Von Gert Ewen Ungar
Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen) leitet ihre Beiträge gern im Relotius-Stil ein: Einem unschuldigen jungen Menschen, wegen Baerbocks Bekenntnis zur feministischen Außenpolitik gern weiblich, geschieht aufgrund der politischen Situation im eigenen Land großes Unrecht. Während Claas Relotius seine syrischen Protagonisten von Kanzlerin Angela Merkel träumen ließ, lässt Baerbock in ihrem aktuellen Relotius-Stück die Großmutter eines weißrussischen Politik-Opfers in Erinnerung ans gemeinsame Puzzeln schwelgen.
"Irina fährt gerne Schlittschuh. In der Eishalle oder wenn im Winter die Seen zufrieren. Ihre Großmutter, bei der sie aufgewachsen ist, erinnert sich noch daran, wie sie früher zusammen gepuzzelt haben. Manchmal stundenlang."
Irina sitzt jetzt im Gefängnis, denn sie war an einem Putsch beteiligt. Pardon! Das darf man so natürlich nicht sagen. Baerbock sagt, sie hat sich nach Demokratie gesehnt und ist dafür auf die Straße gegangen – schwupp sitzt sie im Knast. Diktatur eben. Lukaschenko hat Angst vor Frauen wie Irina, behauptet Baerbock.
Die deutsche Außenministerin hat zusammen mit der ehemaligen weißrussischen Präsidentschaftskandidatin Swetlana Tichanowskaja einen Namensbeitrag im Springer-Blatt Welt veröffentlicht, der im Stil erneut an die mit Kitsch durchsetzen Beiträge von Claas Relotius im ehemaligen Nachrichtenmagazin Spiegel erinnert. Selbst beim Kitsch muss Baerbock abschreiben, ist der Eindruck, der entsteht. Wie alle ihre Beiträge ist auch dieser ein Sammelsurium an Halbwahrheiten, verkürzter Darstellung, Desinformation – er ist schlichte Propaganda. Und er ist obendrein Zeugnis dafür, dass die deutsche Außenministerin inzwischen den Kontakt zur Realität in Deutschland vollständig verloren hat.
Zur besseren Einordnung noch einmal die Abläufe: Swetlana Tichanowskaja hatte 2020 die Präsidentschaftswahlen in Weißrussland verloren, erklärte sich aber zur Gewinnerin. Sie warf Amtsinhaber Lukaschenko Wahlbetrug vor. Wie das im Westen inzwischen Standard ist, werden Wahlen und gewählte Vertreter nur dann anerkannt, wenn sie dem Westen in den Kram passen. Der wiedergewählte Präsident Lukaschenko gilt als sperrig und passt dem Westen daher nicht in den Kram. Man hätte lieber eine Marionette gehabt, eine Tichanowskaja eben, die dafür bezahlt wird, die Texte aufzusagen, die man ihr vorlegt. Daher erkannte man auch Tichanowskaja an. Man behauptete, sie stehe für Demokratie, vertrete die Interessen der Weißrussen, überschüttete sie mit Friedens- und Freiheitspreisen, während man Weißrussland mit Sanktionen überzog.
Auch Baerbock steht für Demokratie, behauptet sie selbst von sich. Den Beweis liefert sie unmittelbar nach: Sie ist nämlich in Westdeutschland geboren.
"Als Politikerinnen schauen wir aus unterschiedlichen Perspektiven auf Belarus. Zwischen unseren Geburtsorten Mikaschewitschy und Hannover liegen 1200 Kilometer. Es sind die Orte, die unsere Leben geprägt haben. Ein Leben im freien und demokratischen Westdeutschland. Ein Leben in der Sowjetunion und der Diktatur von Belarus."
