Ampel vor dem Aus? Seltsame Manöver rund um Taurus

Diese Woche soll der Bundestag entscheiden, ob Deutschland Taurus-Marschflugkörper an die Ukraine liefert. Und es scheint Krach in der Koalition zu geben, obwohl ein Koalitionsantrag vorliegt, der eine derartige Lieferung befürwortet. Durch Strack-Zimmermann.

Von Dagmar Henn

Im Grunde war das zu erwarten. Nachdem mit der Münchner Sicherheitskonferenz die NATO-Propaganda noch einmal aufgefrischt wurde, geht jetzt in Berlin die Auseinandersetzung um die Lieferung von Taurus-Raketen in die nächste Runde. Im Laufe der Woche soll über eine entsprechende Vorlage der Ampelkoalition entschieden werden, die derartige Lieferungen mit einschließen kann, sie aber nicht explizit benennt; und nun gehen Meldungen durch die Presse, dass die CDU einen Alternativantrag stellt, der dies tut, und die FDP-Rüstungslobbyistin Strack-Zimmermann erklärt, sie werde für den CDU-Antrag stimmen.

Was gleich in mehrfacher Hinsicht Abgründe birgt. Der erste ist der altbekannte. Ob diese Lieferungen als Beteiligung gesehen werden oder nicht, liegt allein in der Entscheidung Russlands, wobei Deutschland das kleine Zusatzproblem der Feindstaatenklausel hat. Man windet sich immer darum herum, aber im Grunde sollte man in Berlin zur Kenntnis nehmen, dass sich seit der Entscheidung zur Lieferung der Panzerhaubitzen 2000, bei denen diese Frage zum ersten Mal auftauchte, einige der Umstände geändert haben.

Beispielsweise in der Position, die andere Staaten, vor allem jene außerhalb des Westens, zum Konflikt in der Ukraine einnehmen. Was durchaus die Voraussetzungen für die russische Reaktion beeinflusst. Hier gibt es mittlerweile nicht nur seitens des chinesischen Verteidigungsministers die Aussage, China stehe in diesem Konflikt an der Seite Russlands. Es gibt auch die zunehmende internationale Isolierung des Westens, dabei insbesondere der Vereinigten Staaten, Großbritanniens und Deutschlands, wegen ihrer Unterstützung des Genozids in Gaza.

Anders gesagt: Wäre ein russischer Schritt, eine derartige Lieferung als eine deutsche Kriegsbeteiligung zu werten, vor einem Jahr noch etwas gewesen, das die internationalen Beziehungen Russlands zu nichtwestlichen Staaten ungünstig beeinflusst hätte, wäre das heute vermutlich nicht mehr der Fall, oder zumindest in weit geringerem Ausmaß. Mit ihren Drohungen gegen Iran wegen seiner Unterstützung etwa für die Huthi im Jemen haben übrigens die Vereinigten Staaten selbst den russischen Spielraum an diesem Punkt erweitert; legte man den gleichen Maßstab an, könnte Russland Berlin bombardieren.

Was nach wie vor eher unwahrscheinlich ist, aber es gibt Anzeichen, dass Russland seine Zurückhaltung schrittweise fallen lässt. Jeder, der sich mit den technischen Gegebenheiten ein wenig befasst hat, weiß, dass diverse aus Deutschland gelieferte Rüstungsgüter notwendigerweise den Einsatz von westlichem, mit hoher Wahrscheinlichkeit deutschem Personal erfordern. Es gab immer wieder Gerüchte über NATO-Offiziere, die Raketenangriffen auf ukrainische Kommandostellungen zum Opfer gefallen seien, und jeder konnte wissen, dass viele der ukrainischen Angriffe etwa auf die Krim-Brücke nur mit NATO-Aufklärungsdaten möglich waren; es gab Meldungen über polnisch sprechende Einheiten; aber all das wurde im Ungewissen gelassen. Das hat sich in jüngster Zeit geändert.

Deutlichster Moment war die Einbestellung des französischen Botschafters. Der russische Vorwurf lautete, dass französische Soldaten in der Ukraine im Einsatz waren. Auch hier wurden die Belege noch nicht veröffentlicht, aber es kursierten Meldungen, es habe Gefallene mit Abzeichen der französischen Fremdenlegion gegeben, die nur auf Befehl des französischen Präsidenten eingesetzt werden darf. Übrigens waren Vertreter eben dieser Legion während der Gelbwesten-Unruhen ziemlich mit Macron aneinandergeraten. Es wäre also nicht auszuschließen, dass in Russland Belege für einen derartigen Einsatz vorliegen, die aus den Reihen der Legion selbst stammen.

