Studie: Mangel an Azubis hat nichts mit Drang zum Studium zu tun

Die Bertelsmann-Stiftung hat sich mit der Frage befasst, woher der vielfach beklagte Mangel an Auszubildenden kommt. Dabei stellt sie fest, dass gar nicht so viele ein Studium anstreben und auch das Einkommen für die meisten nicht das wichtigste Kriterium ist.

Die Bertelsmann-Stiftung befasste sich mit der Frage, warum tatsächlich weniger Schulabgänger als Azubi eine Berufsausbildung machen. Das Ergebnis lautet, die Gründe seien anders gelagert als allgemein angenommen. So gebe es zwar heute mehr Abiturienten als vor vierzig Jahren, aber schon seit Beginn der 2000er Jahre habe sich der prozentuale Anteil der Schulabsolventen mit Abitur nicht weiter erhöht. Tatsächlich geht er inzwischen wieder zurück; allerdings hat der Mittlere Schulabschluss in weiten Teilen den Hauptschulabschluss ersetzt.

Dafür steigt sogar der Anteil der Abiturienten unter den Azubis, von 18,5 Prozent im Jahr 2008 auf 29,7 Prozent im Jahr 2022. Allerdings legt die Bertelsmann-Studie keine Zahlen dazu vor, auf welche Berufe sich dieser Anteil verteilt. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass es dabei vor allem um Ausbildungen im kaufmännischen Bereich geht. In den Berufen, in denen der Mangel an Auszubildenden am stärksten ausgeprägt ist, also bei Klempnern, Metzgern und Lebensmittelfachverkäufern, dürfte der Anteil an Abiturienten gering sein.

Interessant sind die Motive der Berufswahl. Insgesamt steht dabei für die meisten Jugendlichen an erster Stelle der Inhalt der späteren beruflichen Tätigkeit selbst, denn für 87 Prozent ist das der ausschlaggebende Punkt. Dass der Beruf den eigenen Eigenschaften und Fähigkeiten entspricht, steht mit 86 Prozent an zweiter Stelle, ein gutes Gehalt kommt erst auf Position drei. Anders sieht das bei jenen aus, die sich für ein Studium entscheiden – bei denen steht das Einkommen mit 70 Prozent an erster Stelle und die Inhalte der Tätigkeit mit 51 Prozent sogar erst an dritter. Insgesamt sind die Gründe für ein Studium weniger weit gestreut als die für die Berufswahl insgesamt, wo selbst das Kriterium mit dem niedrigsten Wert, nämlich ein eigenes Urteil über die Sinnhaftigkeit, noch für 76 Prozent wichtig ist.

Übrigens wünschen sich immer noch 71 Prozent der Studenten einen stärkeren Praxisbezug im Studium, und 32 Prozent hätten gerne ein Duales Studium absolviert, das praktische und theoretische Teile verbindet. Auch die deutliche Verschiebung – weg von den Universitäten und hin zu den Fachhochschulen (2001 besuchten noch mehr als 70 Prozent der Studenten eine Universität, 2021 waren es zehn Prozent weniger) – deutet darauf hin, dass das Bedürfnis nach Praxisbezug stark ist. Die Zahl der Studenten, die tatsächlich einen dualen Studiengang absolvieren, ist von 40.000 im Jahr 2004 auf 120.000 im Jahr 2022 gestiegen.

Mit den Informationen zur Berufswahl sind die jungen Menschen allerdings nicht zufrieden. Zwar kritisieren nur 18 Prozent den Umfang der dafür angebotenen Information, aber 55 Prozent bemängeln, dass es schwer sei, sich darin zurechtzufinden. Tatsächlich dürfte ein Teil des Problems darin bestehen, dass die meisten dieser Informationen zu abstrakt sind und die meisten Jugendlichen nur jene Berufe kennen, die sie aus ihrem jeweiligen persönlichen Umfeld kennen können. Ein System zum auch praktischen Kennenlernen vieler verschiedener Berufe gibt es eben hierzulande nicht.

Einen Nachwuchsmangel gibt es außer in den oben erwähnten drei Lehrberufen auch in der Kinderbetreuung, in der Sozialarbeit und für die Pflegeberufe. Allerdings sind alle diese erwähnten Berufe durch vergleichsweise hohe Belastung und nicht besonders gute Bezahlung gekennzeichnet, auch wenn es daneben genug Lehrberufe gibt, in denen ein Einkommen erzielt werden kann, das dem eines akademischen Abschlusses nicht nachsteht.

Ein tiefer liegendes Problem hat diese Bertelsmann-Studie allerdings gar nicht aufgegriffen. In früheren Jahrzehnten war es einer der Vorteile einer Lehre, dass die Berufsausbildung weit früher abgeschlossen war als die akademische Qualifikation eines Studenten. Eine Lehre wurde mit 15 oder vielleicht mit 16 angetreten, so dass die Ausbildung in einem Alter, in dem das Abitur meist noch erworben werden musste, bereits abgeschlossen war. Eine der zentralen Veränderungen der letzten Jahrzehnte ist aber, dass das Durchschnittsalter beim Beginn der Lehre kontinuierlich gestiegen ist, und zwar nicht nur in jenen Berufen, in denen mindestens ein Mittlerer Schulabschluss vorausgesetzt wird. Damit hat die duale Berufsausbildung gewissermaßen ihren entscheidenden materiellen Anreiz verloren.

Eine weitere Frage, die umgangen wurde, lautet, warum der Übergang in eine Ausbildung selbst bei guten Deutschkenntnissen für Jugendliche mit Migrationshintergrund noch deutlich zäher verläuft als für Jugendliche ohne einen Migrationshintergrund. Das führt oft zu zwei bis drei Jahren Verlust beim Übergang in die Ausbildung und das Berufsleben. Aber das Hauptziel dieser Studie war ohnehin zu belegen, dass Studium und Lehre nicht in Konkurrenz zueinander stehen.

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