Der Vorgang galt als mediales Großereignis. Rund 3.000 Polizistinnen und Polizisten waren am 7. Dezember 2022 bundesweit an einer Großrazzia gegen die sogenannte "Patriotische Union" beteiligt. Zu diesem Zeitpunkt waren laut Medieninformationen von den Ermittlern bereits "mehr als 425.000 Seiten Akten zusammengetragen" worden. Die "Menge an Beweismitteln" galt als immens. Die ARD-Tagesschau berichtete nun am 4. Dezember dieses Jahres bezüglich der "mutmaßlichen terroristischen Vereinigung": "Nun sollen Anklagen erfolgen". Einzige Tatsache dabei ist: Die Beschuldigten sitzen trotz vermeintlich erdrückender Beweise seit zwölf Monaten ohne Anklageerhebung in ihren Zellen.
Das ZDF zitierte im Anschluss an die Verhaftungen vor genau einem Jahr Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD), die bundesweiten Ermittlungen "gegen die Reichsbürger-Szene lassen in den Abgrund einer terroristischen Bedrohung blicken". Im Februar 2023 hieß es dann, dass der zuständige Bundesanwalt Lars Otte "den Abgeordneten des Bundestages jede Illusion darauf nahm – im Jahr 2022 – , dass der Fall schnell abgeschlossen sein könnte". Weiterhin lautet der Vorwurf: "Gründung, Mitgliedschaft und Unterstützung einer terroristischen Vereinigung". Ermittelt werde "auch wegen hochverräterischen Unternehmens gegen den Bund". Mittlerweile gelten derzeit laut Behördenangaben insgesamt "69 Personen in dem Verfahrenskomplex als Beschuldigte".
Ein Artikel der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ) stellte nun am 7. Dezember fest, dass die Entwicklung und der Verlauf der ganzen Geschichte Fragen aufwirft. Diese lauten:
"Warum wurde nicht längst Anklage erhoben? Ist das Verfahren womöglich auch politisch motiviert? Und welche Rolle spielten V-Leute des Verfassungsschutzes?"
Das anvisierte Ziel eines Ereignisses, das große, "auch internationale Aufmerksamkeit erregte", scheine nur vor sich hinzudümpeln, auffälligste Realität sei die Tatsache, dass "immer noch ermittelt wird, ohne dass bisher spektakuläre Ergebnisse an die Öffentlichkeit gedrungen wären". Selbst die am 7. Dezember ausgesuchten Medienvertreter bei der groß angelegten Showveranstaltung mit publicityträchtigen Bildern für die Bürger würden aktuell auffällig schweigen. Mögliche Gründe dafür könnten sein, dass "die Geheimhaltung bei den Sicherheitsbehörden drastisch verbessert wurde – oder dass es allzu Spannendes bis jetzt nicht zu verraten gibt". Im April 2024 berichtete das ZDF mit der beeindruckenden Information zum Vorwurf verbrecherischer Umsturzpläne:
"Ein Kommando von bis zu 16 Personen habe Regierungsmitglieder und Abgeordnete in Handschellen abführen sollen, schreiben die Richter unter Verweis auf den Ermittlungsstand."
Jüngste Gerüchte, dass es nun noch vor Weihnachten zur lang erwarteten Anklageerhebung kommt, wurden von der Generalbundesanwaltschaft "weder bestätigt noch dementiert". Zum weiteren Prozedere heißt es im NZZ-Artikel:
"Ist die Anklage dem Gericht zugegangen, wird sie an die Beschuldigten und ihre Verteidiger weitergegeben. Diese haben dann vier Wochen Zeit, um Stellungnahmen zu formulieren. Mit dem Beginn des Prozesses wäre wohl frühestens im kommenden Frühjahr zu rechnen."
