Wie bereits sein Amtsvorgänger Hans-Georg Maaßen, der nun gegen seinen alten Arbeitgeber Klage eingereicht hat, ist der amtierende Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), Thomas Haldenwang, in den Medien dauerpräsent. Und ebenso wie Maaßen steht er – wenn auch aus anderen Gründen – im Hagel der Kritik.
Mit seinem am Montag veröffentlichten Gastbeitrag für die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) mit dem Titel "Die Meinungsfreiheit ist kein Freibrief für Verfassungsfeinde" wollte Haldenwang seinen Kritikern den Wind aus den Segeln nehmen. Zu diesem Zweck fasste er zunächst die an ihm und seiner Behörde geäußerte Kritik der jüngeren Zeit recht zutreffend zusammen:
"Es ist die Rede von einer 'Gesinnungspolizei', einer 'Sprachpolizei' oder auch von einem 'Regierungsschutz'. Politische Meinungen würden 'auf Weisung' hin als extremistisch diskreditiert, sobald sie vom politischen und gesellschaftlichen Mainstream abweichen oder Regierungshandeln beziehungsweise die Arbeit demokratischer Parteien kritisieren."
Laut gewordene Forderungen, wonach sich der Verfassungsschutz politisch neutral verhalten müsse, seien "völlig richtig", so der Behördenchef, der daraufhin feststellen zu können meinte: "Wir sind politisch neutral, aber nicht gegenüber denen, die gegen unsere freiheitliche Demokratie agieren und agitieren."
Und die Demokratie in der Bundesrepublik sei "selten so in Gefahr wie heute". Und von wem die Gefahr ausgeht, liegt für den Chef des Inlandsgeheimdienstes auf der Hand: von der Afd. Zwar erwähnt Haldenwang die Partei in seinem Beitrag nicht explizit, aber dass diese gemeint ist, macht folgende Passage im Anschluss deutlich: "Die zu Jahresbeginn bekannt gewordenen Vernetzungstreffen zwischen Rechtsextremisten und Teilen der gesellschaftlichen Mitte belegen Entgrenzungsprozesse, vor denen das BfV zuvor schon gewarnt hatte."
Gemeint ist natürlich das vermeintliche "Geheimtreffen" in Potsdam, das Massenproteste gegen die AfD zur Folge hatte – mit wohlwollender Unterstützung der Medien und der Bundesregierung. Die regierungsnahen Geschichten-Erfinder von Correctiv hatten das Treffen öffentlich gemacht und behauptet, dort seien Pläne zur millionenfachen Deportation – auch von Deutschen mit Migrationshintergrund – im Rahmen einer "Remigration" besprochen worden.
Die Teilnehmer des Treffens weisen diese Darstellung zurück, und Correctiv ging klammheimlich auf Abstand zur eigenen Darstellung, was die "Deportation" betrifft.
Dass Haldenwang ausgerechnet dieses Treffen als Beleg für die gefährdete Demokratie anführt, ist bezeichnend. Denn was dort wirklich gesagt wurde, damit beschäftigen sich derzeit Gerichte – und womöglich wird es dabei bleiben, dass Aussage gegen Aussage steht. Doch nach allem bisher Bekanntgewordenem lässt sich wohl sagen, dass Correctiv aus einer Mücke einen Elefanten gemacht hat.
Zudem "prüft" der Generalbundesanwalt bereits seit zwei Monaten ein Verfahren gegen die Teilnehmer des Potsdamer Treffens wegen Hochverrats, nachdem entsprechende Strafanzeigen eingegangen waren. Es hätte Haldenwang als Chef der Behörde, die die Verfassung schützen soll, besser zu Gesicht gestanden, diese "Prüfung" oder den Richterspruch eines sich womöglich daraus ergebenden Gerichtsverfahrens abzuwarten – denn schließlich gilt bis dahin die in der Verfassung verankerte Unschuldsvermutung.
Stattdessen spricht Haldenwang bereits von einem "belegten Entgrenzungsprozess". Denn für Haldenwang ist strafrechtliche Relevanz ohnehin irrelevant, wie er in seinem FAZ-Beitrag untermauert:
"Auch die Meinungsfreiheit hat Grenzen. Die äußersten Grenzen zieht das Strafrecht, etwa in Hinsicht auf strafbare Propagandadelikte oder Volksverhetzung. Jedoch auch unterhalb der strafrechtlichen Grenzen und unbeschadet ihrer Legalität können Meinungsäußerungen verfassungsschutzrechtlich von Belang sein."
"In diesem Satz steckt Sprengstoff", kommentiert Josef Kraus auf Tichys Einblick die Aussage des Geheimdienstchefs, um weiter auszuführen:
"Wenn der Verfassungsschutz 'unterhalb der Strafbarkeitsgrenze' aktiv wird, heißt das nichts weniger, als dass jeder Rechtsweg ausgeschlossen ist, jede Überprüfung staatlichen Handelns. Wem Straftaten vorgeworfen werden, der kann sich vor Gericht verteidigen, und richterliche Entscheidungen sind wiederum an Gesetze gebunden; in den meisten Fällen gibt es sogar eine Überprüfungsinstanz. Unterhalb der Strafbarkeitsgrenze operiert der Verfassungsschutz geheim, also unkontrollierbar und verdeckt; Faeser nannte ja als Instrumente Kontensperrung, Anzeige beim Gewerbeaufsichtsamt, um schärfere Kontrolle auszulösen. Auch Anrufe beim Arbeitgeber, in der Schule, in den Behörden sind als geheime Maßnahmen benannt. Es ist ein Willkürbereich."
Der Autor nimmt Bezug auf das sogenannte Demokratiefördergesetz, das Kritiker jedoch eher als Anschlag auf die Demokratie werten. Zu jenen zählt auch der langjährige Journalist Uwe Vorkötter, der in einem Beitrag auf t-online zunächst anmerkte, dass der Rechtsstaat gegen jene aktiv wird, die von der Meinungsfreiheit nicht gedeckte Straftaten wie Volksverhetzung, Bedrohung, Nötigung oder Beleidigung begehen.
Dann fährt Vorkötter fort: "Faeser ist das nicht genug. Sie will nicht nur Menschen bestrafen, die sich strafbar machen, sondern auch Leute, die schlechte Gedanken haben, die abseitige Sachen sagen, die sich in der rechten Ecke tummeln. (…) Sie hatte Thomas Haldenwang mitgebracht, ihren Kettenhund – Pardon, den Präsidenten des Verfassungsschutzes. Er sagte, der Staat müsse sich nicht nur gegen Gewalt wenden, sondern auch gegen 'verbale und mentale Grenzverschiebungen'. Auch ein Handeln unterhalb der Strafbarkeitsschwelle könne 'staatswohlgefährdend' sein. Die Gedanken sind frei? (…) Frau Faeser und Herr Haldenwang stimmen da nicht mit ein."
Seine Kritiker vermochte Haldenwang mit seinem Gastbeitrag jedenfalls nicht zu überzeugen. Vielmehr hat er den Kritikern seiner medialen Dauerpräsenz weiteres Wasser auf die Mühlen gekippt. Mit seinem Beitrag habe er "lustvoll die Pfauenfedern seiner Eitelkeit" präsentiert und einmal mehr gezeigt, dass er sich "am Klang des eigenen Echos erfreut", heißt es etwa in der Welt, wo das vernichtende Fazit gezogen wird: "Über kurz oder lang schadet er sogar dem Amt."
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