In den letzten Tagen folgten dann Meldungen über ausländische Militärabzeichen. Wie gesagt, alles im Grunde nichts Neues, im vergangenen Sommer gab es ja sogar ein Foto eines Panzerkommandeurs in deutscher Uniform auf einem Panzer in der Ukraine, und die Aufklärungsdaten der NATO wurden schon während des ukrainischen Bürgerkriegs von 2014–2022 weitergereicht; Russland hat dieses Fass nur nie geöffnet. Genau das ist aber mit diesen ersten beiden Schritten passiert, und gäbe es in Berlin Restverstand, würde man diesen Faktor in derartige Debatten mit einbeziehen.

Es gibt aber einen noch viel wichtigeren Punkt, der diese Debatte zum jetzigen Zeitpunkt geradezu absurd wirken lässt. Die Meldungen um Awdejewka deuten an, dass sich die ukrainische Armee inzwischen auf einen Zusammenbruch hinbewegt. Eine Entwicklung, deren Geschwindigkeit und Tiefe noch nicht abzusehen ist, die aber mit hoher Wahrscheinlichkeit zumindest die Konsequenz hat, dass der Bundestag beschließen kann, was er will (sofern die diskutierten Marschflugkörper nicht ohnehin schon in der Ukraine sind), weil in absehbarer Zeit Sendungen an das ukrainische Militär mit dem Vermerk "Empfänger unbekannt verzogen" zurückgehen dürften.

Die Raketen, die von Flugzeugen abgefeuert werden, sind ähnlich wie die britischen Storm Shadow, aber mit höherer Reichweite von 500 Kilometern. Sie sind aber bisher, zumindest offiziell, nicht an die Flugzeuge angepasst, die die Ukraine noch besitzt, nicht einmal an die F-16, die die Ukraine erhalten soll. Und dass 500 Kilometer genug Abstand sind, um nicht ins Visier gegnerischer Jagdflieger zu geraten, ist auch schon vorüber. Bei den F-16 dürfte ohnehin der unausgesprochene Grund, warum sie nicht in der Ukraine aufgetaucht sind, in der Tatsache liegen, dass sich schlicht nicht genug selbstmordgefährdete westliche Kampfpiloten finden, die in ein, zwei Flügen gegen die exzellente russische Luftabwehr die Erfüllung ihres Daseins sehen. Allzu viele andere Flugzeuge und Piloten sind nicht übrig.

Was nicht ausschließt, diese Marschflugkörper irgendwie für eine Boden-Boden-Nutzung umzubauen, aber das braucht kundiges Personal und Zeit. Ersteres lässt sich in der Ukraine nicht finden, aber auch zunehmend schlechter in die Ukraine schicken; und Letzteres ist schlicht nicht im Angebot. Die Zeit der Ukraine ist abgelaufen.

Mehr noch. Vor dem Hintergrund einer bröckelnden Front könnten sich die Machtkämpfe, die in Kiew im Verlauf der letzten Wochen zu beobachten waren, verschärfen. Da der abgesetzte Oberbefehlshaber der Armee, Saluschny, engere Beziehungen zu den Nazibataillonen und gar damit gedroht hatte, könnte sogar der verheerende russische Angriff auf die Richtung Awdejewka bewegte 3.Brigade (die aktuelle Gestalt des Asow-Bataillons) ein Teil des innerukrainischen Machtkampfs gewesen sein. Aus der Sicht von Selenskij wie von Syrski dürfte es Sinn machen, die Kräfte des inneren Gegners zu schwächen; man kann nicht völlig ausschließen, dass der Ort, an dem sich diese Truppen sammelten, nicht durch russische Aufklärungsmaßnahmen, sondern durch entsprechende Informationen aus Kiew bekannt wurde.

Sollte dem so sein, ist eine der möglichen Richtungen, in die sich die Lage in der Ukraine entwickeln könnte, eine neue Bürgerkriegsfront, diesmal zwischen Selenskij/Syrski/Budanow und Saluschny/Poroschenko/Klitschko und ihren jeweiligen Anhängern; und da es sich unter diesen Bedingungen für beide Seiten darum handelt, wer den letzten Zugriff auf die verbliebenen Reste ukrainischer Beute erhält, könnte es sein, dass der Einfluss der jeweiligen externen Kontrolleure nur noch begrenzt ist.

