Die Rhetorik, die von Deutschland Besitz ergriffen hat, ist erstaunlich nah am Jargon, den man in Nazi-Deutschland pflegte. So meinte der Chef des Wirtschaftsforschungsinstituts ifo, Clemens Fuest, in einer Sendung der Talkshow Maybrit Illner, "Kanonen und Butter – es wäre schön, wenn das ginge. Aber das ist Schlaraffenland, das geht nicht."
Mit diesem Zitat bezieht sich Fuest auf eine Aussage des Stellvertreters Hitlers, Rudolf Heß, von 1936. Man müsse an Fett, Fleisch und Eiern sparen, denn "wir wissen, dass die Devisen, die wir dadurch sparen, der Aufrüstung zugutekommen. Auch heute gilt die Parole: Kanonen statt Butter." Deutschland ist wieder da angelangt, wo es eigentlich nie wieder hin wollte.
Obwohl inzwischen einige Tage seit der Sendung vergangen sind, blieb der Aufschrei des sonst sehr auf politisch korrekte Wortwahl bedachten linksliberalen Milieus aus. Dem ehemaligen Linken-Politiker Oskar Lafontaine wurde dereinst für die Verwendung des Wortes "Fremdarbeiter" Nähe zum Faschismus und das Betreiben von Querfrontpolitik unterstellt. Mit einem Heß-Zitat im öffentlich-rechtlichen Fernsehen zur Beschreibung dessen, was auf die sozial Schwachen in Deutschland zukommt, entlockt man dem urbanen Großstädter inzwischen jedoch keine moralische Empörung mehr. Deutsche Zustände 2024.
Fuest sagt, man kann nur eins haben: entweder Aufrüstung oder Sozialstaat. Beides zusammen ginge nicht. Wofür er sich entscheidet, ist angesichts der von Medien und Politik behaupteten "russischen Angriffspläne" klar. Man muss am Sozialstaat sparen, um sich gegen den potenziellen Angreifer zu wappnen.
In der Wochenzeitung Unsere Zeit bringt Ulf Immelt auf den Punkt, was auf Deutschland und die Deutschen zukommt:
"Die Logik, die hinter den Äußerungen des Präsidenten des arbeitgebernahen Wirtschaftsforschungsinstituts 'ifo' steckt, ist unmissverständlich: Jeder Euro, der in Soziales, Gesundheit oder Bildung investiert wird, fehlt für Aufrüstung und Stellvertreterkrieg. Jeder Cent, der in den Sozialetat fließt, schmälert die Profite von Rheinmetall und anderen Rüstungskonzernen und damit auch die Dividenden derjenigen, die an den Börsen auf die Fortsetzung des Mordens in der Ukraine, in Palästina und anderen Kriegsschauplätzen wetten."
Immelt verweist auf den Widerspruch zwischen der öffentlichen Debatte über einen angeblich ausufernden Sozialstaat einerseits und der gesellschaftlichen Realität andererseits.
Während CDU, FDP und die Arbeitgeberverbände weitere Einschnitte bei den Sozialleistungen fordern, spricht der kürzlich vorgestellte Bericht des Europarats eine ganz andere Sprache. Deutschland tue zu wenig, um Armut zu bekämpfen, heißt es dort in aller Nüchternheit. Der Europarat kommt für Deutschland zu dem Schluss, das hohe Ausmaß an Armut und sozialer Benachteiligung stehe in keinem Verhältnis zum Reichtum des Landes. Er fordert mehr Butter.
Das deckt sich mit einer Untersuchung der Hans-Böckler-Stiftung. Ihr zufolge sind die Ausgaben für Soziales in Deutschland weit weniger stark gestiegen als in den meisten anderen Ländern der OECD. Im Ranking belegt Deutschland den drittletzten Platz.
Das wird die Bundesregierung und die kooptierte Opposition aber kaum zu einer Kursänderung bewegen. Immelt schlussfolgert:
"In den Verlautbarungen der "Zeitenwendler" spielen solche ökonomischen Fakten keine Rolle. Schließlich erweisen sich Aufrüstung und Stellvertreterkrieg als äußerst wirksame Instrumente zur Umverteilung von unten nach oben. Während der militärisch-industrielle Komplex mit Milliardensummen subventioniert wird, bezahlen die arbeitenden Menschen hierzulande mit längerer Lebensarbeitszeit, geringeren Renten und schlechterer Absicherung von Arbeitslosigkeit und Armut – und die Menschen in den Kriegsgebieten häufig mit dem Leben."