Der Bundesverband der Deutschen Industrie stellt in seiner Pressekonferenz zum Jahresauftakt der "Ampel"-Koalition kein gutes Zeugnis aus. Die Rede des BDI-Präsidenten Siegfried Russwurm war eher eine Generalabrechnung mit vielen Ermahnungen.
Der BDI-Präsident Siegfried Russwurm hat eine Biografie, wie sie in der alten Bundesrepublik öfter zu finden war. Er absolvierte ein Ingenieursstudium und machte dann bis 2017 Karriere im Siemens-Konzern. Seit 2019 ist er Vorsitzender der Aufsichtsräte des Maschinenbauunternehmens Voith Group sowie bei der Thyssenkrupp AG, und seit Januar 2021 ist er auch der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie.
Der Einstieg in seine Rede war die Feststellung eines konjunkturellen Stillstands in Deutschland, der mindestens noch bis Jahresende anhalten werde.
"Freuen kann man sich zwar über viele Erfolge deutscher Unternehmen im Ausland. Aber die Situation am Standort Deutschland hat sich weiter eingetrübt."
Er erklärte, das geringe Wachstum von 0,3 Prozent, das für dieses Jahr erwartet werde, sei vom privaten Konsum getragen, der wiederum durch den Rückgang der Inflation, durch Lohnsteigerungen und die Erhöhung von Sozialtransfers stärker werde.
"Die Produktion hat bisher nicht einmal das Vor-Corona-Niveau des letzten Quartals 2019 wieder erreicht."
Dabei gibt der BDI-Präsident – auf höfliche, nämlich weitgehend verdeckte Weise – zu erkennen, diese Regierung wisse in vielen Fällen nicht, was sie wirklich tue. Das vergangene Jahr sei für Deutschland eben kein gutes Jahr gewesen:
"Es waren auch nicht erst die Turbulenzen nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, die das Jahr so unerfreulich gemacht haben. Sondern es bleibt der Eindruck, dass die Politik sich in eine Komplexitätsfalle manövriert hat und beim Ringen um Auswege die Komplexität immer noch weiter erhöht, ohne dabei überzeugende Fortschritte zu machen."
Das ist ein Urteil, das sich beispielsweise auf das Gebäudeenergiegesetz (GEG) beziehen könnte, weil das in seinen Paragrafen eine rekordverdächtige Fülle an Unterziffern und Querverweisen aufweist und gleichzeitig Nebenwirkungen entfaltet, die entweder nicht erkannt oder sogar bewusst in Kauf genommen wurden. Die "Komplexitätsfalle" ist eine sehr höfliche Art des Maschinenbauingenieurs zu sagen, dass der Kinderbuchautor Robert Habeck nicht versteht, was er tut.
Die Bürger seien dadurch ebenso verunsichert wie die Unternehmen. Das sei "zutiefst beunruhigend" – nämlich wirtschaftlich betrachtet, "weil es jede verlässliche Kalkulationsbasis für Investitionen verhindert".
Als dringende Themen benannte Russwurm die Genehmigungsverfahren, den Bürokratieabbau, eine Entscheidung über versprochene Subventionen ("Wachstumschancengesetz"), eine Klärung der zukünftigen Steuer- und Haushaltspolitik sowie die "Dekarbonisierung, Digitalisierung, Demografie und Diversifizierung".
Eine nachhaltige Antwort auf die Notwendigkeit für "wetterunabhängige Kraftwerkskapazitäten in Deutschland" gebe es nach wie vor nicht. Die gegenwärtige Notlösung, nämlich der Weiterbetrieb von Kohlekraftwerken, sei viel eher "skurril und blamabel".
Beim Abschluss internationaler Handelsabkommen sei die Bundesregierung im vergangenen Jahr ebenfalls nicht vorangekommen. Dabei "soll sich niemand in Berlin hinter der Zuständigkeit der EU" verstecken, denn schließlich sei Deutschland als "der größte Exporteur" und "die stärkste Volkswirtschaft der Union" imstande, in Brüssel erfolgreich darauf zu drängen.
Politisch müsse man sich "auf eine Welt vorbereiten, in der wir Europäer mehr auf uns selbst gestellt sind", sagte er offenbar mit Blick auf die US-Präsidentschaftswahlen. In Brüssel müsse man schädliche Entscheidungen verhindern, wie etwa das geplante Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz. Und man brauche eine europäische Sicherheitspolitik.
In sehr indirekter Weise warnte Russwurm auch vor weiteren Wettbewerbsnachteilen, die der deutschen Industrie aus deutschen Alleingängen entstünden:
"Zudem müssen wir wohl noch viel Überzeugungsarbeit leisten, wie industrielle Wettbewerbsfähigkeit und Klimaschutz auch in der europäischen Politik stärker zusammengeführt werden können." Man brauche "ein Europa, das sich den veränderten geopolitischen Gegebenheiten realistisch stellt".
In der deutschen Politik warnte er vor "noch mehr Polarisierung und Konfrontation", es brauche "Besonnenheit und Vernunft", "Bereitschaft und Fähigkeit zum politischen Diskurs und zum demokratischen Kompromiss", aber nicht "Aktivismus ohne Kompass".
Neben der Betonung, dass die wirtschaftliche Lage in Deutschland derzeit vor allem durch den Konsum noch stabil gehalten werde [was interessanterweise eine subtile Andeutung seitens eines Unternehmerverbandspräsidenten nicht für sondern gegen Sozialkürzungen ist], gibt er auch Verständnis für die in der Bevölkerung angestaute Wut zu erkennen, wobei er vor allem um die gesellschaftliche Stabilität besorgt ist, weil der Vertrauensverlust "aus Ärger oder echter Verzweiflung über das politische Geschehen viele Menschen auf Abwege führt".
Die "demokratischen Parteien" müssten "endlich gemeinsam zu den Entscheidungen kommen, die unser Land dringend braucht". Soziale Marktwirtschaft und freiheitliche Demokratie seien "in keinem guten Zustand".
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