In einem Interview mit Zeit Online hat der frühere deutsche Außenminister Joschka Fischer (Bündnis90/Die Grünen) eine massive militärische Aufrüstung Europas gefordert. Europa müsse seine "Abschreckungsfähigkeit wiederherstellen", wozu auch Atomwaffen gehörten.
Wörtlich sagte Fischer in dem am Sonntag veröffentlichten Interview:
"Was daraus zuallererst folgt, ist, dass wir Europäer aufrüsten müssen. Wir müssen unsere Abschreckungsfähigkeit wiederherstellen. Nein, mir gefällt dieser Gedanke überhaupt nicht und ich wüsste tausend andere Dinge, die ich lieber finanzieren würde. Aber es führt kein Weg daran vorbei. Solange wir einen Nachbarn Russland haben, der der imperialen Ideologie Putins folgt, können wir nicht darauf verzichten, dieses Russland abzuschrecken. Nur werden wir das nicht mit Schuldenbremse und ausgeglichenen Haushalten erreichen können."
Auf die Frage, ob dazu auch gehöre, dass die Bundesrepublik sich eigene Atomwaffen anschaffen sollte, antwortete Fischer:
"Das ist in der Tat die schwierigste Frage. Sollte die Bundesrepublik Atomwaffen besitzen? Nein. Europa? Ja. Die EU braucht eine eigene atomare Abschreckung."
Auf die Frage, warum ausgerechnet ein Grüner Aufrüstung fordert, sagte der ehemalige Außenminister:
"Die Welt hat sich verändert, Putin arbeitet auch mit nuklearer Erpressung. Ich hoffe, dass Amerika und Europa verbunden bleiben. Aber was wird sein, wenn Donald Trump wiedergewählt wird? Auch mit Blick auf dieses Szenario muss sich Europa die Frage ernsthaft stellen."
Gleichzeitig formulierte Fischer ein imperialistisches Glaubensbekenntnis: Die Ukraine sei für Europa und Deutschland von "entscheidender Bedeutung". Er behauptete, die Ideologie der russischen Präsidenten laute: "Die Macht entscheidet, nicht das Recht." Würde sich "dieses Denken" durchsetzen, könne man "Europa vergessen". Die Konsequenz, die Fischer zieht:
"Insofern geht es um verflucht viel. Wir müssen unsere Abschreckungsfähigkeit wiederherstellen."
Joschka Fischer war von 1998 bis 2005 Außenminister Deutschlands. Während seiner Amtszeit drängte er unter anderem auf eine deutsche Beteiligung am NATO-Krieg gegen Jugoslawien und sorgte für großzügige Visa-Erteilung für Ukrainer, was zum Entstehen einer größeren illegalen ukrainischen Diaspora führte. Nach dem Ausscheiden aus der aktiven Politik betätigte sich Fischer als Berater und Lobbyist für mehrere Banken und Thinktanks in den USA, den World Jewish Congress sowie Energiekonzerne.
Mehr zum Thema - "Es ist wie 1914" ‒ Joschka Fischer im Interview zur aktuellen Weltlage