Diktatur kennt Baerbock daher nur als das ganz Andere. Als DDR und Sowjetunion. Daher entgeht ihr wohl auch das Bizarre an ihrem Beitrag. In Deutschland gibt es gerade von der Regierung geförderte Proteste gegen die Opposition. Diese Opposition will man ganz unverhohlen und ohne Scham verbieten, weil sie recht erfolgreich ist. Man zensiert in Deutschland inzwischen, was das Zeug hält, geht gegen Medien vor, die nicht auf Regierungslinie liegen, bezahlt Think-Tanks für das Erstellen von Internetprangern. Dort werden Journalisten mit abweichenden Ansichten denunziert und verunglimpft – staatlich gefördert, wohlgemerkt. Man möchte AfD-Wähler aus ihren öffentlichen Dienstverhältnissen entfernen und schränkt mittels Gesetzesverschärfung den Raum des straffrei Sagbaren immer weiter ein. Demokratie eben – so, wie sie Baerbock kennt.
Daher wirkt das, was Baerbock im Anschluss schreibt, angesichts der real existierenden Bedingungen in Deutschland unfreiwillig komisch und erregt gleichzeitig das Gefühl tiefer Traurigkeit.
"So unterschiedlich unsere Geschichte ist, so sehr eint uns eine klare Überzeugung: Dass jeder Mensch das Recht hat, frei zu sein. Dass es kein Verbrechen ist, für seine Meinung auf die Straße zu gehen."
Baerbock hat den Kontakt zur bundesdeutschen Realität verloren und lebt in einer kitschigen Relotius-Traumwelt, wird spätestens mit dieser Einlassung klar.
Swetlana Tichanowskaja hat für die Menschen in Belarus übrigens auch Ideen, die mit Demokratie und Freiheit wenig zu tun haben. Sie will aus Weißrussland ein Hungergefängnis machen. Sie fordert von der EU immer weitere Sanktionen gegen ihr Heimatland. Ziel ist, mittels eines massiven wirtschaftlichen Einbruchs, Elend und Hunger auszulösen. Das soll Unruhen schüren, die dann zu einem Putsch gegen Amtsinhaber Alexander Lukaschenko führen sollen. Wer glaubt, Tichanowskaja würde in ihrem Heimatland breite Unterstützung genießen, hat nicht ganz verstanden, was Tichanowskaja bereit ist, denjenigen anzutun, in deren Namen sie behauptet zu sprechen.
Baerbocks These ist, es wären Frauen, die von Diktatoren gefürchtet würden – das ist falsch. Solche Furien fürchtet wirklich jeder. Jeder Mensch mit der Fähigkeit zur Empfindung muss angesichts der Skrupellosigkeit und Empathielosigkeit von sowohl Baerbock als auch Tichanowskaja erschrecken. Diese Brutalität und Gewalt, für die sie stehen, braucht die Welt wahrlich nicht. Was die Welt und allen voran die EU und Deutschland ganz dringend brauchen, ist die Fähigkeit zur Diplomatie, zum Kompromiss und zur Bereitschaft, die Interessen auszubalancieren. Über diese Fähigkeiten verfügen weder Baerbock noch Tichanowskaja.
Baerbock tischt in jedem ihrer Beiträge beständig die gleichen Halbwahrheiten und Desinformationen auf und führt ihre Anhänger bewusst in die Irre. Wer sich übrigens fragt, warum die Außenministerin denn ausgerechnet jetzt ihre Solidarität zur ehemaligen Präsidentschaftskandidatin Tichanowskaja wiederentdeckt: In Weißrussland sind am Sonntag Wahlen. Baerbock mischt sich schlicht in die inneren Angelegenheiten Weißrusslands ein. Sie glaubt, sie sei dazu im Recht. Allerdings hat die vom Westen unterstützte und finanzierte Opposition bei diesen Wahlen noch weniger Chancen als beim letzten Mal, denn die böse Absicht ist mittlerweile jedem offenbar.
Inzwischen genügt auch ein Blick auf die real existierenden deutschen Verhältnisse, um genau zu wissen, welche Zustände man im eigenen Land nicht haben möchte. Baerbock hat das allerdings schlicht nicht realisiert.
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