Der bisherigen ungeschlagenen Nummer eins in Sachen Fehlplanung und ausufernde Kosten, dem Flughafen Berlin-Brandenburg, wird der prominente Platz im Negativranking streitig gemacht. Das Bahnprojekt S21 schickt sich an, das Chaos rund um den Bau des vollmundig "Hauptstadtflughafen" genannten BER in den Schatten zu stellen. 2010 war Baubeginn, 2019 sollte der neue Stuttgarter Tiefbahnhof eröffnet werden. Der Termin wurde mehrfach verschoben, und wackelt nun erneut. Ob der Tiefbahnhof tatsächlich wie angekündigt Dezember 2025 ans Netz gehen kann, ist fraglich. Damit übertrifft die Bauzeit des Bahnhofs die des Berliner Flughafens schon jetzt um mindestens ein Jahr. Bis zur Eröffnung des BER dauerte es "nur" 14 Jahre.
Nicht ganz untypisch für Deutschland ist die Digitalisierung das Problem. Um eine hohe Zugdichte zu ermöglichen, ist ein digitales Zugsicherungssystem vorgesehen, das ohne Stellwerk und Signale auskommt. Dieses System ist jedoch sehr störungsanfällig. Zudem müssen alle Züge darauf umgerüstet und die Lokführer daran ausgebildet werden. Jetzt gibt es noch Lieferprobleme und Schwierigkeiten bei der Installation des Systems. Man liegt deutlich hinter dem Zeitplan.
Eine Inbetriebnahme ohne digitale Zugsicherung würde jedoch alle Warnungen der Gegner von S21 wahr werden lassen. Der Bahnhof würde aufgrund seiner geringen Leistungsfähigkeit zu einem Engpass.
Gleichzeitig – und auch das deckt sich mit dem BER – explodieren die Kosten. Die ursprünglich veranschlagten 2,5 Milliarden Euro haben sich mehr als vervierfacht. Inzwischen ist von bis zu 12 Milliarden Euro die Rede, die das Prestigeobjekt Stuttgart 21 kosten soll, mit dem Deutschland der Welt seine Zukunftsfähigkeit präsentieren wollte.
Baden-Württembergs Verkehrsminister Winfried Hermann (Bündnis 90/Die Grünen) schlug vor, den neuen Tiefbahnhof ab Ende 2025 erst einmal in aller Ruhe im Probelauf zu testen. Erst nach erfolgreichem Test soll er dann ans Netz gehen. Damit deutet sich eine Art symbolische Eröffnung an. Einige Züge werden in den neuen Bahnhof einfahren, während andere weiter den bisherigen Kopfbahnhof nutzen.
Ob mit oder ohne digitales Zugsicherungssystem: Es ist klar, dass der neue Bahnhof schnell an seine Grenzen kommen wird. An der Grenze scheint vor allem aber Deutschland angekommen. Nach Elbphilharmonie, dem BER ist S21 ein weiteres Großprojekt, mit dem Deutschland der Welt vorführt, dass es Großprojekte längst nicht mehr kann. Aber auch bei kleineren Projekten hapert es grundlegend: Bis zum Abschluss der Erneuerung der 1,2 km langen Schiersteiner Brücke zwischen Wiesbaden und Mainz brauchte es 10 Jahre.
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