Bereits Ende des letzten Jahres besuchte Dunja Mijatović, Kommissarin für Menschenrechte des Europäischen Rats, die Bundesrepublik. Am 23. Februar legte sie ihren Bericht zu Deutschland vor. Der ist in weiten Teilen niederschmetternd, korrespondiert er doch in keiner Weise mit der deutschen Selbstwahrnehmung, eine offene, bunte, diverse und um sozialen Ausgleich bemühte Gesellschaft zu sein.
Gleich einleitend heißt es, Deutschland habe zwar alle relevanten Menschenrechtsabkommen unterzeichnet, gleichwohl fehle es den deutschen Behörden an Bewusstsein dafür, wie diese im nationalen Kontext umzusetzen seien. Im Vergleich zu anderen Ländern in Europa hätten Institutionen zum Schutz der Menschenrechte in Deutschland wenig Befugnisse.
Im Bereich der Stärkung der Rechte von Kindern als auch hinsichtlich der Inklusion von Menschen mit Behinderungen bleibe Deutschland weit hinter den gemachten Versprechungen zurück.
"Fortschritte bei der Achtung der Rechte von Menschen mit Behinderungen gab es aufgrund fehlender politischer Maßnahmen und dem Festhalten an bestehenden exkludierenden Strukturen nur begrenzt.”
Mijatović bemängelt eine besitzstandswahrende Mentalität des bestehenden Hilfenetzes, das aber statt Inklusion voranzubringen, auf Schutzräume wie spezielle Bildungseinrichtungen, Wohnheime und Behindertenwerkstätten und damit auf Ausgrenzung setze.
"Trotz steigender Zahlen gemeldeter Diskriminierungsfälle, ist die politische Aufmerksamkeit nur unzureichend. Es fehlt an Ressourcen für die Förderung an einer vollständigen und wirksamen Gleichstellung. Es wurde bisher keine interministerielle Strategie zur Implementierung von Gleichstellung formuliert”,
heißt es in dem Bericht.
Noch deutlicher fällt die Kritik der Kommissarin hinsichtlich der sozialen Rechte aus. Deutschland tue nicht genug gegen Armut und Obdachlosigkeit.
"Die Kommissarin weist darauf hin, dass soziale Rechte häufig nicht als rechtlich bindend, sondern als von zur Verfügung stehenden Ressourcen abhängig gesehen werden. Sie stellt fest, dass das hohe Niveau von Armut und sozialer Ausgrenzung in keinem Verhältnis zum wirtschaftlichen Reichtum des Landes steht."
Konkret bedeutet das, dass Hilfeleistungen und Unterstützungen nicht vom tatsächlichen Hilfebedarf, sondern von den Möglichkeiten und der finanziellen Ausstattung des Hilfesystems abhängen. Daran aber wird gespart.
Vor allem der Anstieg der Obdachlosigkeit bereitet der Kommissarin Sorgen. In Deutschland herrsche akuter Mangel an Wohnraum. Vor allem der Bestand an Sozialwohnungen sei massiv zurückgegangen. Gegen die Wohnungsnot werde jedoch zu wenig unternommen. Wohnungsnot treffe vor allem junge Menschen und Familien mit Kindern hart.
Besorgt zeigt sich die Autoren des Berichts zudem über das Ausmaß an Rassismus in Deutschland. Unter den EU-Ländern sei Deutschland das Land mit der höchsten Inzidenz hinsichtlich der Diskriminierung anhand der Hautfarbe.
Dies deckt sich mit den Ergebnissen der periodischen Überprüfung durch den UN-Menschenrechtsrat, der sich Deutschland im November 2023 unterzogen hatte. Zwar kam es im Bereich des Schutzes von LGBT nicht zu Beanstandungen, allerdings wurde der deutschen Gesellschaft Islamfeindlichkeit, Russophobie und Sinophobie vorgeworfen. China forderte Deutschland explizit dazu auf, sich stärker für soziale Gerechtigkeit einzusetzen und mehr gegen die wachsende Armut und die damit einhergehende soziale Ausgrenzung zu unternehmen.
Für das deutsche Sozialsystem wird in dem Bericht des Europäischen Rats ebenso nüchtern wie vernichtend abschließend konstatiert:
"Die Kommissarin bedauert, dass Sozialleistungen noch immer nach veralteten Statistiken statt nach konkretem Bedarf berechnet werden. (...) Sie ist besorgt über die wachsende Ungleichheit in Deutschland und hält es für dringend geboten, Umverteilungsmechanismen zu entwickeln um mittel- und langfristige Auswirkungen auf die individuelle Gesundheit, Bildung, den Zugang zu Beschäftigung durch persistente Armut zu minimieren."
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