Von Susan Bonath
In Deutschland tobt ein politisches Zensurregime. Längst trifft es nicht mehr nur angebliche "Putinversteher" oder "Impfkritiker". Im schwarz-rot regierten Berlin ist man schon weiter: Dort droht jetzt einem Kulturzentrum das Aus, das eigentlich alle Regeln politisch-korrekter Wokeness befolgte, vom "Queerfeminismus" bis hin zum Fokus auf migrantische Integrationsarbeit. Der Senat will der Einrichtung trotzdem alle Fördermittel streichen, weil er die Falschen eingeladen hat, genauer gesagt: Juden mit der falschen Meinung.
"Woke sein" schützt nicht vor politischer Zensur
Aber von vorne: Seit gut drei Jahren ist in Berlin-Neukölln das interkulturelle Zentrum Oyoun ansässig, betrieben von der gemeinnützigen Gesellschaft "Kultur NeuDenken". Der Berliner Senat hat den Betreibern dort, am Brennpunkt, Räumlichkeiten zur Verfügung gestellt und unterstützt ihre Projekte mit jährlichen Fördermitteln. Unter den 32 Mitarbeitenden sind viele Menschen mit Migrationshintergrund aus aller Herren Länder – und eben auch Palästinenser.
Das Kulturzentrum Oyoun selbst beschreibt sich als "bedeutenden Ort der intersektionalen Kunst- und Kulturszene". Man richte sich vor allem an Menschen, die von verschiedenen Unterdrückungsformen betroffen seien. Der Fokus liege auf "queer-feministischen, migrantischen und dekolonialen Perspektiven". Für seine Arbeit sei das Zentrum mehrfach international ausgezeichnet worden. Allein in diesem Jahr habe es 580 Veranstaltungen mit insgesamt über 82.000 Besuchern durchgeführt. Doch all das schützte das Zentrum nicht vor politischer Zensur.
Senat will keine Juden mit "falscher Meinung"
Denn jetzt ist Schluss mit lustig: Ende November verkündete der Berliner Kultursenator Joe Chialo (CDU) das Aus der Förderung für das Kulturzentrum ab dem kommenden Jahr. Das wäre auch das Ende der Kultureinrichtung, denn die Mitarbeiter könnten nicht mehr bezahlt werden. Der CDU-Senator bezeichnete seinen Schritt als "Prävention gegen Antisemitismus".
Was ist passiert? Das Oyoun hatte für den 4. November in Deutschland lebende Juden eingeladen, die im Verein "Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost" organisiert sind. Viele von ihnen lebten einst in Israel, stehen aber diesem Staat und seinem Umgang mit den Palästinensern sehr kritisch gegenüber. Eigentlich sollte der jüdische Verein dort ein Programm zu seinem 20-jährigen Bestehen aufführen. Doch nach dem Angriff der palästinensischen Hamas am 7. Oktober auf israelische Soldaten und Zivilisten kam alles anders: Es wurde eine "Trauer- und Hoffnungsfeier" daraus.
Noch im selben Monat hatte die "Jüdische Stimme" einen offenen Brief veröffentlicht, den rund 100 in Deutschland lebende jüdische Künstler und Wissenschaftler unterschrieben haben. Die Unterzeichner verurteilten darin den Angriff der Hamas auf israelische Zivilisten "mit gleicher Schärfe" wie Israels Reaktion darauf, nämlich "die Tötung von Zivilisten in Gaza". Zudem forderten sie ein Ende des harten Vorgehens gegen propalästinensische Proteste.
Im politischen Berlin mag man aber keine Juden mit der "falschen Meinung", etwa wenn diese Israels rechtsextreme Regierung und deren Flächenbombardement des Gazastreifens – der mit mehr als zwei Millionen Menschen besiedelten, nur 360 Quadratkilometer kleinen Palästinenser-Enklave – kritisieren. Man mag sie so wenig wie Muslime und alle anderen, die so denken. Denn dies sei "Antisemitismus". Man staunt: Der Berliner Senat hat also "antisemitische Juden" im Visier. In Berlin bestimmt demnach allein die Politik, was "gute Juden" denken dürfen und was nicht.
