Ralf Thomas, der Finanzvorstand des weltweit agierenden Technologieunternehmens Siemens, erklärte in einem Interview mit der Financial Times (FT), dass es seiner Einschätzung nach noch "Jahrzehnte" dauern werde, bis deutsche Hersteller "ihre Abhängigkeit von China verringern" könnten (Bezahlschranke). Das aktuell existierende Dilemma westlicher Unternehmen sei für Thomas, die einerseits große Abhängigkeit von China als Absatzmarkt, um gleichzeitig auch als wichtiger Lieferant für den Westen zu fungieren.
Thomas wird einleitend mit der Feststellung zitiert:
"Die globalen Wertschöpfungsketten haben sich in den letzten 50 Jahren aufgebaut. Wie naiv muss man sein, um zu glauben, dass dies innerhalb von sechs oder 12 Monaten geändert werden kann? Hier geht es um Jahrzehnte."
Im vergangenen Jahr hatte das politische Berlin eine Strategie entwickelt, die von den Politikern als "De-Risking" bezeichnet wird und die darauf abzielt, die wirtschaftliche Abhängigkeit von China, der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt, maßgeblich zu verringern. Eine in der vergangenen Woche veröffentlichte Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft belegt jedoch, dass deutsche Hersteller bei diversen Produkten und Rohstoffen weiterhin stark von China abhängig sind, und damit "kaum Fortschritte bei der Verringerung ihres China-Engagements und der Reduzierung ihrer kritischen Importabhängigkeit gemacht haben", so der FT-Artikel erläuternd.
Laut Financial Times bleibt China weiterhin aktuell der größte Handelspartner Deutschlands. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes wurden im Jahr 2023 Waren im Wert von 254 Milliarden Euro zwischen den beiden Ländern gehandelt. Der Artikel legt dar:
"Diese Beziehung, die von den größten deutschen Konzernen wie Volkswagen und BASF bis hin zu den kleinen und mittleren Unternehmen des deutschen Mittelstands reicht, galt lange Zeit als eine Säule der Wirtschaftskraft des Landes und als Modell der Globalisierung."
Die Einschätzungen seitens des Siemens-Vorstands erfolgen, nachdem Bundeskanzler Olaf Scholz am Sonntag zu einem dreitägigen Besuch nach China aufgebrochen war, um die beidseitigen Wirtschaftsbeziehungen in einer Zeit wachsender Spannungen zwischen westlichen Ländern und Peking wegen handels- und geopolitischer Fragen zu eruieren. Der FT-Artikel zitiert zu Scholz Mission einen deutschen Regierungsvertreter mit den Worten:
"Es wäre ein grobes Missverständnis zu glauben, dass es die Absicht dieser Regierung sei [den Handel mit China zu reduzieren]. Wir wollen den Handel mit China weiter ausbauen und dabei die Notwendigkeit von Risikominderung und Diversifizierung berücksichtigen. Was die kritischen Abhängigkeiten betrifft, so müssen wir diese angehen. Wir wollen uns nicht abschotten, aber wir wollen ausgewogene Partnerschaften haben."
Während die Gesamtimporte aus China zwischen den Jahren 2022 und 2023 um fast ein Fünftel zurückgingen, hat sich demgegenüber der Anteil der Produktgruppen, bei denen Deutschland mehr als die Hälfte seiner benötigten Einfuhren aus China bezieht, kaum verändert. Dazu gehörten federführend Chemikalien, Computer und Solarzellen.
Die wirtschaftlichen Verflechtungen zwischen den deutschen Industrien umfassen Großunternehmen wie Volkswagen und BASF, aber auch kleine und mittelständische Unternehmen, die seit langem als eine Säule der Wirtschaftskraft des Landes gelten, so die FT.
Im Vorjahr warnte die Deutsche Bundesbank, dass das "Geschäftsmodell" der Bundesregierung aufgrund "einer übermäßigen Abhängigkeit von China in Gefahr" sei. Siemens-Vorstand Thomas erklärte abschließend im Interview, dass das Unternehmen festgestellt habe, dass es sich "nicht leisten kann, nicht [in China] zu sein". Er fügte hinzu, dass der Aufstieg aggressiver lokaler chinesischer Konkurrenten eine "Herausforderung" darstelle, um zu kommentieren, dass man, "wenn man die Hitze der chinesischen Küche aushält, auch an anderen Orten erfolgreich ist".
In einem Leitartikel der chinesischen staatlichen Zeitung Global Times von letzter Woche, über den Besuch einer deutschen Delegation, wurde laut FT-Darstellung erläutert, dass die Beziehungen zwischen den beiden Ländern "vor einigen Herausforderungen stehen, wie Marktzugang und fairer Wettbewerb". Diese Herausforderungen sollten jedoch "kein Vorwand sein, um die bilaterale Zusammenarbeit von ihrem positiven Kurs abzubringen", so der Artikel der Global Times.
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