Neun Monate saß der Gründer der "Querdenken"-Initiative Michael Ballweg in Untersuchungshaft. Am Ende erkannte das zuständige Landgericht Stuttgart keine Grundlage für die Eröffnung des Hauptverfahrens. Im Frühjahr 2024 sitzen die bis dato 27 Beschuldigten dann rund anderthalb Jahre im Gefängnis. Ein ungenannter Pflichtverteidiger gab der NZZ zu Protokoll:
"Wir sprechen über Leute, die sich manchmal getroffen und miteinander geredet haben. Getan hat bisher niemand von ihnen etwas. Jetzt sitzen sie seit einem Jahr in Einzelhaft, die Anwaltspost wird gelesen, die öffentliche Vorverurteilung ist da. Da stellt sich schon ein wenig die Frage nach der Verhältnismäßigkeit."
Der Strafverteidiger befürchtet durch den bisherigen Verlauf des Verfahrens folgenschwere Entscheidungen für den oder die betreuten Klienten. Der "Riesenaufwand der Durchsuchungen, der behördlicherseits angeheizte Medienrummel, die gewaltige Zahl vernommener Zeugen und die angehäuften Aktenberge" könnte im schlechtesten Fall zu hohen Strafen führen, der Jurist schätzt dies so ein: "Auf keinen Fall kann das Gericht die 27 Leute einfach nach Hause schicken." Der Anwalt hält den Prozess daher für "politisch eingefärbt". Zu den Anklagepunkten teilte er mit:
"Dass die Truppe schwachsinnige Umsturzfantasien gepflegt hat, ist klar. Ob sie davon wirklich viel hätten umsetzen können, ist aber fraglich."
Eine weitere Verteidigerin stellt fest, dass die "die Aktivitäten der Gruppe nicht banal gewesen" seien. Sie gibt zu Protokoll:
"Man kann natürlich den Eindruck haben, dass das einfach ein Haufen harmloser Irrer ist, aber etliche von ihnen haben akademische Abschlüsse, militärische Kenntnisse, eine ganze Menge Geld oder Waffen."
Für sie stelle sich aber das Problem bei einer möglichen Verhandlung, "wie weit der Begriff der Unterstützung bei terroristischen Vereinigungen ausgelegt" werde. Diesbezüglich erklärt sie: "Da sind schon Leute Helfer, die mal ein paar Brötchen geschmiert oder eine vage Spendenzusage gemacht haben."
Vollkommen ungeklärt ist laut dem Artikel die Rolle des Verfassungsschutzes und eingeschleuster V-Leute der Behörde, also Verbindungs- oder Vertrauenspersonen. Befragte Anwälte der Angeklagten hätten unisono erklärt, dass sie davon ausgehen, dass solche zum Einsatz kamen. Für das Strafmaß ihrer Mandanten wäre es daher von entscheidender Bedeutung, "ob diese selbst geplant und sich verschworen haben" oder ob sie "möglicherweise" dazu von staatlicher Seite mit Wissen und entsprechender Unterstützung angestiftet wurden.
Der NZZ-Artikel nennt die Zahl von "466 dicken Ordnern mit 300.000 Seiten Beweismaterial", dazu kämen "die auf USB-Sticks gespeicherten Dokumente aus den beschlagnahmten Computern". Die Süddeutsche Zeitung fragte am 6. Dezember: "Warum dauert es so lange?", um den Lesern zu erklären: "Die Akten müssen dreimal ausgedruckt werden, damit jedes Gericht einen Satz bekommt. Legte man diese Seiten nebeneinander, reichte die Papierstrecke von Berlin bis nach Hamburg. Ob der schieren Masse hat der Generalbundesanwalt das BKA um Amtshilfe beim Druck gebeten."
Zum Thema der benötigten Bewaffnung für den unterstellten professionellen Umsturzplan und Plänen "der Erstürmung des Reichstags" heißt es beeindruckend: "Die Ermittler haben bei den Beschuldigten eine größere Menge an Waffen und Munition sichergestellt. Insgesamt waren es mindestens 382 Schusswaffen, darunter Pumpguns und ein Maschinengewehr." Die Ermittler würden jedoch auch nach einem Jahr "nicht ausschließen, dass es noch unentdeckte Waffenverstecke gibt".
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