"Exklusives Geheimpapier – Mögliche Eskalation gegen NATO schon 2024", so die Schlagzeile der dem Springer-Verlag zugehörigen Bild-Zeitung am 14. Januar. Laut vorliegenden Unterlagen würde in einem "Übungsszenario der Bundeswehr" Russland bereits in wenigen Wochen "mit den Vorbereitungen eines Krieges gegen die NATO beginnen". Noch schlimmer: "Im Dezember kommt es in dieser Übung zu 'zahlreichen Toten'", natürlich nur in den theoretischen Planspielen.
Die Bild-Redaktion provoziert die Leser:
"Wagt Russen-Diktator Wladimir Putin schon im kommenden Winter den hybriden Angriff auf die NATO? Schweden, das kein Mitglied des NATO-Bündnisses ist, warnt bereits offen vor einem Krieg gegen Russland."
Die Julius-Leber-Kaserne im Berliner Ortsteil Wedding ist die größte Kaserne der Bundeswehr in der Hauptstadt, das Bundesministerium der Verteidigung findet sich in der Stauffenbergstraße 18, im sogenannten Bendlerblock. Die Bild-Redaktion weiß diesbezüglich zu berichten:
"Auch in der Bundeswehr wird die Gefahr aus Moskau offenbar ernst genommen."
Grundlage des Artikels sind demnach Details aus dem "geheimen Dokument – 'Verschlusssache – Nur für den Dienstgebrauch'". In diesen Unterlagen würde das Verteidigungsministerium "den möglichen 'Weg in den Konflikt' zwischen Aggressor Russland und dem westlichen Verteidigungsbündnis skizzieren", so der Artikel erläuternd.
Laut dem "geheimen Dokument" würden theoretische Planspiele im Bendlerblock bereits minutiös skizziert:
"Monat für Monat und örtlich präzise werden russische und westliche Aktionen beschrieben, die in der Entsendung Hunderttausender NATO-Soldaten und einem unmittelbar bevorstehenden Kriegsausbruch im Sommer 2025 gipfeln."
Dann beruhigt die Bild-Redaktion die Leser und Abonnenten mit der Aussage, dass "aus Sicherheitsgründen jedoch nicht alle Informationen über Truppenstärke und Bewegung der NATO wiedergegeben werden". Das laut dem Vermerk von der Bild-Redaktion "gezeichnete Szenario" beinhaltet:
Das geheime Bundeswehr-Szenario 'Bündnisverteidigung 2025' beginnt im Februar 2024. Russland startet eine weitere Mobilisierungswelle und beruft zusätzlich 200.000 Mann in die Armee ein.
Daraufhin beginnt der Kreml – gestärkt von stockender westlicher Unterstützung in Richtung Kiew – eine Frühjahrsoffensive, die bis Juni 2024 größere Erfolge verzeichnet und die ukrainische Armee Stück für Stück zurückdrängt.
Ab "Juli 2024" würde dann der "zunächst verdeckte, später immer offenere Angriff Russlands auf den Westen" stattfinden. Die Bild-Planspiele lauten weiter:
Schwere Cyberangriffe und andere Formen der hybriden Kriegsführung, hauptsächlich im Baltikum, führen zu immer neuen Krisen. Russland beginnt mit der Aufwiegelung ethnischer russischer Minderheiten in Estland, Lettland und Litauen.
Es kommt zu Auseinandersetzungen, die Russland dem Szenario zufolge als Vorwand nutzt, ab September das Großmanöver 'Zapad 2024' mit 50 000 Soldaten im Westen Russlands und in Belarus zu starten.
Der Artikel steigert die theoretische Spannung mit der Erklärung: "Doch wie schon im Jahr 2021 missbraucht Russland sein angebliches Manöver in Belarus für einen massiven Truppenaufmarsch, an der Grenze zu Polen und Litauen". So könnte es dann "laut dem Geheimpapier der Bundeswehr" ab Oktober erneut, also weiter "eskalieren". So heißt es unterstellend, laut Bundeswehr- und Bild-Planungsspielen:
- Im Oktober verlegt Russland Truppen und Mittelstreckenraketen nach Kaliningrad und rüstet seine Exklave mit der Propaganda-Lüge eines bevorstehenden NATO-Angriffs weiter auf. Das geheime Ziel des Kreml: Die Suwalki-Lücke zu erobern – den schmalen polnisch-litauischen Korridor zwischen Belarus und Kaliningrad.
- Ab Dezember 2024 käme es dem Szenario zufolge im Gebiet der Suwalki-Lücke zu einem künstlich herbeigeführten "Grenzkonflikt" und "Ausschreitungen mit zahlreichen Toten".
"Ausgerechnet" in einem Moment, in dem "die USA nach der möglichen Abwahl Joe Bidens für einige Wochen mehr oder weniger führungslos sein könnten", würde Russland erneut, gerade "im Übungsszenario der Bundeswehr den Ostukraine-Einmarsch des Jahres 2014 auf dem Boden der NATO" wiederholen.
Nach so weit bekanntem Ablaufszenario würde dann "eine außerordentliche Sitzung des UN-Sicherheitsrates erfolgen, in der Russland den Westen der Angriffsvorbereitungen gegen Putins brutales Reich bezichtigt" wird. Es folgt anschließend die "Sondersitzung des NATO-Rates, in der Polen und die baltischen Staaten von einer zunehmenden Bedrohung durch Russland berichten", so die Kriegsplanspiele der Bundeswehr. Die Bild-Redaktion ergänzt:
"Russland würde die wahre Bedrohungslage wieder propagandistisch ins Gegenteil drehen und im März 2025 zusätzliche Truppen in Richtung Baltikum und nach Belarus verlegen."
Nach weiteren Etappen einer monatigen Steigerung der Eskalation, würde dann am "'Tag X', so das Geheimpapier der Bundeswehr, der Oberbefehlshaber der NATO die Verlegung von 300.000 Soldaten an die Ostflanke, darunter 30 000 Bundeswehrsoldaten" befehligen. Das Szenario endet "30 Tage nach Tag X".
Die Bild-Redaktion stellt final informierend für seine Leser fest:
"Ob sich Russland durch den NATO-Aufmarsch wird abschrecken lassen, bleibt in dem Übungsszenario offen."
Ein Sprecher des Verteidigungsministeriums wollte sich demnach "zu dem konkreten Bündnisverteidigungsszenario" gegenüber der Bild-Zeitung nicht äußern, hätte jedoch schriftlich erklärt:
"Grundsätzlich kann ich Ihnen mitteilen, dass die Betrachtung unterschiedlicher Szenarien, und seien sie auch extrem unwahrscheinlich, zum militärischen Alltagsgeschäft gehören, insbesondere in der Ausbildung."
Parallel verlaufende Einschätzungen, Entscheidungen und/oder Diskussionen des Bundestags und der Regierungsspitze, vor allem seitens von Kanzler Scholz, wurden in dem gesamten Bild-Artikel nicht erwähnt.
Mehr zum Thema - Sergei Karaganow: Russland ist mit dem Westen endgültig fertig