Nur elf Urteile gefällt: Berlin stampft Blitz-Verfahren gegen Klimakleber nach nur sechs Monaten ein

Ein schnelleres juristisches Vorgehen gegen die sogenannten Klimakleber ist vorerst gescheitert. In vielen Fällen sei es beispielsweise schwierig festzustellen, dass durch ihrerseits provozierte Straßenblockaden eine Staumenge entstanden sei, berichtet die Welt am Sonntag.

Der Versuch der Berliner Justiz, Klima-Aktivisten der "Letzten Generation" in Schnellverfahren zu verurteilen, ist einem Zeitungsbericht zufolge weitgehend gescheitert. Seit Juni 2023 seien nur elf Urteile gefällt worden.

Gegen die Aktivisten sind bisher rund 3.428 Anzeigen eingegangen, in keiner anderen Stadt waren es mehr. Die Hauptverhandlung muss dann innerhalb von sechs Wochen nach Eingang des Antrags bei Gericht stattfinden. Die dafür eingerichteten fünf Abteilungen am Amtsgericht Tiergarten seien nun nach gut einem halben Jahr wieder aufgelöst worden, berichtete die Welt am Sonntag (WamS) unter Berufung auf Angaben der Gerichte. 

Nach Angaben der Berliner Staatsanwaltschaft sind von 149 dieser Schnellverfahren 137 weiterhin offen. Seit Juni wurden demnach elf Urteile gefällt ‒ sieben Geldstrafen und vier Freisprüche. Nur die Freisprüche sind bislang rechtskräftig. Weitere 48 Anträge der Staatsanwaltschaft auf beschleunigte Verfahren seien abgelehnt worden. In der Zeitung wird eine Sprecherin der Berliner Strafgerichte zitiert: 

"In vielen Fällen hatte sich im Verlauf der Bearbeitung gezeigt, dass sich die Verfahren zur Verhandlung im beschleunigten Verfahren nicht eignen, beispielsweise, weil die Beweislage nicht klar war oder Nachermittlungen erforderlich waren."

Was genau die Beweisführung so schwierig mache, erklärt die WamS anhand einiger Verhandlungsfälle. Eine Verurteilung wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte sei in der Regel vergleichsweise einfach, weil die Klimakleber der Aufforderung der Polizisten, die Fahrbahn zu verlassen, nicht nachkommen.

Komplizierter werde es beim Vorwurf der Nötigung. Das Berliner Kammergericht – die höchste Instanz der Hauptstadt – habe entschieden, dass bei Straßenblockaden nicht von Nötigung ausgegangen werden kann, nur weil Autofahrer nicht weiterfahren können. Hierfür brauche es vielmehr eine detaillierte Beweisaufnahme über die Ankündigung der geplanten Blockade, ihre Dauer, ihre Art und ihr Ausmaß sowie Informationen über die Länge des Staus und etwaige Ausweichmöglichkeiten für Autofahrer.

"Dies macht den Richtern die Beweisführung schwer. Im August etwa wurde ein Verfahren gegen eine 22-jährige Klimakleberin nach fünfstündiger Verhandlung abgebrochen, weil kein Geständnis erfolgte und die Beweislage trotz Befragung von drei Zeugen und der Auswertung eines Polizeivideos unklar war. So sei etwa die 'Staumenge nicht sicher festzustellen gewesen'",

sagte der Richter.

In den Wochen zuvor hatte der frisch gewählte Bürgermeister Kai Wegner (CDU) wiederholt eine härtere Gangart gegenüber Klimaklebern angekündigt und schnellere Verurteilungen in Aussicht gestellt. Dass dieses Vorhaben nun gescheitert sei, bedauere er, respektiere jedoch "selbstverständlich" die Entscheidungen der Richter. "Ich wünsche mir aber, dass beschleunigte Verfahren gerade in solchen Fällen häufiger angewendet werden", sagte er dennoch der WamS.

Der Deutsche Anwaltverein kritisierte den Ruf nach einer "Sonderbehandlung für einzelne Deliktsphänomene" als "politische, von populistischem Aktionismus getriebene Forderungen". Die Berliner Richter hätten hingegen klargestellt, "dass sie nicht bereit sind, rechtsstaatliche Garantien tagespolitischen Versuchen einer Einflussnahme zu opfern". 

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