Ideale Bedingungen, um eine frische Ladung deutscher Waffen dorthin zu liefern, nicht? Die aufgestellten Behauptungen, eine derartige Entscheidung sei nötig, um die Ukraine zu retten, weil diese "um unseren Frieden und unsere Freiheit und unsere Zukunft in Europa kämpft", wie die Rüstungslobbyistin mit der Dracula-Frisur nicht müde wird zu betonen, haben jedenfalls nicht mehr Verbindung mit der Wirklichkeit als eine Folge von Kampfstern Galactica.

Sollte Bundeskanzler Olaf Scholz tatsächlich die von den Grünen wie der FDP immer lautstärker geforderte Lieferung verweigern, weil "die Flugkörper russisches Territorium treffen könnten und Russland dies als direkten Angriff mit deutscher Beteiligung werten würde", wie dies t-online vermutet, würde das zumindest etwas Vernunft im Stab des Nordstream-Grinsers belegen.

Wer die bisherige Verhaltensweise der ukrainischen Armee beobachtet hat, weiß schon seit 2014, dass Terror gegen die Zivilbevölkerung – erst im Donbass, mittlerweile auch gegen Gebiet, das schon 1992 russisch war – sogar wichtiger zu sein scheint als militärische Erfolge. Nur, der Grund für derartige Bedenken ist heute noch bedeutender als im vergangenen Jahr. Dass Scholz also nachgegeben hat, ist in jeder Hinsicht sinnlos.

Es ist das Manöver von Strack-Zimmermann, das womöglich das Rätsel löst. Da diese Entscheidung für die Welt außerhalb Berlins keine materiellen Folgen mehr haben dürfte, muss sie sich nach innen richten. Und da ist diese Aussage ein Hinweis auf einen möglichen Koalitionsbruch.

Natürlich stellen sich auch da einige Fragen. Klar, die FDP sucht verzweifelt nach einem Weg, im Bundestag zu bleiben, und die Ampelkoalition bietet dafür keine Perspektive. Aber warum sollte CDU-Chef Friedrich Merz zu einem Zeitpunkt die Regierung übernehmen wollen, wenn die Wirtschaftsprognosen wöchentlich weiter nach unten korrigiert werden? Ohne auch nur ansatzweise ein Rezept zu haben, das aus diesem Schlamassel wieder herausführen könnte? Schließlich wird auch er den verbliebenen Strang von Nord Stream nicht öffnen, wird auch er die EU-Vorgaben etwa zur Landwirtschaft weiter umsetzen, wird er die ganze Gesetzgebung der letzten zwei Jahre nicht rückabwickeln oder die Finanzierung von Rüstungsprojekten oder der Ukraine in Frage stellen (gut, Letzteres erledigt sich von alleine).

Und wie verhalten sich in diesem Moment die Grünen? Versuchen sie, einen auf Jamaika zu machen und bei der Union unterzukriechen? Die weiß nur zu gut, dass sie sich selbst dadurch zerlegt.

Allerdings könnte, mit Blick auf die drohende AfD, das Ganze durch eine von den Grünen tolerierte schwarz-gelbe Minderheitsregierung gelöst werden. Das ganze Spektakel der vergangenen Wochen könnte als Rechtfertigung genutzt werden, um einen derartigen Schritt als "für die Verteidigung der Freiheit erforderlich" zu bezeichnen. Was womöglich, aber nur womöglich, zumindest den einen positiven Effekt hätte, dem Land die jüngsten Pläne aus dem Hause Faeser zu ersparen.

Es könnte auch schlicht sein, dass der drohende Zusammenbruch in der Ukraine eine derartige Panik in Berlin ausgelöst hat, dass letztlich eigentlich gar niemand freiwillig regieren will. Weil in dem Moment, in dem dieser Stellvertreterkrieg in der krachenden Niederlage endet, auch innenpolitisch die Rechnung auf den Tisch gelegt werden wird, wozu eigentlich all das gut gewesen sein soll – die Energieprobleme, die Inflation, die Milliarden, die in einen Staat gepumpt wurden, der dann gescheitert ist.

Auf jeden Fall ist da etwas im Busch, und das hat nichts mit der Ukraine zu tun. Diese Woche könnte noch interessant werden.

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