Von Susan Bonath
Nazis in der Ukraine? Spätestens seit dem Kriegsbeginn vor zwei Jahren tun deutsche Medien und Politiker dies meist als russische Propaganda ab. Dabei galt Kiew schon Jahre zuvor als braune Hochburg: Neonazis aus aller Welt pilgerten in die ukrainische Hauptstadt, um Hitlerporträts und Hakenkreuzfahnen zu schwenken. Seit Kriegsbeginn ist es umgekehrt: Ukrainische Neonazis, die offenbar als Flüchtlinge in Deutschland leben, breiten ihre Strukturen unter den Augen der Behörden in Deutschland aus – und niemand schreitet ein.
"Keine Erkenntnisse"
Die im Jahr 2020 als Ableger der neofaschistischen "Asow"-Bewegung in Kiew gegründete militante Hundertschaft "Centuria" rekrutiert seit mindestens einem halben Jahr Anhänger in Deutschland. Ihr Ableger "Centuria Magdeburg" verbreitet seine Ideologie in den sozialen Medien und auf der Straße, sammelt Spenden und rekrutiert neue Mitglieder. Das Innenministerium Sachsen-Anhalt müsste derartige rechtsextremistische Umtriebe längst auf dem Schirm haben. Hat es aber nicht, wie ein Sprecher der Autorin mitteilte. Auf Nachfrage erklärte dieser am Freitag:
"Der Landespolizei Sachsen-Anhalt liegen keine Erkenntnisse zur angefragten Organisation in Bezug auf Sachsen-Anhalt vor."
Ob Sachsen-Anhalts Verfassungsschutz Informationen zu dieser Gruppe habe, wisse man beim Innenministerium aber nicht. Dieser teile seine Beobachtungen ohnehin nicht der Öffentlichkeit mit. Das stimmt zwar, sonst wäre es kein Geheimdienst. Merkwürdig ist es dennoch, dass eine öffentlich agierende Gruppe, die noch dazu mit anderen ukrainischen Organisationen in Deutschland vernetzt sein will, der Oberbehörde über die Landespolizei bisher nicht aufgefallen sei. Stellt sich das Ministerium in einer Art Staatsräson blind?
Umtriebig und gut vernetzt
Über die Umtriebe von "Centuria Magdeburg" hatte zuerst die Berliner Tageszeitung junge Welt berichtet. Der Telegram-Kanal der Gruppe ist seit Ende August 2023 aktiv.Am 24. August, dem 32. Unabhängigkeitstag der Ukraine, hatte sie zusammen mit dem seit 2009 bestehenden Verein "Deutsch-Ukrainische Vereinigung Sachsen-Anhalt" eine Kundgebung in der Magdeburger Innenstadt organisiert, zu welcher angeblich "mehrere Tausend Teilnehmer" gekommen waren.
Zuletzt organisierte "Centuria Magdeburg" demnach in Berlin eine Demonstration zum "Gedenken an die Verteidiger von Asowstal". Gemeint ist das neonazistische Asow-Regiment, das sich über Jahre im Stahlwerk von Mariupol verschanzt und immer wieder die zumeist russischsprachige Bevölkerung im Donbass angegriffen hatte, bevor dem die russische Armee im Frühling 2022 ein Ende bereitete.
Außerdem protzt die Gruppe mit Kontakten zu faschistischen Gruppen im Ausland, etwa in Weißrussland. Auf Fotos und Videos posieren die Magdeburger Centuria-Mitglieder mit Fahnen des Bandera-Flügels der faschistischen Organisation OUN. Diese kollaborierte im Zweiten Weltkrieg mit der SS und ermordete in deren Auftrag Zehntausende Juden, Polen und andere Minderheiten. Auch andere rechtsextreme Symbole, die teilweise an die NS-Zeit erinnern, sind zu sehen. In der Ukraine terrorisiert Centuria russischsprachige Ukrainer, Linke, Roma und andere Minderheiten.
Spenden für den "Sturm"
Nach eigener Darstellung sammelt der Magdeburger Ableger derzeit in Deutschland Spenden für den Kampfverband seiner ukrainischen Mutterorganisation. Der ist seit 2022 in die "Dritte Asow-Sturmbrigade" der ukrainischen Armee integriert, Kommandant ist der bekannte Neonazi-Führer Andrei Bilezki.
"Centuria Magdeburg" will inzwischen über Mitglieder in sechs deutschen Städten verfügen. Sie sei mit ukrainischen Organisationen in ganz Deutschland vernetzt. Aber auch deutsche Neonazis stehen ihr nahe. So lobte die vom Verfassungsschutz beobachtete Kleinpartei "Der III. Weg" bereits 2020 die Gründung von Centuria in Kiewund verfasste außerdem mehrere Beiträge über sie.
Um Geld und neue Mitglieder wirbt "Centuria Magdeburg" nicht nur auf ihren Kundgebungen. Sie bemüht auch die Wanderlust, lädt gemeinsam mit dem nationalistischen Pfadfinderbund "Plast" zu Ausflügen in den Harz ein. Man wolle, so erklären die Protagonisten ihr Ziel in ihrem öffentlichen Telegram-Kanal, "ukrainische Gruppen in Deutschland vereinen" und sich "immer aktiver in das öffentliche Leben einbringen". Und weiter:
"Die Feinde der Ukraine sollen sehen, dass wir vereint sind und unsere Auswanderer nicht bereit sind, für ein paar hundert Euro ihre nationale Identität zu vergessen. Wir erschaffen eine neue Generation von Helden!"
Die Gruppe verbreitet nicht nur antirussische und proukrainische Propaganda. Zu ihren "Feinden" hat sie neben Russen alle möglichen Minderheiten erklärt, die bei Faschisten verhasst sind: Linke, Araber, Afrikaner, Palästinenser, Muslime, Migranten (außer ukrainische) und Homosexuelle.
Neuerdings rekrutiert "Centuria Magdeburg" neben ukrainischen Kriegsflüchtlingen auch explizit deutsch- und englischsprachige Anhänger und versendet ihre Inhalte auch in diesen Sprachen. Die militante Neonazigruppe sieht offenbar enormes Wachstumspotenzial in Deutschland, und man muss zumindest annehmen, dass ähnlich wie bei der ukrainischen Mutterorganisation auch Waffen im Spiel sein könnten.
Geheuchelter "Kampf gegen rechts"
Es ist nicht glaubhaft, dass Sachsen-Anhalts Innenministerium über kein Wissen zu Neonazi-Symbolen verfügt und nicht mit sozialen Netzwerken, in denen die Gruppe aktiv ist, umgehen kann. Die einzig mögliche Erklärung für die fehlenden Erkenntnisse lautet: Man will es nicht wissen – trotz aller ersichtlicher Gefahren.
Dies verdeutlicht die Verlogenheit der Politik hinsichtlich ihres angeblichen Kampfes "gegen rechts". Die Regierenden haben diese politische Kategorie ihres Inhalts entleert und zu einer moralistischen Plattitüde umgedeutet. "Rechts" ist für sie lediglich, wer eine andere Meinung als die der Herrschenden verbreitet. Ukrainische Faschisten und ihre Netzwerkereien in Deutschland passen offensichtlich bestens in ihr Verständnis von einer "demokratischen Grundordnung" – kein gutes Zeichen.
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