CDU und Grüne fordern Schließung – Beifall von der AfD
So nahm das Geschehen seinen Lauf. Am 31. Oktober meldeten sich zunächst die Grünen aus der Opposition mit einer – inzwischen gelöschten – Pressemitteilung unter dem Titel "Förderung von Oyoun muss beendet werden". Die Berliner Zeitung berichtete darüber. Die Grünen-Abgeordnete Susanna Kahlefeld warf dem Kulturzentrum Oyoun demnach Antisemitismus vor. CDU-Senator Chialo erklärte daraufhin, die finanzielle Förderung des Oyoun zu überprüfen. Ein Gespräch mit dem Kulturzentrum selbst habe er abgelehnt.
Die Zensierten ließen sich jedoch nicht einschüchtern, und die Veranstaltung stattfinden. Der Staat Israel, so stellten die Protagonisten dort klar, "spricht nicht in unserem Namen." Sie kritisierten Israels Dauerbesatzung der palästinensischen Gebiete, und der Vereinsvorsitzende Wieland Hoban sprach von einem "Genozid in Gaza" und kritisierte das Schweigen der Bundesregierung dazu.
Als die Kritik nicht abebbte, warb das Oyoun um Solidarität. Seinen offenen Brief vom 10. November haben inzwischen mehr als 13.500 Menschen unterschrieben, darunter viele Wissenschaftler und Kulturschaffende. Ein Ende der Förderung würde das Aus der Kulturstätte bedeuten, heißt es darin. Für diese Ankündigung habe sich sogar die AfD bedankt. Dies müsse man verhindern.
Kulturzentrum zieht vor Gericht
Doch es kam noch schlimmer, wie das Oyoun am 29. November auf Facebook mitteilte. Zufällig habe der Verein über den Livestream der Kulturausschuss-Sitzung im Berliner Senat erfahren, dass Senator Chialo das Zentrum schließen wolle. Es solle binnen fünf Wochen geräumt werden. Damit, so heißt es, könnten 32 Gehälter nicht mehr gezahlt werden.
Das Kulturzentrum wehrt sich dagegen. Man habe sofort die Akteneinsicht beantragt, teilte Oyoun mit. Bis Ende November habe der Kultursenat nicht darauf reagiert, er lehne jeden konstruktiven Dialog ab, heißt es. Nun sei ein Anwalt tätig geworden. Dieser habe festgestellt, "dass unsere vierjährige Projektfinanzierung von 2022 bis 2025 eine verbindliche Verpflichtung ist." Deshalb dürfe der Senat die Förderung nicht einfach kappen.
Der gemeinnützige Träger sieht sich jetzt mit hohen Rechts- und Gerichtskosten konfrontiert und sammelt dafür Spenden. Es gehe nicht nur um einen Kampf für die Existenz von Oyoun, sondern auch um "den Schutz der Meinungsfreiheit und der künstlerischen Freiheit in Deutschland", so die Protagonisten. Man dürfe nicht zulassen, dass Berlins Senat ein Exempel statuiere.
Antisemitismus-Keule zur "Disziplinierung"
Die Geschäftsführerin von Oyoun, Louna Sbou, nannte das Vorgehen der Berliner Führung in einem Gespräch mit der Zeitung Junge Welt "eine Form der Zensur, da es die freie inhaltliche und programmatische Ausgestaltung des Hauses unterläuft und die Kunst- und Wissenschaftsfreiheit unterminiert." Es sei, so Sbou, als "Disziplinierungsmaßnahme" zu verstehen – für sie ein Ausdruck eines von ihr schon länger beobachteten "aggressiven und beängstigenden Rechtsrucks".
Auch der Verein "Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost" meldete sich in der taz zu Wort. Mitglied Lili Sommerfeld sagte der Zeitung, sie finde den Antisemitismus-Vorwurf des Senats gegen ihren jüdischen Verein "infam" und sprach von einer "Hexenjagd". Es sei "unfassbar, dass Deutsche ohne jüdischen Hintergrund im Land der Täter einer jüdischen Organisation Antisemitismus vorwerfen."
Ja, offensichtlich ist es noch nicht ausgestanden. Der Berliner Senat sollte sich dringend eine Frage selbst beantworten: Wie antisemitisch ist es eigentlich, wenn deutsche Politiker einem jüdischen Verein vorschreiben, wie seine Mitglieder über Palästinenser und die israelische Besatzungspolitik zu denken haben? Man könnte meinen, es herrenmenschelt immer noch in Deutschland.
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