Von Susan Bonath
Wer sich für die Rechte von Palästinensern ausspricht und den aktuellen Vernichtungsfeldzug Israels gegen die gesamte Bevölkerung des Gazastreifens kritisiert, muss in Deutschland mit harter Repression rechnen. Der Berliner Senat verfolgt aktuell Mitorganisatoren des für Mitte April in der deutschen Hauptstadt geplanten Palästina-Kongresses, an dem sich auch antizionistische Juden beteiligen, mit Hausdurchsuchungen. Er will zudem die Veranstaltung verbieten lassen. Die Betroffenen sehen sich politisch verfolgt.
Wohnungen durchsucht
Zwei Mitorganisatoren des geplanten Palästina-Kongresses 2024, wurden kürzlich von der Polizei aus dem Schlaf gerissen: Hausdurchsuchung. Wie der Tagesspiegel in einem diskreditierenden Beitrag daraufhin darlegte, beschlagnahmten die Beamten unter anderem Datenträger und die Mobiltelefone der Betroffenen. Diese würden nun von den Ermittlern ausgewertet, heißt es.
Um solche Razzien durchzusetzen, braucht die Justiz mindestens konkrete Hinweise auf drohende Straftaten. Doch die Begründungen, die der Tagesspiegel unter Berufung auf den Senat anführt, sind schwammig. Angeblich hätten sich die beiden Betroffenen nach dem 7. Oktober 2023 "zunehmend radikalisiert". In den Mund gelegt werden ihnen angebliche Behauptungen, mit denen sie Zionisten diskreditiert hätten. Über konkrete Zusammenhänge und entsprechende Belege ist nichts bekannt.
Tagesspiegel verstößt gegen Pressekodex
Das Blatt hält sich durchweg an den Konjunktiv: "Möglicherweise" fänden die Beamten auf den gesicherten Datenträgern "nun Hinweise auf eine Reihe von Rednern, deren Namen die Veranstalter nach eigenen Angaben bislang geheim halten, da ansonsten staatliche Einreiseverbote drohten", heißt es etwa.
Bemerkenswerterweise praktiziert der Tagesspiegel ein perfides journalistisches No-Go: Er nennt die vollständigen Namen der beiden durchsuchten Privatpersonen. Dies ist laut Pressekodex verboten, und zwar aus guten Gründen: Verdächtige jedweder Art könnten damit Hass und Selbstjustiz aus der Bevölkerung ausgesetzt werden. Das soll vermieden werden – was das Blatt aber in diesem Fall offenbar nicht wollte.
Senat strebt Verbot an
Der Berliner Senat prüft zudem ein Verbot, mindestens eine drastische Einschränkung der Veranstaltung. Dies ging bereits am 18. März durch den Ticker der Nachrichtenagentur dpa und wurde von zahlreichen Medien weiterverbreitet.
Auch hierzu fehlt es an Konkretem. Innenstaatssekretär Christian Hochgrebe (SPD) habe erklärt: Man werde "im Rahmen der rechtlichen Möglichkeiten alles in unserer Macht Stehende unternehmen", um vermeintlich drohende "Straftaten wie Volksverhetzung und das Verwenden verbotener Symbole ebenso zu unterbinden wie die Verbreitung von Hass und Hetze gegen Israel". "Hass und Hetze" sind bekanntlich frei auslegbar.
Israel-Lobby in Action
Der Deutschlandfunk interviewte dazu Kim-Robin Stoller, der für das sogenannte Internationale Institut für Bildung-, Sozial- und Antisemitismusforschung (IIBSA) arbeitet. Das ist eine Denkfabrik der internationalen Israel-Lobby in Deutschland mit Verbindungen unter anderem zum Zentralrat der Juden und zur Amadeu Antonio Stiftung, bei denen kein Wort von Kritik an der offen rechtsextremen Regierung Israels sowie an der völkerrechtswidrigen Besatzung Palästinas zu lesen ist. Zu den Kooperationspartnern des Vereins zählt überdies das Jüdische Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus (JFDA), wenn man Wikipedia glauben will.
