müssten allerdings froh sein, dass das Denkmal überhaupt noch steht – könnte man denken, wenn man die Atmosphäre und die endlosen Debatten um den angeblich "umstrittenen" KPD-Vorsitzenden betrachtet. Pläne zum Abriss der Statue gibt es seit 1993. Inzwischen steht das ganze Areal am Ernst-Thälmann-Park unter Denkmalschutz. Das hat die CDU im Bezirk Pankow jedoch nicht daran gehindert, am 23. März 2022 einen Abriss-Antrag zu stellen – um aus dem Erlös der Ukraine zu helfen. 

Der Antrag wurde zwar abgelehnt. Dennoch, Gewissheit, dass die Figur des von den Nazis am 18. August 1944 ermordeten Kommunistenführers der deutschen Hauptstadt auf Dauer erhalten bleibt, gibt es nicht. Zu bösartig sind die Vorwürfe gegen Thälmann, der bronzene Koloss, der an ihn erinnert, ist einer immer giftiger werdenden politischen Konjunktur ausgeliefert. 

Unter den Fürsprechern waren an diesem Gedenktag auch Dr. Nikolaus Brauns, der die Rolle Thälmanns als Kriegsgegner und Internationalist würdigte, und die Schauspielerin Christa Weber. Sie trug Gedichte von Bertolt Brecht und Erich Weinert vor. Die Kundgebung gipfelte in einer feierlichen Zeremonie der Blumenniederlegung. Von den bekannten Revolutionsliedern begleitet, war sie rührend und würdevoll zugleich.   

Außer die DKP und einen engen Kreis von Sympathisanten schien das Ereignis allerdings niemanden sonst zu interessieren. Die Debatte um Thälmann scheint weit weg von den Nöten der heutigen Berliner zu sein. Doch die fortschreitende Verunstaltung des Thälmann-Denkmals ist keiner bürgerfernen Fachdebatte geschuldet. Sie bringt zum Ausdruck, in welchem Zustand die Bundesrepublik sich derzeit befindet und wohin sie womöglich steuert.

"Wer damals den Faschismus vorbereitet und an die Macht gebracht hat, ist uns bekannt. Wer im Moment dabei ist, den Faschismus in unserem Land wieder salonfähig zu machen, das wird die Geschichte feststellen. Der reaktionäre, militaristische Staatsumbau ist bereits in vollem Gange und der Abbau der Demokratie täglich zu spüren", sagt Natke zum Schluss seiner Rede.

Um das zu erkennen, muss man wahrlich kein DKP-Anhänger mehr sein. Für immer mehr Menschen ist dies nur zu offensichtlich. 

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