Laut Recherchen der Autorin Susann Witt-Stahl in der marxistischen Tageszeitung junge Welt pflegt die Organisation umfassende "Verbindungen in rechte und neokonservative Netzwerke".
Ein führendes JFDA-Mitglied verbreitet demzufolge etwa reichweitenstarke Lobgesänge auf ukrainische Faschisten sowie die rechtsextreme Wahnidee von einer islamisch-bolschewistischen antiimperialistischen Verschwörung. Verbindungen gebe es zudem in die führenden Kreise der Kampagne "Stop the Bomb", eine Lobby, die mit unbelegten Behauptungen für einen Krieg des Westens gegen den Iran hetzt.
Jüdische Teilnehmer mit betroffen
Stoller formulierte ebenfalls nur vage Anschuldigungen, so etwa: Es handele sich um das "radikale antiisraelische Spektrum", das die "Hamas für eine Widerstandsorganisation oder Guerillakämpfer" halte sowie "zum Teil für den bewaffneten Kampf gegen Israel" eintrete. Abgesehen davon, dass sogar das Völkerrecht infolge historischer Erfahrungen den bewaffneten Widerstand gegen Besatzer und Unterdrücker ausdrücklich erlaubt: Eine konkrete Begründung für die Repressionen liefert auch Stoller nicht.
Immerhin kommt im Deutschlandfunk auch Wieland Hoban zu Wort. Er ist Jude und Vorsitzender des antizionistischen, linksorientierten Vereins "Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost", der sich gegen die Besatzung der palästinensischen Gebiete durch Israel ausspricht und ebenfalls an der Veranstaltung teilnimmt.
Hoban wehrte die von Stoller geäußerten Vorwürfe ab. Es gelte zuweilen bereits als "Vernichtungsaufruf gegen Israel, wenn man sagt, es solle einen Staat mit gleichen Rechten für alle Bürger geben", mahnte er. Die Repressionen gegen die Veranstalter des Palästina-Kongresses kritisierte er als "massiven Eingriff in die Meinungsfreiheit".
Politisch verfolgt?
Bemerkenswert ist, dass die Organisatoren und Gäste des Kongresses so gar nicht dem offiziell kreierten Feindbild entsprechen. Erinnert sei an die sogenannten Demos "gegen rechts". Vielmehr sind sie links der Überreste der Linkspartei zu verorten. So offenbarte der Tagesspiegel, dass die beiden Durchsuchten, einer demnach bereits zum dritten Mal, von der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) unterstützt würden.
Auch der Deutschlandfunk bezeichnete die Organisatoren und Teilnehmer als "linksradikalen, antiimperialistischen Spektren" zugehörig. Man kann also vermuten: Ist das der wahre Grund? In die bisherige Propaganda der führenden kapitalistischen Staaten, voran die USA, fügt sich das wunderbar ein: Kommunisten und Sozialisten als Systemgegner galten schon immer als Erzfeinde der Imperialisten. Echte Faschisten und Neonazis hingegen hielt man sich stets gerne warm. Die Ukraine lässt grüßen.
In jedem Fall liegt politische Verfolgung nahe. So sehen es auch die Betroffenen. Der deutsche Staat gehe seit Jahren systematisch gegen ihre Demonstrationen vor, an denen sich seit langem antizionistische Juden beteiligten, erklärten sie. Die Polizei reagiere dabei zunehmend aggressiver und gewalttätiger, die medialen Hetzkampagnen würden schärfer. Sie schreiben:
"Während die deutsche Regierung schamlos und vor den Augen der Welt einen Völkermord unterstützt, werden demokratische Rechte hier in Deutschland ausgehebelt, um Proteste für einen Waffenstillstand zum Schweigen zu bringen. (…) Es ist ein Angriff auf die demokratischen Grundrechte und auf einen Versuch der Völkerverständigung."
Völkerverständigung kann freilich nicht mögen, wer durch Teilen herrschen will, schon gar nicht dann, wenn es darum geht, nationalistischen, kolonialistischen und rassistischen Siedlerkolonialismus zu kaschieren.
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